- Die letzte Schlacht der Generation Gorleben
Auch wenn Rebecca Harms auf ihre alten Tage noch einmal grüne Spitzenkandidatin für Europa wurde, ist nicht zu übersehen: Die grüne Gründergeneration tritt ab und hinterlässt eine orientierungslose Partei
Ska Keller, den Namen sollte man sich merken. Zwar scheiterte die 32-Jährige am Wochenende bei der Wahl zur deutschen Spitzenkandidatin bei der Europawahl. Aber es besteht kein Zweifel, die Europapolitikerin hat Zukunft bei den Grünen – nicht nur in Brüssel, sondern auch in Berlin. Sie ist jung, sie ist ehrgeizig und sie bringt jenen Schuss Machiavellismus mit, den es braucht, um in der großen Politik Karriere zu machen.
Auf dem Parteitag in Dresden unterlag Ska Keller einem grünen Urgestein: Rebecca Harms. In der vergangenen Woche sah es zwar noch so aus, als stünde die grüne Fraktionsvorsitzende im Europaparlament gegen die jugendliche Herausforderin mit dem Rücken zur Wand. Keller hatte gegen Harms bereits die Internet-Abstimmung um die europäische Spitzenkandidatur gewonnen. Nun forderte sie auch Platz eins auf der deutschen Liste.
Das Gorleben-Argument verliert an Strahlkraft
Doch dann packte die 57-Jährige vor den Delegierten ein Argument aus, das bei den Grünen noch immer große Wirkungsmacht hat: „Gorleben-Aktivistin“. Das reichte, um Ska Keller deutlich auf die Plätze zu verweisen: Sie bekam nur 248 Stimmen, landete schließlich hinter dem Finanzexperten Sven Giegold auf Listenplatz drei.
Auf Parteitagen lebt der Gründungsmythos der Grünen. Die Delegierten lassen sich noch begeistern, wenn eine von ihnen von früher erzählt, wenn einer sagen kann: „Ich war dabei!“, in Gorleben, in Wackersdorf oder auch bei der Schlacht am Bauzaun in Brokdorf.
Außerhalb des eigenen Biotops hat der Mythos Gorleben längst an Strahlkraft verloren. Und spätestens seit der Bundestagswahl im September vergangenen Jahres kämpft die grüne Generation Gorleben in der deutschen Politik ihre letzte Schlacht. Jürgen Trittin und Renate Künast wurden aufs politische Altenteil verabschiedet. Claudia Roth darf im Bundestagspräsidium ihr Gnadenbrot genießen. Viele grüne Gründer erreichen jetzt das Rentenalter. Doch anders als es einst die legendäre Rockband „Ton, Steine, Scherben“ intonierte, können sie nicht mit Inbrunst „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ singen.
Scherbenhaufen nach verkorkstem Wahlkampf
Im Gegenteil. Die Generation Gorleben hat bei den Grünen nach der Bundestagswahl 2013 einen ziemlich großen politischen Scherbenhaufen hinterlassen. Die Grünen haben kein Thema mehr für die politische Mobilisierung. Sie haben keine Machtoption und kein überzeugendes Führungspersonal.
Der peinliche Steuererhöhungswahlkampf und die schmerzliche Niederlage vom September wirken nach. Realos und Linke belauern sich in der Partei gegenseitig, erwecken aber gleichermaßen den Eindruck, als seien sie orientierungslos. Wie die Grünen ihre föderale Macht im Bundesrat nutzen wollen, ist völlig unklar. Die Nachfolger von Trittin, Künast und Co tun sich schwer.
Ein neues grünes Projekt ist nicht in Sicht. Drei Jahrzehnte lang hielt die Parole „Atomkraft, nein danke“ die grüne Partei auch über tiefe innerparteiliche Gräben zusammen, der Mythos Gorleben, der Kampf gegen den Atomstaat und für den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft bildeten den Markenkern der Partei. Doch inzwischen stehen die Grünen sozusagen auf der anderen Seite der Barrikade. Seit Fukushima ist der Atomausstieg Staatsräson.
Bei der Energiewende sind die Grünen plötzlich in der Defensive, sie müssen steigende Strompreise und die Verspargelung der Landschaft rechtfertigen, den Netzausbau gegen protestierende Anwohner durchsetzen. Zudem können sie sich der Suche nach einem atomaren Endlager nicht länger verweigern. Dies alles fällt der Partei sichtlich schwer. Obwohl CDU, CSU und SPD in der Großen Koalition heftig über die Zukunft der Energiewende streiten, schaffen es die Grünen kaum, sich Gehör zu verschaffen.
Auch die Frage, mit wem sie im Bund eigentlich regieren wollen, können die Grünen derzeit nicht beantworten. Viel zu lange klammerten sich die Partei an die Illusion, sie könnten zusammen mit der SPD noch einmal eine Bundestagswahl gewinnen. Viel zu lange wurde gleichzeitig Schwarz-Grün als Machtoption ausgeschlossen. Jetzt droht den Grünen im Bundestag die Daueropposition.
Schwarz-Grün: Machtperspektive, aber nicht in der Praxis
Die Chance, die Bereitschaft der Union zu Schwarz-Grün ernsthaft zu testen, haben sie nach der Bundestagswahl ohne Not vertan. Viel zu früh haben sie im Oktober aus Angst vor der eigenen Courage die Sondierungsgespräche verlassen. Die schwarz-grüne Koalition in Hessen begreift die Partei überhaupt nicht als strategisches Projekt, mit dem sie im bundesdeutschen Parteiensystem zur Scharnierpartei werden könnten. So bleibt Schwarz-Grün nur theoretisch eine Machtperspektive.
Stattdessen setzen viele Grüne jetzt auf Rot-Rot-Grün, und sie laufen damit Gefahr, erneut einer Illusion hinterherzurennen. Ein ökologisch-soziales Linksbündnis als Alternative zur Große Koalition ist noch in weiter Ferne. Selbst wenn die Linkspartei ihre Fundamentalopposition aufgibt und sich SPD und Linke in den kommenden Jahren politisch annähren, wären die Grünen nur Zaungast. Käme es 2017 in der Bundespolitik tatsächlich zu einer links-rechts Konfrontation, bei der die Union gegen Rot-Rot steht, drohen die Grünen gar zerrieben zu werden. Also können sich die Grünen auf Rot-Rot-Grün eigentlich nur einlassen, wenn sie sich selbstbewusst als bürgerliche Partei mit liberalem und ökologischem Profil profilieren. Doch danach sieht es nicht aus. Niemand in der Partei traut sich offenbar, auf diesem Weg voranzugehen. Ehrgeiz und Machtwille allein, das wird auch Ska Keller noch lernen müssen, macht noch kein grünes Programm und noch keine Zukunftsstrategie.
So konnte sich Rebecca Harms auf dem Europaparteitag noch einmal durchsetzen. „Ich will die Welt immer noch verändern“, verkündete sie am Wochenende in Dresden. Nur: Von früher zu erzählen und den überholten grünen Gründungsmythos zu beschwören, wird da nicht reichen. Die grüne Gründergeneration tritt ab und hinterlässt eine orientierungslose Partei.
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