- Die deutsche Selbstgefälligkeit
Wir sind stolz auf den vierten Stern und genießen das Schulterklopfen aus dem Ausland. Deutsche Tugenden sind hoch im Kurs – solange man sie nicht selbst erbringen muss
Schau an: „Der Spiegel“ erlaubt uns plötzlich einen Patriotismus, vor dem das Nachrichtenmagazin stets gewarnt hat. Die Illustrierte „Stern“ ruft gar das Ende der „Deutschen Angst“ aus, die in den Hamburger Redaktionsstuben Jahrzehnte lang geschürt wurde. Jetzt fehlt nur noch, dass auch „Die Zeit“ ihre Miesepetrigkeit abwirft und in die Lobeshymnen einstimmt, mit denen uns das Ausland regelrecht überschüttet. Dann muss auf dem Hochsitz der Moral, von dem aus das Hamburger Dreigestirn strenge Haltungsnoten vergibt, umgeflaggt werden: Schwarz-Rot-Gold statt Trauerflor. Und das alles, weil „unsere“ Kicker den Weltpokal im Fußballs geholt haben? Soviel Glückseligkeit macht skeptisch.
Schaffen statt schwafeln
Denn zum deutschen Gemüt gehört der Selbstzweifel. Der Mühlstein der Geschichte zwingt uns stets zum leicht gebeugten Gang. Bloß kein Hurra-Patriotismus. Manuel Neuer hat diese Haltung vorbildlich verkörpert: Nach dem Schützenfest von Belo Horizonte (1:7 gegen den fünfmaligen Weltmeister Brasilien!) hat ihn der „Ehrentreffer“ der gedemütigten Gastgeber in letzter Minute sichtlich gewurmt. Auch in der Stunde des großen Triumpfes verzeiht sich der weltbeste Torhüter keine Nachlässigkeit. Präzisionsarbeit bis zum Schluss. Frei nach dem Claim des Sponsors: Das Beste oder nichts.
Auch Joachim „Jogi“ Löw steht für diese sympathische Zerknirschtheit. Schaffen statt schwafeln. So wünscht man sich Elite. Mit dieser Demutshaltung ist das deutsche Team auch Weltmeister der Herzen geworden. Seither werden weltweit die „deutschen Tugenden“ gelobt, derer man sich doch zu Hause lange geschämt hat: Einsatzfreude, Ordnungsliebe, Fleiß, Disziplin und vor allem Teamgeist. Das ist ein herber Schlag für die linken Sauertöpfe, die schon beim Anblick der Nationalfahne Pusteln bekommen. Sie haben noch ihren Oskar Lafontaine im Ohr, der 1982 – mit Blick auf den damaligen Kanzler Helmut Schmidt (SPD) – die Parole ausgab: Mit den deutschen (Sekundär-)Tugenden könne man auch ein KZ betreiben.
Schon muss man die ewig Sorgenvollen, die bei jeder nationalen Regung den braunen Dämon aufsteigen sehen, trösten und ihnen zurufen: Ängstigt Euch nicht! Die deutschen Tugenden sind allenfalls auf dem Platz gefragt. Außerhalb des Spielfeldes haben die Achtundsechziger ganze Arbeit geleistet: In unseren Schulen ist Leistung geradezu verpönt. Wo die Noten noch nicht abgeschafft sind, werden sie durch Großzügigkeit entwertet. Der Einser-Abiturient ist heute Massenware. So vom eigenen Unwissen beflügelt, strebt die Generation Y rasch ein Leben ohne Stress und mit viel Freizeit an. Work-Life-Balance statt Pflichterfüllung bis zum letzten Schweißtropfen. Schon nehmen die Gewerkschaften den Ruhestand ab 60 ins Visier.
Der Unterschied zwischen Schein und Sein
Gerne kleben wir uns stolz den vierten Stern auf die Brust - aber sich dafür jahrelang schinden, wie Lahm, Müller & Co.? Dann doch lieber südländisch chillen. Und der Ordnungssinn? Es genügt ein Blick auf Parks und Haltestellen, bevor der kommunale Reinigungsdienst anrückt: Die Nation der Nachhaltigkeit lässt gerne andere für sich putzen.
Schwarze und rote Sozialdemokraten kennen den Unterschied zwischen Schein und Sein. Anstatt die gute Laune für Reformen zu nutzen, um das Land auch für stürmische Zeiten wetterfest zu machen, werden die Wähler mit flauschigen Wohlfühlerlassen besänftigt: Frühverrentung ab 63, Mütterrente für alle, Mindestlohn per Staatsakt und Mietpreisbremse per Kabinettsverfügung. Die große Koalition wird vom Kleingeist regiert und verschont ihr Volk vor den Härten des Lebens. Mit unserer wackeligen Energiewende retten wir natürlich das Weltklima und durch den geplanten Verzicht auf Rüstungsexporte schaffen wir den Weltfrieden.
Denn „Mutti“ sagt: Alles bleibt gut, sorget Euch nicht. Die Kanzlerin zelebriert ihr eigenes Sommermärchen. Softball statt Fußball. Deutschland, ein großes Vier-Sterne-Paradies, das nur spielerisch Weltmeister werden will. Gutes tun und gut leben.
Auf Wolke sieben ist es ziemlich einsam
Zu dumm nur, dass die Welt partout nicht am deutschen Öko-, Sozial- und Friedenswesen genesen will. Auf Wolke sieben ist es ziemlich einsam. Um uns herum brauen sich Gewinner zusammen: Bürgerkrieg in der Ost-Ukraine mit dramatischen Folgen. Der Nahe Osten in Flammen. Die Freundschaft zu den USA zerrüttet. Und in der Europäischen Union geht es auch wieder hemdsärmelig zur Sache, seit dem wichtige Posten zu vergeben sind. Dass eine kleine Bankenkrise in Portugal die Börsen einknicken lässt, erinnert uns daran, wie wenig die Euro-Krise ausgestanden ist.
Wie steht es um den deutschen Teamgeist, der nun allseits gelobt wird, wenn die Verteilungskämpfe wieder härter werden? Wenn die Euro-Bürgschaften eingelöst werden müssen und die tatsächlichen Schulden, etwa für Pensionen, nicht mehr versteckt werden können? Die Spieler der Nationalmannschaft wissen: Siege sind schön. Doch ausruhen darf man sich auf Lorbeeren nicht. Das nächste Spiel ist immer das schwerste. Darauf muss man sich vorbereiten. Mit Disziplin und Demut. Man weiß nicht so recht, ob der Kader um Jogi Löw dem Zeitgeist voraus ist oder diesem weit hinterherhinkt. Aber ganz offensichtlich leben die Deutschen und ihre Staatskicker aber in unterschiedlichen Zeitzonen. Hier selbstbewusste Selbstzweifel, dort geliehene Selbstgefälligkeit.
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