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Der Fall von Kenneth Lay

Gewinne, Gier, Größenwahn – Enron steht für die Auswüchse des amerikanischen Kapitalismus in den späten neunziger Jahren. Der Zusammenbruch des Unternehmens ist der spektakulärste Bankrott in der US-Wirtschaftsgeschichte. Jetzt stehen die Top-Manager vor Gericht.

Die ehemaligen Angestellten des gefallenen amerikanischen Energieriesen Enron erinnern sich nur ungern an jenen Tag im August des Jahres 2001: Damals hatte Enron-Gründer Kenneth Lay mehr als 1000 Mitarbeiter im Ballsaal des Hyatt Regency der texanischen Stadt Houston versammelt, um ihnen mitzuteilen, dass er nach kurzem Intermezzo auf den Posten des Vorstands-chefs zurückkehre. Aber zu seiner Rede kam er nicht, weil die Menge so laut jubelte und ihm, dem Patriarchen, dem Philantropen, dem schillernden Star der Wall Street, stehende Ovationen entgegenbrachte. Das war, bevor Kenneth Lay zum Objekt des Spotts der Late-Night-Comedians wurde, bevor er auf T-Shirts verhöhnt wurde, bevor die Bürger Houstons ihn als „Ganoven“ beschimpften. Im Dezember 2001 meldete der Ener-giehändler Enron, einst siebtgrößtes Unternehmen in den USA mit Jahresumsätzen von bis zu 100 Milliarden Dollar, Insolvenz an. Die spektakulärste Firmenpleite in der Geschichte der Vereinigten Staaten wurde zum Synonym für die dunkle Seite von „Corporate America“, für moderne Hybris und unternehmerische Gier. Vier Jahre nach dem Bankrott hat jetzt der Prozess gegen Kenneth Lay und den früheren Enron-Spitzenmanager Jeffrey Skilling in Houston, dem ehemaligen Firmensitz, begonnen. Lay ist in elf Punkten angeklagt, darunter der Verschwörung, der Falschaussage, des Bilanzbetrugs und des Insiderhandels. Erklären die zwölf Geschworenen Lay für schuldig, wird der heute 63-Jährige das Gefängnis zu seinen Lebzeiten nicht mehr verlassen. Zwei unterschiedliche Versionen bekam die Jury in den Eröffnungsplädo-yers zu hören: Die Anklage wirft Lay und Skilling vor, ein kompliziertes Netzwerk von Beteiligungen geschaffen zu haben und mittels dieser über Jahre hinweg hunderte Millionen Dollar aus der Bilanz herausgerechnet zu haben – ein stetig wachsender Schuldenberg, der sich schließlich auf 15 Milliarden Dollar belief. Wenige Monate vor der großen Pleite, als der Kurs der Enron-Aktie bereits ins Trudeln geraten war, verkaufte Lay Großteile seines Aktienpakets im Gesamtwert von 100 Millionen Dollar. Zugleich habe er, betont die Anklage, wissend um die Krise des Konzerns, seine Angestellten ermuntert, Enron-Aktien zu kaufen. „Dies ist ein einfacher Fall“, sagte Staatsanwalt John Hueston. „Hier geht es nicht um Buchführung. Hier geht es um Lügen.“ Nicht jedoch, wenn man der anderen Version der Geschichte lauscht. Kenneth Lays Verteidiger betonte, sein Mandant habe bis zuletzt fest an das Überleben von Enron geglaubt. Von den Bilanzfälschungen will er nichts gewusst haben. Verantwortlich für den Niedergang von Enron seien Ex-Finanzvorstand Andrew Fastow, der als Zeuge der Anklage aussagen wird, ferner die Praktiken der Börsenspekulanten sowie die Panik des Aktienmarktes. Ob Habgier oder Realitätsverlust – Tatsache bleibt, dass 28000 Angestellte von Enron ihren Job und ihre Altersvorsorge verloren: Zum Zeitpunkt der Pleite war die Betriebsrentenkasse leer. Die meisten Angestellten hatten ihre Renten in Enron-Aktien angelegt. Die Geschichte des Kenneth L.Lay ist eine sehr amerikanische – vom Aufstieg aus armen Verhältnissen, von einer Farm im Bundesstaat Missouri, hinauf in die Wolkenkratzer von Wall Street bis zum tiefen Fall viele Jahre später. Schon als Junge, erzählte er stets, habe er beim Traktorfahren davon geträumt, einmal so zu sein wie der Großfinanzier J.P.Morgan oder der Industrielle John Rockefeller. Ken Lay studierte an der Universität von Missouri, diente im Vietnamkrieg als Leutnant der US-Marine im Verteidigungsministerium, lehrte anschließend an der George-Washington-Universität. Dann ging er in die Wirtschaft, arbeitete für verschiedene Energiekonzerne. 1985 leitete er als Vorstandschef von „Houston Gas“ die Fusion mit dessen Rivalen „Inter North“ ein – und gab dem neuen Unternehmen den Namen Enron. In den neunziger Jahren wurde Enron zum Liebling der Wall Street. Niemand in der nach neuen schicken Ideen gierenden Finanzwelt, der dem Konzern nicht applaudierte. Das Konzept war innovativ: Enron fungierte nicht als Produzent von Energie, sondern als globaler Händler, der Gas und Strom auf dem freien, deregulierten Markt kaufte und verkaufte. Das Firmen-Logo aus quietschbunten Buchstaben war Kult unter den Börsianern in New York. Im Frühjahr 2001 notierte die Enron-Aktie bei 84 Dollar – im November sackte ihr Wert auf unter einen Dollar. Am Ende wurde Enron an der Wall Street als Junk-Bond, als Schund-Anleihe, verscherbelt. Mit Ex-Präsident Bill Clinton spielte Kenneth Lay Golf, mit dem amtierenden Präsidenten George W. Bush soll ihn eine Freundschaft verbunden haben. Bush gab Lay den Spitznamen „Kenny Boy“ und ließ sich von ihm seine politische Karriere über die Jahre hinweg mit rund 550000 Dollar sponsern. Nach der Präsidentschaftswahl 2000 war Ken Lay sogar im Gespräch für den Posten des Finanzministers. Der Absturz des Energiehändlers war der Vorläufer einer Reihe von Skandalen und Firmenzusammenbrüchen in den USA – nach Enron kollabierten der Telefonkonzern Worldcom, das Industriekonglomerat Tyco, der Kabelbetreiber Adelphia und die Klinikkette Health South. Die meisten Spitzenmanager wurden verurteilt – zu Haftstrafen von 20 Jahren und länger. Schlechte Aussichten für Kenneth Lay. Katja Ridderbusch lebt als freie Autorin in Atlanta, USA. Sie schreibt für Die Welt, die Welt am Sonntag und das Handelsblatt

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