- Herkunft statt Zukunft
Die Feierlichkeiten der SPD zum 150. Geburtstag sind beendet. Jetzt sollte sich die SPD wieder ihrer ungewissen Zukunft zuwenden. Die Verdienste der Vergangenheit helfen dabei wenig. Und ein vergiftetes Lob von Angela Merkel auch nicht
Der Kurzzeit-SPD-Vorsitzende und brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck prägte einst die Formel „Zukunft braucht Herkunft“. „Wer die Zukunft gewinnen will, tut gut daran zu wissen, woher man kommt“, schrieb Platzeck vor einem Jahrzehnt seinen ostdeutschen Landsleuten ins Gewissen und versuchte so, deren angekratztes Selbstbewusstsein zu stärken. In den vergangenen Wochen nun konnte man den Eindruck gewinnen, als hätten sich auch die Sozialdemokraten diese Formel zu eigen gemacht. Mit einem selbstbewusst zelebrierten Festakt in Leipzig erinnerte die SPD an die Parteigründung vor 150 Jahren und machten sich angesichts des schwierigen Wahlkampfes, der vor ihnen steht, vor allem Mut.
Die SPD kann es gebrauchen. Ihr Wahlkampf läuft nicht gut, der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück kommt beim Wähler nicht an, der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel irrlichtert und die Genossen glauben nicht an den Wahlsieg. Über eines konnte denn auch die Geburtstagsfeier nicht hinwegtäuschen: So sehr die Sozialdemokraten wissen, woher sie kommen, so wenig haben sie damit gewonnen. In der Politik zählt eine glorreiche Vergangenheit nicht viel. Dort gilt: Zukunft braucht vor allem Zukunft und da steht die SPD vor gewaltigen Herausforderungen.
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Natürlich sind Parteien auch Schicksalsgemeinschaften. Sie werden von Mythen und Legenden zusammengehalten, von der Erinnerung an gemeinsame politische Schlachten, an glorreiche Siege und bittere Niederlagen. Und da haben die Genossen aus anderthalb Jahrhunderten einiges zu erzählen. Lassalle, Ebert und Brandt. Frauenwahlrecht, Sozialistengesetze, Ostverträge. Nichts und niemanden haben die Genossen vergessen.
Doch die Mythen sind verblasst, die SPD ist längst keine Arbeiterpartei mehr, die sozialdemokratischen Idole wie Willy Brandt locken anders als vor vier Jahrzehnten niemanden mehr in die Partei. Jede Legende wird irgendwann Geschichte, sogar die sozialdemokratische Legende Helmut Schmidt. Neue sind nicht in Sicht.
Herkunft hilft der SPD nicht, nicht in diesem Wahlkampf, der schon verloren scheint und auch nicht danach, wenn in der SPD ein Generationenwechsel, eine programmatische Erneuerung und eine strategische Neuausrichtung ansteht. Will die SPD wieder eine Zukunft haben, muss sie sich neu erfinden. Einfach wird das nicht.
Natürlich ist in der Gesellschaft die soziale Gerechtigkeit weiterhin ein großes Thema. Es wird für die SPD der Schlüssel für zukünftige Wahlerfolge sein. Aber Gerechtigkeit buchstabiert sich für die Sozialdemokraten nicht mehr so einfach wie früher. Mittlerweile stehen die Anhänger der SPD auf beiden Seiten der Barrikade und dies nicht nur deshalb, weil die SPD mittlerweile auch eine Partei des Öffentlichen Dienstes ist. Vielmehr gibt es zwischen gut verdienenden Industriearbeitern, dem Zeitarbeiter-Prekariat und der Hartz-IV-Unterschicht wenig gemeinsame Interessen. Die Forderung nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes ist nicht überall unter Arbeitnehmern populär. Aus nachvollziehbaren Gründen haben sich die Gewerkschaften lange dagegen gesperrt. Auch für eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze findet sich laut Umfragen unter den Wählern keine Mehrheit.
Die Lebenswelten der Wähler selbst in der Mittel- und der Unterschicht sind mittlerweile sehr heterogen. Ein Gerechtigkeitswahlkampf lässt sich da gar nicht so einfach organisieren. Auch die Forderung nach Steuererhöhungen ist nur solange ein probates Rezept, solange die Wähler nicht anfangen zu rechnen und plötzlich feststellen, dass sie auch schon zu den Besserverdienenden gehören.
Viele gesellschaftliche Konfliktlinien an denen sich derzeit Wähler mobilisieren lassen, verlaufen quer durch die Anhängerschaft der Partei. Globalisierung, Einwanderung, Islam und vor allem Europa. Viele traditionelle SPD-Wähler teilen die Europa-Euphorie der SPD-Führung nicht und nicht zufällig stößt die Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland (AfD) auch bei vielen SPD-Anhängern auf große Sympathie.
Natürlich steht die Union vor einem ähnlichen Dilemma, der Konservatismus rinnt ihnen genauso durch die Finger, wie der SPD die alten sozialdemokratischen Gewissheiten. Die Energiewende setzen die Christdemokraten nur mit zusammengebissenen Zähnen um. Die AfD setzt vor allem CDU und CSU mächtig unter Druck.
Aber die CDU hat immerhin Angela Merkel, die mit ihrer stoischen Ruhe und großen Beliebtheit die strukturellen Probleme ihrer Partei überdeckt. Die SPD hingegen hat eine Führung, die in die Jahre gekommen ist und beim Wähler keinen Bonus mehr besitzt.
Die Zukunft der SPD ist ungewiss. Das Dilemma der Sozialdemokraten brachte in Leipzig vor allem ein Gast auf den Punkt: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Schiedlich, friedlich saß die Christdemokratin beim Festakt im Gewandhaus zwischen den Genossen und würdigte den Jubilar als „streitbare und unbeugsame Stimme der Demokratie in Deutschland“. Es mag gut sein, dass jene Zeiten vorbei sind, in denen die Sozialdemokarten von Unionspolitikern als „Kommunistenfreunde“ und „vaterlandslose Gesellen“ beschimpft wurden. Doch fast scheint es, als habe die SPD keine Gegner mehr, sondern nur noch Freunde. Nur irgendwie ist es für eine im Klassenkampf gestählte Partei auch ein Problem, wenn sie, sieht man einmal von Oskar Lafontaine ab, keine Feinde mehr hat.
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