- Misrata ist ein Weckruf für Europa – Auch Deutschland muss umdenken
In der Libyen-Krise zeichnet sich eine Wende ab. Höchste Zeit, dass auch der Traumtänzer Westerwelle seine Haltung ändert. Erst wenn Gaddafi in die Enge getrieben wird, gibt es eine politische Lösung für den Libyen-Konflikt.
Es gibt wieder Hoffnung für Misrata. Vier Wochen nach dem Beginn der alliierten Luftschläge hat Diktator Muammar Gaddafi überraschend den Abzug seiner Truppen aus der drittgrößten libyschen Stadt angekündigt. Noch klingen die Meldungen aus der umkämpften Stadt widersprüchlich, aber sollte sich das bewahrheiten, könnte es eine Wende im libyschen Befreiungskrieg bedeuten. Doch Gaddafi ist nicht zu trauen. Nur zu oft erklärte er einen Waffenstillstand, der sich hinterher als Finte erwies. Die humanitäre Krise wäre selbst bei einem Rückzug seiner Schergen nicht gelöst. Der Auftrag der UNO-Resolution 1973, die Zivilbevölkerung zu schützen, ist längst nicht erfüllt.
Immerhin scheint vorerst die Gefahr gebannt, dass Misrata zu einem zweiten Sarajewo oder gar einem neuen Srebrenica wird. Die Belagerung der bosnischen Hauptstadt 1992 bis 1996 und das Massaker in Srebrenica 1995 waren grausame Wendepunkte in den Balkankriegen. Sie haben Europa und die USA zum Eingreifen gezwungen und am Ende (im Kosovo) sogar dazu geführt, dass Deutschland wieder zu den Waffen griff. Danach legte die EU den Grundstein für ihre gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik - mit dem erklärten Ziel, dass sich Sarajevo und Srebrenica nie wiederholen dürften.
So gesehen geht es in Misrata nicht nur um den Sieg über Gaddafi und seine Schergen. Es geht auch nicht allein um Libyen und den Erfolg der merkwürdigen Allianz aus widerwilligen Amerikanern, großspurigen Franzosen und halbherzigen Briten. Es geht um mehr: Um die Glaubwürdigkeit des Westens, wenn es um den Schutz einer muslimischen Bevölkerung geht (wie schon damals in Sarajewo und Srebrenica). Und es geht um die Glaubwürdigkeit Europas, was die die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik betrifft. Misrata ist ein Weckruf für die EU, Deutschland inbegriffen.
Bisher haben weder die Allianz noch die EU den Test in der libyschen Wüste bestanden. Das „Bündnis der Willigen“, mit dem der Militäreinsatz begann, zerbrach schon nach wenigen Tagen, weil die Amerikaner sich aus der ersten Reihe zurückziehen wollten. Die NATO, die dann nachrückte, schaffte es ohne amerikanische Führung nicht, der Truppen Gaddafis Herr zu werden. Erst die Ankündigung der USA, unbemannte Drohnen einzusetzen, hat die Lage verändert. Demgegenüber hat die EU nicht viel bewirkt. Militärisch spielt sie gar keine Rolle, politisch ist sie seit der deutschen Enthaltung im Weltsicherheitsrat gespalten.
Dabei hatte alles so gut angefangen. Anders als in Ägypten war die EU in Libyen frühzeitig zur Stelle. Bei einem Sondergipfel Anfang März in Brüssel forderte sie nicht nur Gaddafis Abgang, sondern drohe auch mit einem Militäreinsatz - eine Premiere in der Geschichte der gemeinsamen Außenpolitik, die bisher auf „soft power“ setzte. Doch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton versagte seither vor der Aufgabe, den Worten Taten fallen zu lassen. Sie sucht den kleinsten gemeinsamen Nenner - und der bedeutet, nichts oder nur das Nötigste zu tun.
So geht das Morden in Libyen weiter, und die Glaubwürdigkeit des Westens schwindet wie Wasser im Wüstensand. Vor allem die Europäer machen eine traurige Figur. Nur zehn von 27 EU-Ländern beteiligen sich am Militäreinsatz der NATO, nicht einmal die Hälfte davon schickt eigene Kampfjets in den Einsatz. Eine groß angekündigte humanitäre Hilfsaktion mit - übrigens noch nie erprobten - Kampfverbänden („EUFOR Libya“) steht bisher nur auf dem Papier. Während die Rebellen in Misrata verzweifelt Bodentruppen anfordern, schicken Großbritannien, Frankreich und Italien nur eine Handvoll Militärberater.
Deutschland bietet gar nichts an - außer einem „politischen Dialog“, von dem niemand weiß, wer ihn führen soll. Man müsse sich von dem Gedanken trennen, „dass eine schnelle militärische Lösung wahrscheinlich ist“, sagt Bundesaußenminister Guido Westerwelle. „Der politische Prozess wird eine Lösung bringen.“ Doch wie soll dieser Prozess aussehen? Will Westerwelle etwa Gaddafi und die Rebellen an einen Tisch bringen? Die Afrikanische Union hat es versucht - und sich eine Abfuhr bei den Rebellen geholt. Will er Gaddafi ein Exil anbieten? Darum kümmern sich schon die USA.
Die Bundesregierung ist in dieser Krise alles andere als hilfreich - dabei wird sie noch dringend gebraucht. Wenn der EU-Einsatz in Libyen doch noch zustande kommt, sollen auch Bundeswehr-Soldaten die humanitären Hilfseinsätze absichern. Wenn die Alliierten doch noch Bodentruppen schicken, muss die Bundesregierung ihnen im Weltsicherheitsrat helfen, dies zu legitimieren. Die Resolution 1973 lässt nach Meinung vieler Experten nämlich durchaus Soldaten zu, nur Besatzungstruppen sind ausdrücklich verboten.
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