- Kampf um den Kampf der Kulturen
Über wenige Bücher ist so erbittert gestritten worden wie über Samuel P. Huntingtons „Clash of Civilizations“. Taugt es für Gegenwartsanalysen? Man sollte sich Autor und Werk noch einmal ansehen
Heute den „Clash of Civilizations“ von 1996 zu lesen, ist verblüffend. Wie Samuel P. Huntington in seinem Buch Rap hörende, islamistische Bombenbauer beschreibt. Wie er die „Möglichkeit einer Spaltung der Ukraine“ erahnt, die „blutiger als in der Tschechoslowakei verlaufen könnte“, und dazu noch einen russischen General zitiert, der sagt, die Ostukraine werde in spätestens 15 Jahren nach Russland zurückkommen. Wie er fürchtet, dass die Türkei ihre „demütigende Rolle als Bittsteller um Aufnahme in den Westen“ durch die des „wichtigsten islamischen Gesprächspartners und Antagonisten des Westens“ ersetzen könnte. Wie er die Islamfeindlichkeit Deutschlands und Westeuropas angesichts wachsender Migrantenströme voraussieht und die Angst vor einer Islamisierung des Abendlands.
Seitdem der Harvard-Professor Huntington seine Thesen veröffentlichte, ist immer wieder heftig um das Buch gestritten worden. Unmittelbar danach, dann wieder erbittert nach dem 11. September 2001. Jetzt, nach den Anschlägen von Paris, ist Huntington wieder in der Debatte. „Der Islam hat blutige Ränder“, zitiert AfD-Vize Konrad Adam aus dem „Kampf der Kulturen“, wie die deutsche Übersetzung heißt. US-Außenminister John Kerry dagegen erklärt, die Morde von Paris seien „nicht Teil eines Kampfes der Kulturen, sondern desjenigen zwischen der Zivilisation und ihren Gegnern“.
Taugen die 20 Jahre alten Thesen des 2008 verstorbenen Harvard-Professors überhaupt noch als Maßstab für Gegenwartsanalysen? Treffen die Prognosen von damals die Lage der Welt von 2015? Hilft sein Werk uns heute noch weiter? Und was würde Huntington selber zum islamistischen Terror der jüngsten Zeit sagen?
Huntingtons Weggefährten erinnern sich
Für seine Titelgeschichte in der neuen Ausgabe hat Cicero-Chefreporter Constantin Magnis das Buch noch einmal gelesen und er hat mit Weggefährten Huntingtons gesprochen: Mit seinem Lektor Robert Bender, mit seinem Professorenkollegen Robert Keohane oder mit der damaligen Chefin seines deutschen Verlags Gisela Anna Stümpel.
Ein Weggefährte ist auch der Politikwissenschaftler Bassam Tibi, den Huntington einst nach Harvard holte. Tibi denkt heute, dass die jüngste Geschichte Huntington recht gibt. Dass ein Zivilisationskonflikt zwischen dem Islam und dem Westen längst tobt, dass die Attentate von New York und Paris Symptome davon sind. Er glaubt nur, dass Huntington die Wandlungsfähigkeit von Kulturen unterschätzt hat. Dass sein alter Kollege aus Harvard sich täuscht, wenn er den Konflikt der beiden Welten für eine gegebene Konstante hält.
In der neuen Ausgabe von Cicero wird Huntingtons Weltsicht beschrieben, sein Weg und seine Eigenheiten. Als die Befürworter der Bush-Kriege gegen die „Achse des Bösen“ sich auf Huntington beriefen, weigerte er sich mitzuspielen. „Es ist Osamas Ziel, aus seinem Krieg gegen die Zivilisation einen Kampf der Kulturen zwischen dem Islam und dem Westen zu machen“, erklärte der Professor immer wieder. „Es wäre ein Desaster, wenn ihm das gelänge.“
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