- Wie Medien die News verkürzten
Viele Medien verbreiteten die News einer vermeintlich rassistischen Äußerung von Hessens Justiz- und Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn. Allein, es fehlte der Zusammenhang
Ein Leitspruch des Journalismus sagt sich leicht, weil er so selbstverständlich klingt: „All the news that´s fit to print.“ So steht es täglich links oben auf Seite Eins der „New York Times“. Dieser Satz gilt auch für deutsche Medien, die sich andauernd fragen: Welche Nachricht ist es wert, gedruckt oder gesendet zu werden? Und welche nicht?
Zum Wochenende waren fast alle Medienmacher mit einer Antwort überfordert. Wahrscheinlich stellten sich die meisten nicht einmal die Frage. Denn es ging – wieder einmal - um die zerrüttete FDP. Es klang nach weiterem Chaos, nach Intrige und sogar Rassismus. Da zwingt offenbar der journalistische Reflex, zu sagen: „fit to print“.
Allerdings war der vermeintliche Skandal zwei Tage später keine Zeile mehr wert. Dabei stand er am Donnerstag und Freitag ganz oben in den Nachrichten: „Rassismus-Vorwurf: FDP-Mann Hahn empört mit Äußerungen zu Röslers Herkunft“. So hieß es fast wortgleich in vielen Nachrichtenportalen. Wobei auch in den ausgiebigsten Texten unklar blieb, wer eigentlich wem Rassismus vorwirft.
Im Kern stand ein tatsächlich wirrer Satz von Hessens Justiz- und Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn. Er hatte beim Redaktionsbesuch einem Dutzend Redakteuren der Regionalzeitung „Frankfurter Neue Presse“ ein Interview gegeben. Darin geht es fast nur um hessische Landespolitik und die Aussichten der FDP bei der Landtagswahl im September. Das Pulver zur Skandalrakete steckte in dieser Passage zum Schluss:
„Frage: Wie soll die Zugkraft der Partei aber entstehen, wenn es mit Brüderle als Spitzenkandidaten und Rösler als Vorsitzenden zwei Personen gibt, die sich nicht sonderlich verstehen?
Hahn: Indem sie sich zusammenraufen und das gemeinsam machen.
Frage: Ist die Debatte um Rösler beendet?
Hahn: Ja. Wir werden sicherlich noch eine kleine Personalsdebatte bekommen über die Frage der Besetzung des FDP-Präsidiums auf Bundesebene auf dem Sonderparteitag Anfang März. Also, ob Herr Niebel und Herr Kubicki etwa noch mal eine Rolle spielen. Bei Philipp Rösler würde ich allerdings gerne wissen, ob unsere Gesellschaft schon so weit ist, einen asiatisch aussehenden Vizekanzler auch noch länger zu akzeptieren.“
Es folgte dann noch eine Frage zum Fluglärm - und das war´s. Einem Dutzend Redakteure fiel demnach kein Rassismus auf, niemand hakte bei Hahn nach, wie er das meine mit der Akzeptanz und dem „asiatisch aussehenden Vizekanzler“. Der Satz stand auch den halben Donnerstag lang in der Zeitung, ohne dass irgendetwas geschah. Bis dann die hessische Opposition auf ihre Weise darauf aufmerksam machte. Wobei ihr nicht ganz klar zu sein schien, wie sie den Satz deuten sollte.
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Die SPD sah darin einen Angriff auf „unsere Gesellschaft“ und empörte sich so: „Dass Herr Hahn in Frage stellt, ob unsere Gesellschaft einen 'asiatisch aussehenden Vizekanzler' noch länger akzeptiert, ist eine stillose Entgleisung.“ Das sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, Günter Rudolph. Er setzte noch fix hinzu, die Äußerung „zeigt auch, dass der Integrationsminister selbst offenbar rassistische Tendenzen hat“. Was wohl heißen soll: Wer sich fragt, welche Rolle Rassismus in der Gesellschaft spielt, ist selbst Rassist.
Die andere Oppositionspartei, die Linke, war in ihrer Hahn-Kritik nicht so kompliziert. Sie mutmaßte in der Äußerung des FDP-Landeschefs einen direkten Angriff auf den FDP-Bundesvorsitzenden: Linken-Fraktionschefin Janine Wissler sagte, „Hahn greift mit seiner Anspielung auf Philipp Röslers Aussehen in die allerunterste Schublade des politischen Machtkampfs“. Als Hessischer Integrationsminister „erweist sich Hahn damit als offensichtliche und unerträgliche Fehlbesetzung“. Es dauerte exakt 90 Minuten, bis dann gemeldet wurde, was der Linken-Bundesvorsitzende Bernd Riexinger Hahn vorwarf: „Rassismus in Reinkultur“. Riexinger forderte via dpa Hahns politisches Ende: „Er ist für kein öffentliches Amt tragbar. Die FDP muss Hahn zurückziehen, wenn er nicht von selbst geht.“
Nun gehört es zum Geschäft jeder Opposition, einen Popanz erst aufzubauen, um ihn dann unter möglichst viel Beifall niederzuringen. Und Hahn machte es den politischen Gegnern mit seiner unpräzisen Formulierung allzu einfach. Sie mussten seinen Satz gar nicht aus irgendeinem Zusammenhang reißen, weil er völlig zusammenhanglos in dem Interview baumelte. So gesehen hat die Opposition professionell gearbeitet.
Die Medien jedoch haben das nicht getan. Sie hielten diesen Streit zwar für eine „news fit to print“, stellten aber nicht „all the news“ dar, also den ganzen Zusammenhang. Denn jeder, der sich halbwegs auskennt in der FDP, hätte zwei Dinge wissen – und sogleich schreiben - können: Hahn gehört zu Röslers Freunden, sofern es Freunde gibt in der FDP. Und der Landeschef würde doch nicht ein halbes Jahr vor seiner Landtagswahl aus heiterem Himmel Krawall gegen den Bundeschef schüren, nicht einmal in der FDP.
Der Chefredakteur der „Frankfurter Neuen Presse“ schrieb am Folgetag zur Klarstellung: „Einen rassistischen Zungenschlag hat die Redakteursrunde in diesen Sätzen nicht wahrgenommen, ganz im Gegenteil: Die Kollegen verstanden die Äußerung des FDP-Manns als Hinweis darauf, dass die deutsche Gesellschaft heute hoffentlich so weit sei, auch Menschen nicht-deutscher Herkunft in politische Verantwortung zu wählen.“
Niemand hätte für diese Interpretation des Satzes bei dem Chefredakteur, bei Rösler oder bei Hahn selbst anrufen müssen. Jeder hätte nur das Interview ganz lesen müssen, das online stand. Darin hat Hahn ja ausdrücklich gesagt, dass die FDP-Spitze sich zusammenraufen solle, und dass die Debatte um Rösler beendet sei. Um dann im nächsten Satz eine neue zu beginnen?
Tags zuvor wurde einer Ministerin der Doktorgrad entzogen, auch weil sie teils Sekundärquellen zitiert habe und nicht die Primärquelle, also das Original. Das sollte auch jedem Berichterstatter eine Lehre sein.
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