- Zweifel an der erhofften Wunderrendite
Donnerstag wird in Ägypten die Erweiterung des Suezkanals eröffnet. Die künstliche Wasserstraße wurde auf einer Strecke von 72 Kilometern zweispurig ausgebaut. Das Regime möchte damit seine lahmende Wirtschaft ankurbeln. Ob das klappt, ist fraglich
Abdel Fattah al-Sissi sparte nicht mit großen Worten. Mal sprach der Präsident „von dem großen nationalen Traum“, mal von „dem Geschenk Ägyptens an die Welt“. Fast 150 Jahre nach der Eröffnung des Suezkanals will der Staatschef in Kairo dieser Tage erneut Geschichte schreiben. Vor einem Jahr gab er den Startschuss für das ehrgeizigste Mammutprojekt seines Landes in den letzten Jahrzehnten.
Zwölf Monate lang wurde rund um die Uhr auf der Großbaustelle geschuftet. 50 einheimische und internationale Firmen arbeiteten unter der Aufsicht des ägyptischen Militärs, darunter auch der deutsche Konzern Herrenknecht, der für die Tunnel unter der neuen Wasserstraße verantwortlich ist. Auf 72 Kilometern entstand eine zweite Fahrrinne, die gut ein Drittel der Suez-Gesamtlänge ausmacht. Sie soll die Durchfahrtzeiten von bisher 22 auf 11 Stunden halbieren. Erste Probefahrten mit Containerschiffen seien erfolgreich verlaufen, meldeten kürzlich die Verantwortlichen.
Am 6. August soll das große nationale Prestigebauwerk feierlich eingeweiht werden. Dreißig Millionen Dollar hat Ägyptens Führung für dieses Großereignis veranschlagt. Eine Goldmünze wurde geprägt, eine Sonderbriefmarke gedruckt. Reisende bekommen dieser Tage sogar einen Stempel mit dem Logo des neuen Suezkanals in den Pass gedrückt. Präsident Sissi ließ eigens die 150 Jahre alte königliche Yacht „Mahroussa“ von Alexandria in den Kanal verlegen, um am Donnerstag mit den angereisten Staatsgästen das neue Teilstück zu befahren. Von dem Luxusschiff aus hatte bereits 1869 Ägyptens damaliger Vizekönig Ismail Pasha den ersten Suezkanal eröffnet. Die gesamte Stadt Ismailia, wo sich das Hauptquartier der Kanalverwaltung befindet und die Eröffnung stattfindet, ist mit Fahnen geschmückt. Komplette Straßenfluchten wurden neu gestrichen, um den ausländischen Investoren ein möglichst positives Bild zu bieten. Denn rechts und links des Kanals sollen in den nächsten Jahren zusätzlich 76.000 Quadratkilometer Industriezonen und Hafengebiete entstehen.
Schon jetzt wird der Kanal nicht voll genutzt
Schätzungsweise acht Prozent des Welthandels gehen durch die berühmte Wasserstraße, die das Mittelmeer über das Rote Meer mit dem Indischen Ozean verbindet. Für Ägyptens Staatshaushalt ist der Suezkanal nicht nur eine der lukrativsten Devisenquellen. Seit seiner Verstaatlichung durch Präsident Gamal Abdel Nasser 1956 ist er auch das wichtigste Symbol für die nationale Unabhängigkeit des Landes. Und so wundert es nicht, dass viele Ägypter den jüngsten Ausbau für eine Großtat Sissis und eine visionäre Investition halten.
Fachleute dagegen hegen Zweifel, ob die hochgesteckten Erwartungen an die Neun-Milliarden-Dollar Investition aufgehen werden. Seriöse Analysen über den wirtschaftlichen Effekt der neuen Teilrinne existieren nicht. Stattdessen setzen die Verantwortlichen am Nil immer die gleichen pauschalen Prognosen in die Welt, von denen niemand weiß, wie sie erstellt wurden. Nach diesem offiziellen Kalkül sollen die jährlichen Einnahmen von zuletzt 5,3 Milliarden Dollar in den kommenden acht Jahren auf 13,2 Milliarden Dollar wachsen. Die Zahl der täglichen Passagen müsste sich nach diesen Kalkulationen von derzeit 49 auf 97 Schiffe verdoppeln – eine Ziffer, die bei Logistikexperten als völlig illusorisch gilt, zumal schon jetzt die Maximalkapazität des Kanals nur zu 70 Prozent genutzt wird.
„Ich kann nicht erkennen, wie der neue Kanal zu einem derartigen Boom bei den Einnahmen führen soll.“
Zudem sind die Suez-Einnahmen kein einfaches lineares Zahlenwerk. Sie bestimmen sich aus einem komplexen Wechselspiel zwischen Weltkonjunktur und Frachtaufkommen, zwischen Spritpreis für Schiffsdiesel und Gebührenstruktur des Kanals. Je billiger der Treibstoff, je größer die Schiffe, je teurer die Suez-Passagekosten, desto mehr Reeder könnten sich für die 4.000 Kilometer längere Route um das Kap von Südafrika entscheiden. Das Kriegs- und Piratenrisiko am Ausgang des Roten Meeres im Golf von Aden und der IS-Terror auf der Sinai-Halbinsel könnten sie widerum davon abhalten.
Bei Containerschiffen, die den Großteil der Kanalkunden ausmachen, gab es 2014 weltweit ein Wachstum von 5,5 Prozent. Für die kommende Dekade rechnen die internationalen Spediteure mit maximal drei bis fünf Prozent Zunahme pro Jahr. „Alles hängt ab von dem Handelsvolumen zwischen West und Ost, nicht von der Kapazität des Kanals“, erklärt Xu Zhibin, Chefmanager in Kairo für Chinas staatliche Transportgesellschaft Cosco, die weltweit zu den größten Container-Reedern gehört und täglich mindestens ein Schiff für die Kanalpassage bucht. Nach seinen Angaben sind die Suez-Gebühren bislang auf einem Rohölpreis von 100 Dollar pro Barrel kalkuliert und berücksichtigen daher nicht den anhaltenden Preisverfall. „Ich kann nicht erkennen, wie der neue Kanal, der die Kapazität erhöht und die Durchfahrt größerer Schiffe erlaubt, zu einem derartigen Boom bei den Einnahmen führen soll“, kritisierte der Ökonom Omar al-Shenety, Chefstrategist bei der „Multiples Investment Group“, einer Beratungsfirma für Geldanlagen mit Sitz in Dubai und Kairo.
Der Kanal muss zunächst seine Gläubiger befriedigen
Aber auch im Inneren könnte sich das neue Suez-Projekt als teures Milliardengrab entpuppen. Denn finanziert wurde das Ganze durch eine Volksanleihe, die in Ministückelungen unter die Leute gebracht wurde und wegen ihrer jährlichen Rendite von zwölf Prozent innerhalb von acht Tagen ausverkauft war. Die künftigen Zinsen belaufen sich auf gut eine Milliarde Dollar und sollen aus den jährlichen Kanaleinnahmen finanziert werden, was das Ergebnis stark belasten wird.
Und so könnte der neue Suezkanal am Ende das gleiche Schicksal erleiden wie viele andere ägyptische Megaprojekte, mit denen Sissi die Wirtschaft wieder in Gang bringen will. Von dem vollmundigen Versprechen, eine Million Wohnungen für sozial Schwächere zu bauen, sind inzwischen nur noch 50.000 Apartments übrig, die allein für Wohlhabende erschwinglich sind. Die neue Verwaltungshauptstadt Kairo für vier Millionen Einwohner, die im März auf der Investorenkonferenz in Sharm el-Sheikh mit großer Fanfare angekündigt wurde, scheint offenbar schon an der Finanzierung der Planungskosten zu scheitern.
Einzig der dänische Frachtriese Maersk, seit Jahren der größte Suez-Kunde, meldete sich dieser Tage lobend zu Wort. Chef-Disponent Keith Svendsen pries Sissis Kanalerweiterung als „historische Anstrengung für den Welthandel und die Zunahme des allgemeinen Wohlstands“. Die verringerte Wartezeit werde helfen, Sprit bei den Schiffen zu sparen, erklärte er, dessen Konzern mit riesigen Frachtseglern experimentiert, die Afrika umrunden können. Für Maersk habe die Suezkanalroute nach wie vor Priorität, versicherte Svendsen. Langfristig jedoch könne das nur dann so bleiben, wenn die ägyptischen Behörden ihre Preispolitik „transparenter gestalten und an die Realitäten anpassen“.
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