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Zweiter Weltkrieg - Frieden – neun Tage vor Kriegsende

Kolumne: Leicht gesagt. Vor 70 Jahren herrschte der „Endkampf“ in Deutschland - ein sinnloses Wüten und Töten auf Befehl des zerfallenen Hitler-Regimes. In Greifswald widersetzten sich die Verantwortlichen und retteten so 45.000 Menschen

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Tausende Menschen starben noch in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. In etlichen Städten wurde und wird zum Jahrestag des Kriegsendes daran gedacht und darüber geschrieben. Fanatiker, vor allem auch HJ-Kinder kämpften, tatsächlich bis zum letzten Atemzug.

Hätten die Verantwortlichen in den Städten den aussichtslosen Kampf nur eine Woche früher beendet, dann wären tausendfach Leben gerettet, wäre unzählbares Leid erspart geblieben. Das sagt sich leicht, 70 Jahre danach. Doch es gibt Beispiele von lokalem Widerstand und Ungehorsam gegen das Hitler-Regime. In Greifswald hat eine Gruppe Mutiger Geschichte gemacht, die ihre Stadt vor der Zerstörung rettete.

Drei Mädchen auf Fahrrädern verkündeten den Frieden – während im Reich noch erbittert gekämpft wird. „Hört mal alle her“, riefen sie den vielen Menschen zu, die zu früher Stunde vor den Nahrungsdepots der Wehrmacht standen. „Gebt die Waffen ab und hängt weiße Fahnen aus den Fenstern, dann lassen die Russen uns in Ruhe!“

„Es ist vorbei“
 

Um sechs Uhr morgens am Montag, dem 30. April 1945, war ihr Vater, Max Otto Wurmbach, Oberst der Luftwaffe und stellvertretender Stadtkommandant Greifswalds, übernächtigt nach Hause gekommen. Erleichtert hatte er seinen Töchtern gesagt: „Es ist gelungen! Erzählt den Leuten, dass es vorbei ist.“

Zu ihrer Überraschung waren an vielen Häusern der Hansestadt bereits weiße Laken, Tücher und Kissen gehisst. Zettel – „Bekanntmachung!“ - wurden an die Wände gekleistert. Darauf stand frisch gedruckt, was Wurmbach und weitere Parlamentäre über Nacht heimlich mit der Roten Armee vereinbart hatten. Im Auftrag des Stadtkommandanten Rudolf Petershagen haben sie Greifswald kampflos übergeben

Noch am 12. April hatte das Oberkommando der Wehrmacht den Befehl erlassen: „Städte müssen bis zum Äußersten verteidigt werden.“ Wer zuwiderhandelt, „verliert Ehre und Leben“. In Greifswald hielten viele einen Kampf für sinnlos. Doch wenige wagten, darüber auch nur zu sprechen. Überall herrschte Angst vor Denunziation.

Nachtfahrt ins Nichts
 

Wurmbachs Vorgesetzter Stadtkommandant Petershagen wurde in der DDR später verehrt als Antifaschist und Mann des Widerstands. Das war allerdings seit der Wende auch zunehmend umstritten, weil sein Antifaschismus als konstruiert, vor allem aber der Ruhm nur ihm und weniger den anderen galt. Unstreitig ist, dass Petershagen die Stadt kampflos übergeben wollte und mit Wurmbach wie anderen diesen Plan teilte.

Unabhängig von ihnen wollte auch Carl Engel, Rektor der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, den Angriff abwenden. Er schlug Petershagen vor, Greifswald wegen 10.000 verwundeter Soldaten zur „internationalen Lazarettstadt“ zu erklären. So fand sich ein Kreis des Vertrauens, zu dem auch Major Johann Schönfeld zählt sowie der Universitätsklinik-Direktor Gerhard Katsch, dessen Tagebücher nun zum 70. Jahrestag der Rettungsaktion veröffentlicht werden.

Diese Männer wollten den Russen entgegenkommen. Doch wie? Es war ausgeschlossen, telefonisch oder telegraphisch mit den anrückenden Feinden in Kontakt zu treten. Die einzige Möglichkeit war eine Nachtfahrt ins Nichts, die den Tod bedeuten konnte.

Am 29. April hatte die Rote Armee die Stadt Anklam erreicht, gut 30 Kilometer südöstlich von Greifswald. Die Greifswalder Freunde versammelten sich abends in Petershagens Villa. Wurmbach entwarf die Kapitulationsvorschläge. Gegen 23 Uhr machten sie sich auf den Weg. Der kriegsversehrte Petershagen blieb zurück, Wurmbach leitete die Mission.

45.000 Menschen gerettet
 

„Wir rollten im Dunkel in ziemlich schneller Fahrt ins Niemandsland weiter. Kein Mensch, kein Gefährt begegnete uns mehr auf der Landstraße“, schrieb Engel hinterher. „Huschende Gestalten. Russen oder Deutsche? Das war in dem matten Dämmerlicht nicht auszumachen.“ Die Parlamentäre hätten die weiße Fahne gehisst. Ihr Wagen sei umringt worden von „braunen Gestalten in Pelzmützen“, die Wurmbach gebeten habe, ihn und seine Begleiter zum nächsten Truppenführer zu lotsen. Durch das brennende Anklam wurden die Parlamentäre in ein kleines Haus geleitet, wo der sowjetische Divisionsstab sein Quartier aufgeschlagen hatte.

Es war zwei Uhr Nachts, als hochrangige sowjetische Militärs die Deutschen mangels Strom bei Kerzenschein empfingen. Die erfuhren, wie wenig Zeit noch blieb. Um drei Uhr sollte die Beschießung und Einnahme Greifswalds beginnen. Der Countdown lief wie beim Entschärfen einer Zeitbombe. In letzter Minute wurde der sowjetische Angriff gestoppt. 45.000 Menschen, darunter 15.000 Flüchtlinge und Verwundete blieben vom Feuer verschont. Greifswald hatte Frieden – neun Tage vor Kriegsende.

Am 30. April um elf Uhr wurde im Rathaus die Übergabe der Stadt gefeiert. Später erfuhren die Deutschen über Volksempfänger, Hitler sei am Nachmittag dieses Tages „bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus kämpfend für Deutschland gefallen“. Großadmiral Dönitz befahl, den Kampf unter allen Umständen fortzusetzen, um „deutsche Menschen vor der Vernichtung durch den vordringenden bolschewistischen Feind zu retten“.

Am 1. Mai 1945 ziehen die Rotarmisten in endlosen Schlangen an Greifswald vorbei in Richtung Stralsund und Rügen. Tags darauf werden die Parlamentäre und weitere Verschwörer in sowjetische Gefangenschaft genommen. Wurmbach und weitere werden sie nicht überleben. Doch Greifswald erinnert heute seiner Retter vor 70 Jahren.

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