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SPD - Sigmars Sieg und Gabriels Risiko

Der SPD-Vorsitzende triumphiert. Die SPD-Basis stimmt für die Große Koalition und demonstriert ihre Politikfähigkeit. Aber die Fesseln der Basis könnten der Partei noch so manches Problem bereiten

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Was für ein Triumph. 76 Prozent der SPD-Mitglieder stimmen für die Koalition mit CDU und CSU. Was für ein Spektakel. Jubel brandet auf, als das Ergebnis am Samstagnachmittag in Berlin verkündet wird. Die Spannung der Genossen entlädt sich in Stadionatmosphäre. Der Großen Koalition steht nun nichts mehr im Wege. Sigmar Gabriel genießt seinen Triumpf zunächst still, später wird der Parteivorsitzende die Mitgliederbefragung stolz „ein Fest für die Demokratie“ nennen.

Das deutliche Votum der SPD-Mitglieder ist für Sigmar Gabriel auch ein ganz persönlicher Sieg. Der SPD-Vorsitzende hat nicht nur mit der Union einen offenbar tragfähigen Kompromiss ausgehandelt. Gabriel hat nicht nur seine Partei, die seit der Agenda 2010 tief zerrüttet und verunsichert war, befriedet, die rebellische Basis gezähmt. Er hat dafür zentrale Bestandteile der sozialdemokratischen Agenda-Politik aus den 2000er Jahren revidiert - z.B. in der Rentenpolitik - und er hat sich unverhohlen von dem Basta-Politikstil eines Gerhard Schröder oder Franz Müntefering distanziert.

Zugleich hat sich Gabriels Hallodri-Image quasi über Nacht in Wohlgefallen aufgelöst. In den letzten drei Monaten hat er etwas geleistet, was ihm kaum ein Genosse zutraute. Vergessen der miserable Wahlkampf, vergessen die sommerliche Kabale mit dem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, vergessen das blamable Wahlergebnis. Zuletzt konnte man gelegentlich den Eindruck gewinnen, die SPD sei keine Partei, sondern eine politische Selbsthilfegruppe, nicht politik- und nicht regierungsfähig. Auch der Eindruck ist verflogen, vorerst.

Sigmar Gabriel heißt der neue starke Mann der SPD. Seit Oskar Lafontaine hat die SPD keinen Vorsitzenden mehr gehabt, der so fest und so unangefochten im Sattel saß. Nur drei Monate hat Sigmar Gabriel gebraucht, um sich neu zu erfinden und seine innerparteilichen Konkurrenten kaltzustellen. Hannelore Kraft? Eine Provinzfürstin. Olaf Scholz? Ein Bürgermeister. Frank-Walter Steinmeier? Verhandlungsreisender. Nur drei Monate hat Sigmar Gabriel gebraucht, um sich als zuverlässiger politsicher Unterhändler zu profilieren sowie als verschwiegener politischer Partner. Die Frage, die sich nun stellt, lautet nicht mehr will Gabriel Kanzler, sondern kann Gabriel Kanzler.

Davon muss er nun die Wähler überzeugen. Jeden Posten hätte sich Sigmar Gabriel in der Regierung dafür aussuchen können. Er hätte Fraktionsvorsitzender werden können, um außerhalb der Kabinettsdisziplin die rot-rote Annährung voranzutreiben. Er hätte Finanzminister werden können, manche Genossen sagen, werden müssen, um in der Großen Koalition Ressort übergreifend die finanzpolitischen Leitlinien bestimmen zu können. Gabriel hätte sich auch das Außenamt greifen können, schließlich erfreuen sich die Außenminister, egal welcher Partei sie angehören, bei den Deutschen traditionell großer Beliebtheit.

Der SPD-Vorsitzende hat sich anders entschieden. Er wird in der Großen Koalition Superminister; zuständig für Wirtschaft und Energie, zuständig für die größte wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Herausforderung, vor der dieses Land steht: den Umstieg von der Atomkraft auf regenerative Energien. Auf dem Weg ins Kanzleramt will sich Gabriel also als Mann der Wirtschaft profilieren, als Mann der großen Aufgaben, nicht der kleinen.

Das Kalkül ist offenkundig. Nur mit wirtschaftspolitischer Kompetenz erreicht die SPD neue Wähler und nur wenn die SPD in die Mitte rückt, hat Rot-Rot-Grün eine Chance. Allein mit der Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit, das hat der Wahlkampf dieses Jahres gezeigt, sind die Sozialdemokraten nicht mehrheitsfähig. Solange sich SPD, Linke und Grüne einen Wettbewerb um Steuererhöhungen leisten, wendet sich das Wahlvolk mehrheitlich ab. Rechts blinken, um links abbiegen zu können, so muss für Sigmar Gabriel in den kommenden Jahren deshalb die Devise heißen. Es ist seine einzige Chance. Ein Linksbündnis ist schließlich nicht nur der einzige Weg, auf dem Gabriel Kanzler werden kann. Es ist zudem jener Ausweg, den Gabriel seinen Genossen versprochen hat, damit sie sich zumindest für die kommenden vier Jahre in die Rolle des Juniorpartners der Großen Koalition fügen. Jetzt erwarten die Genossen, dass Gabriel spätestens 2017 liefert.

Womit wir bei den Risiken wären, die der Triumpf von Sigmar Gabriel in sich birgt.

Da ist erstens die Basis, die durch das Mitgliedervotum deutlich an Einfluss in der Partei gewonnen hat. Die Mitglieder haben der SPD-Führung politische Fesseln angelegt. Sie werden sich wieder zu Wort melden, wenn ihnen die Politik da oben nicht gefällt und sie werden selbstbewusst ihre Erwartungen formulieren. Und wenn der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler in den kommenden Jahren politische Beinfreiheit braucht, zum Beispiel weil die Wirklichkeit die Politik vor Entscheidungen und vor allem unpopuläre Entscheidungen stellt, die während der Koalitionsverhandlungen nicht vorhersehbaren waren, dann wird Sigmar Gabriel diese Fesseln spüren. Vor allem jedoch könnten die Anhänger von Rot-Rot-Grün in der SPD schneller ihre Geduld mit der Großen Koalition verlieren, als dem Parteivorsitzenden lieb sein kann.

Zweitens zahlt die SPD einen politischen Preis für die Rückgewinnung ihrer Politikfähigkeit. Der Mindestlohn mag notwendig und richtig sein. Aber die ambitionierten Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag müssen erst noch umgesetzt werden, ohne dass es auf dem Arbeitsmarkt Chaos gibt und ohne dass die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellt. Einfach wird das nicht. Die Plünderung der Rentenkassen und die Abkehr von der Rente mit 67 könnte sich spätestens dann rächen, wenn die Jüngeren kapieren, dass sie dafür bezahlen. 

Drittens schließlich bleibt auch Sigmar Gabriel ein politisches Risiko. So sehr er in den letzten Wochen viele seiner Mitstreiter und auch die Öffentlichkeit mit seiner Professionalität überrascht hat, so wenig ist ausgeschlossen, dass er in alte Verhaltensmuster zurückfällt. So unangreifbar er als Parteivorsitzender derzeit ist, so schnell kann sich die Stimmung in der SPD wieder drehen.

Das alles wird die Zukunft zeigen. Erst einmal jedoch können die Sozialdemokraten hoch zufrieden sein. Sie gehen selbstbewusst in die Große Koalition. Die SPD hat in den letzten drei Monaten mehr erreicht, als man ihr nach der deutlichen Wahlniederlage zutrauen konnte. Jetzt allerdings wird es Zeit, dass die Genossen sich erst einmal an ein Wort von Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnern: Es wird Zeit, das wir regieren. Lange genug hat sich die Partei mit sich selbst beschäftigt.

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