- Der neue Stern am Selbstoptimierungshimmel
Angelina Jolie tut es, Halle Berry auch. Wer dem „Clean-Eating“-Trend folgt, ernährt sich möglichst fettarm mit sechs kleinen Mahlzeiten am Tag und lässt sich unter anderem die Butter vom Brot nehmen. Die Versprechen sind groß, der Anteil an neuen Ernährungstipps eher nicht. Neu ist lediglich die Verpackung
Low Carb ist schon lange kein Thema mehr, Paleo hat sich nicht durchgesetzt und auch Trennkost interessiert kaum noch jemanden. An Deutschlands Diät- und Selbstoptimierungshimmel strahlt ein neuer Stern. „Clean Eating“ ist in aller Munde und füllt die Spalten der einschlägigen Magazine. Unzählige Menschen folgen jetzt auch hierzulande der Ernährungstherapeutin und Bodybuilderin Tosca Reno in Facebook-Communitys und auf YouTube-Kanälen. Im Dezember 2015 wurde ihr bereits 2009 in den USA erschienener Bestseller „The Eat-Clean Diet“ auch in deutscher Sprache veröffentlicht, was dem Trend einen neuen Schub geben wird, zumal auch populäre Schauspielerinnen wie Nicole Kidman, Angelina Jolie und Halle Berry öffentlich auf das „neue“ Diätkonzept schwören.
Sehr erfolgreich sind auch deutsche Autorinnen wie Hannah Frey, die in einem großen Verlag bereits mehrere „Clean Eating“- Bücher auf den Markt gebracht hat. Versprochen werden dabei das Übliche: Deutliche Gewichtsreduktion, besseres Allgemeinbefinden, straffere Haut, mehr Fitness. Auch die ersten „Clean Eating“-Restaurants sind bereits auf dem Markt, wie z. B. - in der veganen, biologischen und glutenfreien Variante - das „The Bowl“ in Berlin-Friedrichshain.
Soziokulturelle Grenzen der Ernährungsumstellung
Der Begriff wirkt zunächst etwas irritierend, denn bei „Clean Eating“ denkt man vielleicht an Krankenhauskantinen oder Selbstverständlichkeiten wie Händewaschen vor dem Essen, sorgfältiges Putzen von Obst und Gemüse vor dem Verzehr, gründliches Durchgaren von Fleisch oder die sachgemäße Lagerung von Lebensmitteln zur Vermeidung von Schimmelbildung. Doch weit gefehlt: „Clean Eating“ ist schlicht eine Art Katalog „erlaubter“ und „verbotener“ Lebens- und Genussmittel, der entsprechende Vorgaben bereits bekannter Diäten partiell neu sortiert.
Sechs kleine Mahlzeiten sollen es pro Tag sein, alle aus frischen und weitgehend unverarbeiteten Zutaten zubereitet. Empfohlen wird unter anderem die regelmäßige Kombination aus möglichst fettarmen Proteinen wie mageres Fleisch oder Fisch und komplexen Kohlenhydraten (etwa Vollkorn- und Sojaprodukte). Das dürfte überzeugte Trennkostler allerdings zur Weißglut treiben. Auf der To-Eat-Liste stehen mehrere Portionen ungesättigter Fette, wie sie beispielsweise in Olivenöl, Nüssen und Avocados enthalten sind. Dazu kommen allgemein anerkannte Ernährungsbestandteile wie frisches Obst und Gemüse und zwei bis drei Liter Wasser pro Tag.
Speziell empfohlen wird außerdem sogenanntes Superfood wie Leinsamen, bestimmte Pilze, Kefir, Chia-Samen, Tempeh, Miso, Adzuki- und Mungobohnen. Weitgehend geächtet sind dagegen Weißmehlprodukte, raffinierter Zucker, Süßstoffe, gesättigte Fette (z.B. Butter), Fertiggerichte mit Konservierungs- und anderen künstlichen Zusatzstoffen und alle Lebensmittel, die in Plastik verpackt sind.
Man ahnt, dass das „Clean-Eating“-Konzept auf gewisse soziokulturelle Grenzen stößt. Italienern und Freunden der dortigen Küche dürfte der Verzicht auf Pasta ebenso wenig schmackhaft zu machen sein, wie den frankophilen Genießern die butterfreie Soße oder die Reduzierung der Käseplatte auf Mozzarellakugeln, Fetakäsewürfel, Harzer Käse und Ziegenkäse, wie es ein deutscher Blog der „Clean-Eating“-Szene empfiehlt. Auch ernährungsphysiologisch steht das Konzept teilweise auf wackligen Füßen, denn die prinzipielle Verdammung gesättigter Fettsäuren darf man wohl mit Fug und Recht als Unsinn bezeichnen, da sich deren maßvoller Genuss durchaus positiv auf den Organismus auswirkt. Zudem dürfte das Gebot, sich täglich sechs Mahlzeiten aus frischen Zutaten zu bereiten, für die meisten Menschen auch bei bestem Willen kaum umsetzbar sein.
Schlupflöcher beim Verzicht
Aber die Stärke des „Clean-Eating“-Labels ist ohnehin reine Interpretations- und Andockfähigkeit für andere Lifestyletrends. So stört es kaum jemanden, dass es im Rezeptteil von Tosca Renos Standardwerk nur so von Eiern, enormen Mengen Zuckersirup in Soßen, oder Couscous, einem stark verarbeiteten Getreideprodukt, wimmelt. Die direkte Einordnung in eher weltanschauliche Ernährungsbewegungen (Alles nur noch bio, Veganer, kein Alkohol etc.) wird vermieden.
Die Verbotsliste ist vergleichsweise klein und lässt auch Schlupflöcher („nur selten“) offen. Gerne wird auch betont, dass es sich eben nicht um eine klassische Diät handelt, sondern eine Ernährungsumstellung, die – verbunden mit sportlichen Aktivitäten – quasi automatisch die gewünschten Effekte zeitigt. Auch deswegen sind längst auch Fitnessstudios, Sportgeschäfte und Yogaschulen auf den Zug aufgesprungen.
Aber das alles ist wohl mehr eine Marketing- als eine Ernährungsfrage. Denn wirklich neu ist an „Clean Eating“ nun wirklich nichts. Zunächst einmal kommt es beim Körpergewicht immer auf die Energiebilanz an. Wer abnehmen will, muss dem Körper weniger Energie zuführen, als er braucht – egal wie. Noch besser ist es, wenn durch ausgewogene Energiezufuhr Über- oder auch Untergewicht vermieden werden. Und natürlich sollte Ernährung ausgewogen sein, was nicht nur Proteine, Kohlenhydrate und Fett betrifft, sondern auch Ballaststoffe, Mineralien und Vitamine.
Dass der übermäßige Konsum von Salz, Zucker, tierischen Fetten und Alkohol dem Wohlbefinden nicht eben zuträglich sind, sollte sich allmählich rumgesprochen haben. Das gilt auch für aufwändig behandelte, denaturierte und mit allerlei Zusatzstoffen versehene Lebensmittel. Nützliche, fundierte Tipps für eine ausgewogene, gesunde und genussvolle Ernährung formuliert u.a. seit den 1950er Jahren die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Doch das klingt natürlich nicht so hip und sexy wie „Clean Eating“.
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