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Hafen von Zeebrugge, Belgien / dpa

Handelsabkommen zwischen EU und Großbritannien - Nach dem Deal ist vor den Details

Der Brexit-Deal zwischen der EU und Großbritannien ist wenige Tage alt, und Boris Johnson kann sich Zuhause als Sieger feiern lassen. Denn trotz aller Hindernisse und Diskussionen konnte er liefern. Auch, wenn die Themen damit keinesfalls vom Tisch sind: Der Premierminister hat sich neue Chancen erspielt.

Bastian Brauns

Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Die Hauptbotschaft, die an Heiligabend bei den Briten ankommen sollte, twitterte Boris Johnson um kurz nach vier Uhr nachmittags: „The Deal is done.“ Dazu ein Foto von sich in Siegerpose. Am Tisch sitzend vor einem Telefon-Konferenz-Gerät, aus dem eben noch Ursula von der Leyen gequasselt haben muss, wie so oft in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten. Johnson reckt seine Arme, beide Daumen zeigen nach oben.

Und tatsächlich hat der britische Premierminister damit geliefert. Der Brexit wird mit dem 1.Januar 2021 endgültig Realität – und zwar mit einem Handelsabkommen, dessen Bestimmungen auf mehr als tausend Seiten nachzulesen wären, wenn sich denn einer die Mühe machen wollte. Ausgerechnet die Fischer murren tatsächlich schon: „Boris Johnson sold us down the river – again“. Und der Deal muss auch noch von allen Staaten ratifiziert werden.

Dennoch überwiegt aktuell die Erleichterung. Am Ende eines langen Meinungsbeitrags zum geschlossenen Abkommen schrieb David Henig, der Direktor des „UK Trade Policy Project“ beim unabhängigen Thinktank „European Centre for International Political Economy“ (ECIPE) darum auch, worauf es vielen gerade ankommt: „But for the first time in five years we have something approaching stability, and the likelihood of the issue disappearing from front pages. For which we should all be welcome.“

Sieger oder Besiegter?

Die britischen Zeitungen, maßgeblich der Boulevard, zeigen Johnson als Sieger einer historischen Verhandlungsschlacht, die vier Jahre nach dem Brexit-Referendum von 2016 beendet scheint. Und eben darauf kommt für den Premier an: Wer in der Politik das Narrativ beherrscht und zu den eigenen Gunsten drehen kann, der bleibt an der Macht, der kann gestalten, der kann weitermachen. Diesbezüglich kann es ihm vorerst egal sein, wie bitter die Brexit-Deal-Pillen wirklich sind, die das Vereinigte Königreich schlucken muss.

Was die mehr als tausend Seiten unterm Strich offenbaren, ist: Großbritannien muss weitgehend auch weiterhin nach denselben Regeln spielen wie die Mitglieder der Europäischen Union. Die 27 verbliebenen Staaten schützen den Binnenmarkt. Und weil das Vereinigte Königreich die EU mehr braucht als umgekehrt, was schlicht an der Marktmacht liegt, die niemand ignorieren kann, blieb Johnson auch gar nichts anderes übrig. Nur darauf zu hoffen, wie es einst auch Theresa May beschwor, dass man als „Global Britain“ weltweit Mega-Deals mit großen Handelspartnern wird eintüten können, reicht in der Realität eben nicht aus.

Nach dem Deal ist vor den Deals

Dass das Thema Brexit und Brexit-Deal nun aus den Überschriften der Medien verschwindet, mag richtig sein. The Deal ist done. Aber die Folgen werden dort auch weiterhin auftauchen. Denn es gilt auch: The Damage is done. Zwar gibt das Handelsabkommen nun einen stabilen Rahmen vor. Aber immer wieder wird das wirtschaftliche und politische Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU27 zum Thema werden.

So ist das für das weitgehend post-industrielle Großbritannien wichtige Thema der Dienstleistungen noch gar nicht geregelt. In fünf Jahren, wenn die vereinbarten reduzierten Fangquoten endgültig auslaufen, wird es erneut zähe Verhandlungen geben müssen. Wenn Boris Johnson den jungen Briten auch weiterhin Auslandserfahrungen ermöglichen will und sein „besseres“ Erasmus-Programm schaffen will, braucht er auch hier Verhandlungen.

Das Narrativ des Dealmakers 

Es wird ein Marathon für den Premier, bei dem er jedes Mal aufs Neue das Narrativ des großen Dealmakers wird bespielen müssen. Nach dem Deal ist vor den Deals. Johnson ist robust genug, dass man ihm das zutrauen kann. Es ist gut möglich, dass etwaige wirtschaftliche Folgen, die erst in ein paar Monaten oder Jahren zu spüren sein werden, von der Bevölkerung gar nicht als Folge des Brexits wahrgenommen werden. Auch das mag Johnson dann zwar einerseits nützen. Andererseits aber muss er sich nun alleine den harten Zahlen stellen.

Und daran messen die Menschen überall auf der Welt ihre Regierungen: Wachstum, Arbeitsplätze, Wohlstand. Fortan wird aber kein UK-Premierminister mehr mit dem Finger auf die vermeintlich schädliche Mitgliedschaft in der Europäischen Union zeigen können. Diesen Alltime-Joker Brexit hat Johnson nun endgültig ausgespielt. Künftige Deals muss eine britische Regierung nun vor den Wählern selbst verantworten. Ob das gut gehen wird? History will tell.

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Hans Jürgen Wienroth | Mo., 28. Dezember 2020 - 14:27

Ein guter und vor allem neutraler Artikel zum Brexit. Selbstverständlich hat Johnson nicht alles bekommen, was er gerne hätte. Wesentlich waren – aus meiner Sicht – die Unabhängigkeit vom EuGH, das sich selbst immer mehr Rechte zubilligt, und die Möglichkeit zum eigenständigen Handel und handeln.
Warten wir ab, was die zweite Institution, das EU-Parlament, zu dem Deal sagt, der die o. g. „roten Linien“ EuGH und Handel überschritten hat. Wie geht es weiter, wenn das inzwischen mächtige Parlament ablehnt (und sei es nur, um seine Macht zu demonstrieren)?
Barnier und die EU hätten diesem Deal nie zugestimmt, wenn es eine Chance auf Verlängerung gegeben hätte, auf die man so gehofft hatte. Man wollte die Briten jedoch auf keinen Fall ohne neuen Handels-Deal gehen lassen.

Werner Peters | Mo., 28. Dezember 2020 - 14:27

Guter Kommentar, der sich abhebt von anderen im deutschen Blätterwald, etwa dem von der ZEIT, der Boris als eindeutigen Verlierer und die Damen Merkel und vdL als Sieger ansieht. Aber ok, war von dieser Journaille auch nicht anders zu erwarten.

Manfred Bühring | Mo., 28. Dezember 2020 - 16:02

Nicht Johnson ist eingeknickt, sondern die EU. Den großspurigen Ankündigungen, dem dummen Briten mal zeigen, "wo der Frosch die Locken hat", folgte nun das kleinlaute Eingeständnis, auf 1000 Seiten zu retten, was zu retten ist und GB doch irgendwie an die EU-Bürokratie zu binden. Der Deal könnte sich als Ausstiegssignal für andere EU-Mitglieder erweisen, die auch die Nase voll haben von der überbordenden Regelungswut und dem weiteren Verlust nationaler Autonomie zugusten der Chimäre einer bundesstaatlichen EU. Wir werden sehen, wo GB in 10 Jahren steht und wie es dann mit der EU, dem Euro und dem Bürokratiemonster in Brüssel steht.

gabriele bondzio | Di., 29. Dezember 2020 - 11:37

Antwort auf von Manfred Bühring

ich sehe das "Schicksal der Briten" auch in ruhigeres Fahrwasser kommen. Die angekündigten Stürme dürften Lüftchen werden.

"Untergangspropheten, die vom Pessimismus leben - und gar nicht schlecht - empfinden jede Art von Zuversicht zwangsläufig als Existenzbedrohung." (Bob Hope)

Gerhard Lenz | Di., 29. Dezember 2020 - 15:36

Antwort auf von Manfred Bühring

Da nutzen auch auto-suggestive Bestätigungen wenig, wonach Johnson der verdammten EU endlich mal gezeigt hat, wo es lang geht.

Das Gegenteil ist der Fall. Johnson hat bis zuletzt damit gedroht, dass es nicht zu einem Deal kommt - bevor er voller Verzweiflung buchstäblich "last minute" nach Brüssel eilte, um doch noch einen solchen abzuschliessen.

Die Fischer sind sauer auf ihn, der Europäische Gerichtshof kann die Briten weiterhin tadeln...was also hat Johnson erreicht?

Wichtiger noch: Bei Finanzdienstleistungen, da wo Britannien einen grossen Teil der Einkünfte erzielt, gibt es überhaupt keinen Deal - was sich äussert nachteilig auf die britische Wirtschaft auswirken wird.
Bislang war das englischsprachige GB DER Eingang für viele internationale Konzerne, insbesondere Banken und Versicherungen, in die EU.
Alles vorbei. Immer mehr Finanzdienstleister verkleinern ihre Präsenz in London, oder verlassen die City ganz.
Ohne Deal hätten selbst die Tories Johnson gefeuert.

Bernd Muhlack | Mo., 28. Dezember 2020 - 16:22

Eine schöne Anekdote von Hans-Dietrich Genscher:
"Ich habe bei Treffen, Konferenzen mit Maggy Thatcher nach Möglichkeit immer hinreichenden Abstand von ihr gehalten. Wenn sie so richtig in Fahrt, wütend war, war niemand vor den Schlägen mit ihrer Handtasche sicher, haha!"

=> we are Britains, never will be slaves!

Es ist jetzt müßig über dieses Ergebnis zu diskutieren; es müssen 27 Nationen zustimmen und sicherlich findet man etwas, was einem in diesem Konvolut nicht passt.
"Gehe zurück zur Badstraße ..."
In 2021 haben zunächst Portugal, danach Slowenien die EU-Ratspräsidentschaft inne, also zwei der TOP-Schwergewichte!
Naja, Kanzlerin Dr. Merkel war ja auch nicht gerade die alternativlose Problemlöserin - Corona eben; die Allzweckwaffe.

"Und daran messen die Menschen überall auf der Welt ihre Regierungen: Wachstum, Arbeitsplätze, Wohlstand."
Wer Kinder, Enkel hat, interessiert sich auch für die exorbitante Neuverschuldung, lässt seinen Nachkommen eine sehr gute Ausbildung angedeihen

Annette Seliger | Mo., 28. Dezember 2020 - 16:39

Es ist schlimm mit anzusehen wie devot sich die Medien gegenüber der Regierung, sprich Merkel, verhalten. Es ist schlimm dass die Briten aus der EU ausgetreten sind, aber wer konnte es ihnen verdenken nachdem Merkel im Alleingang 2015 die Grenzen öffnete und danach die Dreistigkeit besaß die Europäer über einen von Deutschland initiierten Mehrheitbeschluß zu zwingen "Asylanten" aufzunehmen. Ich erinnere mich noch an die roten Busse der UKIP Partei, die mit Photos der "Flüchtlinge" über`s Land fuhren und den Briten erzählten was ihnen blüht, wenn sie nicht die EU verlassen.
Merkel wird als die Kanzlerin in die Geschichte eingehen, die mit ihren politischen Alleingängen Europa gespalten hat. Und dabei waren alle Entscheidungen bei nüchterner Betrachtung nur dem politischen Machterhalt geschuldet.

Ich wünsche mir für nächstes Jahr eine objektive, sich mit keiner Sache gemein machende Presse - aber wir haben ja Bundestagswahlen nächstes Jahr.

Agitation und Propaganda hat Merkel gelernt!

Karl-Heinz Weiß | Mo., 28. Dezember 2020 - 16:45

Ab 2021 bietet sich für Europa die Chance, durch Initiativen zur Abschaffung des Mehrheitsprinzips weltpolitisch wieder wahrgenommen zu werden. Mit GB wäre dies undenkbar gewesen, ebenso mit Angela Merkel als wandelnder Vermittlungsausschuss. So bleibt die Hoffnung, dass auf deutscher Seite ein starker Partner für Macron gewählt wird, um diese Aufgabe anzugehen.

Abschaffung des Mehrheitsprinzips? Von was reden Sie da? Es gibt Absichten der EU-Kommission, das Einstimmigkeitsprinzip zugunsten des Mehrheitsprinzips bei Entscheidungen der EU aufzuweichen bzw. abzuschaffen!

Karl-Heinz Weiß | Di., 29. Dezember 2020 - 11:36

Antwort auf von Edgar F. Oser

Klar, Abschaffung des derzeit geltenden Einstimmigkeitsprinzips; sorry!

Manfred Bühring | Di., 29. Dezember 2020 - 00:28

"Ich wünsche mir für nächstes Jahr eine objektive, sich mit keiner Sache gemein machende Presse - aber wir haben ja Bundestagswahlen nächstes Jahr."
.... stirbt zuletzt!

Werner Kistritz | Di., 29. Dezember 2020 - 02:12

Seit Jahren wird uns eingepeitscht, wie schlimm ein Brexit ist. Noch bei zwei anderen Themen ist mir diese merkwürdige, in allen Presseorganen gleiche Hysterie aufgefallen: Wie schlimm die Schweden sind und, vor ein paar Jahren, wie schlimm Pucdemon ist.
Bei genauerer Betrachtung geht es hier immer um einen "anderen Weg". Das darf anscheinend nicht sein.
Natürlich gibt es eine Einigung mit den Briten. Die EU ist schließlich in erster Linie die alte EWG, d.h. bei dem ganzen Zirkus geht es nur darum, daß Unternehmer gut verdienen. Die Profitgier war immer schon Grenzen-los.

Ernst-Günther Konrad | Di., 29. Dezember 2020 - 07:53

"Andererseits aber muss er sich nun alleine den harten Zahlen stellen. Künftige Deals muss eine britische Regierung nun vor den Wählern selbst verantworten."
Ihr sehr sachlicher und neutraler Artikel beschreibt genau das, was die Briten wollten. Sie wollten wieder Herr im eigenen Haus sein. Ihr eigenes Recht anwenden und vor allem wollten sie selbst bestimmen und nicht durch eine imaginäre EU-Richtlinie irgendetwas machen müssen. Was wäre so schlimm daran, wenn künftige britische Premiers, aber zunächst vor allem Boris Johnson, die eigene Politik nur ihrem Souverän erklären, sich vor diesem verantworten müssen? Es gibt eben keine EU-Zwang mehr, Dinge mit zu vertreten, welche die Briten eigentlich nicht wollen. Wenn jetzt etwas schief läuft in GB, kann Johnson nicht mehr in Richtung EU zeigen, dann hat er es selbst verbockt. Am Ende müssen sich auch die 27 anderen Staaten, dem Votum ihrer eigenen Wähler stellen. Die EU bröckelt, sie will es nur nicht wissen. Noch nicht. Aber das kommt.

Kurosch Schafei | Mi., 30. Dezember 2020 - 09:01

Die Jahre davor ging es immer wieder um die Zölle und Grenze zur EU, vor allem zu Nordirland. Jetzt scheint dieser Aspekt niemand mehr zu kümmern. Und welche Vorteile verspricht nun die EU von diesem Deal? Die Vertreter von der EU scheinen auch nicht in einem Leistungszwang gewesen zu sein, einen Vorteil für sich verhandeln zu müssen. Daher war sich Boris Johnson seiner Sache mit der Zermürbungstaktik gegen seine EU-Partner schon ziemlich sicher.