Charlotte Roches und Reyhan Sahins Verbal-Vulgarität zeugt von Prüderie, sagt Frank A. Meyer.
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Reyhan Sahin, 27, Rapperin, Doktorandin türkischer Abstammung, bekannt unter dem Künstlernamen Lady Bitch Ray, fasst ihre ganz persönliche Philosophie in fünf Wörtern zusammen: „Vagina Style, Pussy de luxe.“ Ihre Kinder will sie dereinst mit zweitem Vornamen Cunnilingus und Fellatio nennen. Als Sprachwissenschaftlerin weiß sie, was sie sagt, und wie sie es sagt: „Die Freiheit der Ausdrucksform, auch in der Fäkal- und Vulgärsprache, ist immer extrem, und alle extremen Dinge haben mit Freiheit zu tun, auch Sexualisierung.“
Schwestern, zur Sonne, zur Freiheit! Lady Bitch Ray ist schon auf dem Weg. Allerdings wird sie soeben überholt: von Charlotte Roche, 30, britischer Abstammung, Autorin des Romans „Feuchtgebiete“, 219 Seiten lang, ganz weiblicher Vulgarität gewidmet. Das liest sich dann so: „Wenn einer mich liebt oder auch nur geil auf mich ist, dann sollte doch so ein Blumenkohl keine Rolle spielen. Außerdem habe ich schon viele Jahre, von fünfzehn bis heute, trotz eines wuchernden Blumenkohls sehr erfolgreich Analverkehr.“
Als „Blumenkohl“ bezeichnet Charlotte Roche die Hämorrhoiden ihrer Romanheldin. Mit denen ist sie auf Lesetour durch Deutschland, natürlich auch zu Gast in sämtlichen Talkshows. Harald Schmidt erspart der Nation nichts, auch nicht die Etikettenschwindlerin eines angeblich neu auflodernden Feminismus.
Alice Schwarzer ist out, und mit ihr der politische Protest der Frauen gegen die Männer, die sie immer nur ficken wollen. Jetzt ficken die Frauen die Männer. Andreas Kraß, Professor für Literatur, hält Charlotte Roche gar für „eine moderne Feministin im besten Sinne“.
Alice Schwarzer, Anfang Mai mit dem Börne-Preis geehrt, nennt die Porno-Feministinnen die „späten Mädchen“ einer „Post-Girlie-Welle“. Frauen wie Reynan Sahin und Charlotte Roche betreiben die mediale Vermarktung von Sex. Auch das Intimste wird jetzt verkauft: nach dem Bauchnabel und der Pospalte das präzis beschriebene Poloch. Die Hosen runter! Tiefer geht’s nicht.
Und was ist der Preis? Die Erotik. Sie ertrinkt gewissermaßen in Charlotte Roches „Feuchtgebieten“, denn wer dem Liebesspiel mit sprachlicher Kraftmeierei zu Leibe rückt, der zerstört alles, was die innigste menschliche Begegnung erfüllt: Scheu und Scham, Bangen und Sehnen, Zärtlichkeit und Respekt, Hingabe und Verschmelzung.
Erotisch ist das Verbotene: das, was Frau und Mann sich selbst verbieten, indem sie es bewahren als Geheimnis für den Augenblick des Liebens. Was die französische Sprache galant „faire l’amour“ nennt, vulgarisieren die Pussy-Emanzen zum Ficken. Ihr Haupt-Wort lautet „geil“, die Steigerung „megageil“. So armselig die Sprache, so armselig die Botschaft: Wir sind auch nur Karnickel.
Ist das Gepöbel wenigstens unanständig? Ganz im Gegenteil. Wir haben es mit einer neuen Prüderie zu tun: Die Erotik wird ausgetrieben, exorziert. Kein Pfaffe vermöchte es besser.
Schluss mit erregenden Fantasien, wie sie uns beispielsweise Gustave Flauberts tragisch-bezaubernde Ehebrecherin Emma Bovary beschert, die sich von ihrem Léon in der fahrenden Kutsche lieben lässt – ohne dass der Leser Einblick in das holpernde Gefährt erhält. Oder Thomas Manns moribund-faszinierende Femme fatale Clawdia Chauchat, die Hans Castorp in der Liebesnacht ihren Bleistift leiht – ohne dass der Leser eine Auflösung des erotischen Rätsels erfährt.
Statt raffiniertem Liebesspiel und erlesener Boudoir-Intimität: fick for fun, oder noch spießiger: fit for fun. Was es vor 70 Jahren ja schon mal gab: Kraft durch Freude, KdF. Unter den Röcken nicht mehr duftige Wäsche, sondern verschwitzte Anatomie. Wer kommt da noch auf sündhafte Gedanken?
Der Stern, echt voll heiß auf die neue Frauenrevolte, wusste zu berichten: „Andere Schriftsteller haben Leser. Charlotte Roche hat Fans.“ Was gäbe es auch bei Charlotte Roche zu lesen, das zu bedenken wäre! Da passen Groupies schon besser ins Publikum – wow!
Was trägt sie vor? Nach der Geld-Gier der Großen die Sex-Gier der Kleinen. Beides Ausdruck der Amoralität einer Gesellschaft, die alles zum Produkt erniedrigt. Sex kann man kaufen. Erotik nicht. Italiens großer Dichter und Filmer Pier Paolo Pasolini erkannte im Konsumismus schon in den siebziger Jahren die autoritäre Herrschaftsform. Und beklagte „das Verschwinden der Glühwürmchen“.
Küssen und Streicheln und Lieben in einer Nacht der Glühwürmchen – welch abseitige Vorstellung in Zeiten des quotengeilen Porno-Feminismus. Die Treppenhäuser für den Quick-Fick riechen nach Blumenkohl.
Frank A.Meyer ist Journalist. Zuletzt erschien „Der lange Abschied vom Bürgertum“, ein Gespräch mit Joachim Fest und Wolf Jobst Siedler (wjs verlag Berlin)
Foto: Picture Alliance
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