- Fredrik Sjöberg: Die Fliegenfalle
Insektenkunde und Literatur? Da dürfte vielen Vladimir Nabokov einfallen, der sich einst in kurzem Beinkleid und mit Kescher ablichten ließ, auf der Suche nach Schmetterlingen. Anderen vielleicht der greise Ernst Jünger, über ein Beet gebeugt. Welches Image Insektenkundler trotz dieser prominenten Beispiele außerhalb des Schwirrtierkosmos noch immer genießen, weiß Fredrik Sjöberg.
Insektenkunde und Literatur? Da dürfte vielen Vladimir Nabokov einfallen, der sich einst in kurzem Beinkleid und mit Kescher ablichten ließ, auf der Suche nach Schmetterlingen. Anderen vielleicht der greise Ernst Jünger, über ein Beet gebeugt. Welches Image Insektenkundler trotz dieser prominenten Beispiele außerhalb des Schwirrtierkosmos noch immer genießen, weiß Fredrik Sjöberg. Der Entomologe erscheine, schreibt er, «als atemloser Narr, der im wilden Galopp über Felder und Wiesen schleunigst entfliehenden Schmetterlingen hinterher eilt». Doch davon keine Spur in dieser «Fliegenfalle», die der Literaturkritiker, Übersetzer und Biologe Sjöberg verfasst hat. Wenn ein Verlag, der seit seiner Gründung mit einer Fliege im Signet wirbt, sich zum zehnjährigen Bestehen seines Ablegers in der Hauptstadt selbst ein Fliegenbuch zum Geschenk macht, könnte man fürchten, dass es sich um eine von Skurrilem inspirierte, letztlich kommode Blütenlese handelt. Doch nichts davon. Denn zum einen verhält es sich so, dass der Berliner Zweig von Eichborn, dem Verlag mit der Fliege, inzwischen das literarische Segment aus dem Frankfurter Stammhaus übernommen hat. Zum anderen handelt Fredrik Sjöbergs Insektenprosa tatsächlich von Fliegen, von zahllosen Arten wie Stuben-, Tanz-, Raub- und Schwebfliegen; aber auch von Dickkopf-, Waffen-, Kugel- und Schmuckfliegen, Frucht-, Fleisch-, Schmeiß- wie Stechfliegen. Außerdem: Milan Kundera und Thomas De Quincey, D. H. Lawrence und Ingmar Bergman, die Langsamkeit und die Beschränkung sowie ein Schaf, das in einer Stockholmer Theateraufführung auftritt und von Sjöberg spätabends an einem Strick durch die schwedische Hauptstadt geführt wird. Oder auch: der schwedische Naturforscher René Malaise (1892–1978), ein Fliegenfallenkonstrukteur und Abenteurer, ein eigenwilliger Kunstsammler und noch eigenwilligerer Atlantis-Theoretiker, der mehrere Jahre auf der Halbinsel Kamtschatka in Nordostrussland verbrachte – ihm widmet Sjöberg ein faszinierendes Portrait. Man könnte auch sagen: In diesem hinreißend ausschweifenden Essay begegnet der Leser dem Glück und den seltsamsten Passionen, der Seele, den Fliegen, dem Leben. Vom schwedischen Nobelpreisträger Harry Martinson lieh sich Sjöberg einen Gedanken, der als intellektuelles Palimpsest für seine leichte – um nicht zu sagen: anmutig schwirrende – Prosa gelten kann: «Wenn man sich aufmacht, die Insektenwelt zu studieren, muss man auch auf vieles in einem selbst gefasst sein.» Der Autor bringt, ohne auf artistische Tricks zurückzugreifen, das Kunststück fertig, dass die Schilderung der Fliegen und ihrer Eigenheiten auf der kleinen Schäreninsel bei Stockholm, wo er lebt, seine Leser in den Bann schlägt. Ob Fredrik Sjöberg auch Aldo Leopolds «A Sand County Almanac» von 1949 kennt? Oder Edward Abbeys 1968 erschienenes grandioses «Desert Solitaire. A Season in the Wilderness»? Wie für diese ist das Buch der Natur für den Schweden voll mit nicht enden wollenden «Erzählungen aller Art».
Fredrik Sjöberg
Die Fliegenfalle. Über das Glück der Versenkung in seltsame Passionen, die Seele des Sammlers, Fliegen und das Leben mit der Natur
Aus dem Schwedischen von Paul Berf.
Eichborn Berlin, Berlin 2008. 240 S., 17,95 €
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