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#Groko - Infrastruktur statt Klientelbeglückung

Union und SPD verhandeln seit Wochen ohne Richtung und ohne Ziel. Dabei gibt es ein Projekt, dass nur die Große Koalition stemmen kann: die Sanierung der verrotteten Infrastruktur in Deutschland

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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Vergangene Woche hat der Wettbewerbskommissar der Europäischen Union, Olli Rehn, das Musterland Deutschland gerüffelt für seinen chronischen Leistungsbilanzüberschuss. Dieser liegt seit Jahren über den vereinbarten sechs Prozent. Zur gleichen Zeit verhandeln Union und SPD über eine Neuauflage der Großen Koalition. Diese beiden Ereignisse laufen völlig unverbunden nebeneinander her. Was schade ist. Denn es gibt einen elementaren Zusammenhang.

Seit Wochen, die sich wie Monate anfühlen, arbeiten Union und SPD an den Grundlagen für einen Koalitionsvertrag. Alles Bestreben der einen wie der anderen Seite zielt nur darauf ab, der jeweiligen Klientel, den eigenen Wählern und Parteimitgliedern, Herzenswünsche zu erfüllen. Mütterrente und Betreuungsgeld auf der einen Seite, Mindestlohn und Rente mit 63 auf der anderen Seite. So türmen sich die sozialen Verbesserungen der Großen Koalition derzeit auf, ohne dass an diesem Turm irgendeine Kontur, irgendein überwölbendes Ziel erkennbar wäre.

Wenn nicht alle Deutschen so reflexhaft empört auf Rehns Zwischenruf reagiert hätten, könnte dieses Ziel der Großen Koalition in dem Hinweis aus Brüssel liegen. Natürlich ist es barer Unsinn, dass Deutschland die Qualität seiner Produkte absenkt oder den Export drosselt, um sich auf europäischem Niveau nivellieren zu lassen. Es ist gut und richtig und wunderbar, dass „Made in Germany“ nach wie vor ein Gütesiegel ist und dass alle Welt diese Top-Produkte aus Deutschland haben möchte.

Aber Rehns Hinweis zielt auch gar nicht darauf ab, Deutschland zu mehr Produktion von Schund anzuhalten. Es geht auch gar nicht darum, den Streber auf Mittelmaß zu stutzen. Es geht vielmehr darum, dass Deutschland im eigenen Land zu wenig investiert. Und da ist ja viel dran. Die Infrastruktur des Landes ist ziemlich verrottet. Schulen, Straßen und Schienen machen inzwischen vor allem im Westen einen mittelenglischen Eindruck. Bahnchef Rüdiger Grube hat den Nachholbedarf allein bei den Schienen auf fünf Milliarden Euro taxiert.

 

 

Hierin könnte das gemeinsame Ziel einer Großen Koalition bestehen. CDU, CSU und SPD könnten sich gemeinsam vornehmen, Deutschland infrastrukturell wieder auf Vordermann zu bringen; Schulen zu sanieren, Straßen zu erneuern, Gleise zu begradigen, endlich ein schnelles Internet an jedem Ort der Republik zu ermöglichen, die Kindergärten weiter auszubauen, Universitäten zu modernisieren.

Das kostet auch alles Geld, sehr viel Geld, aber dieses Geld ist besser angelegt, gemeinwohlorientierter als die Klientelbeglückung, auf die es zwischen den Koalitionspartnern in spe derzeit hinausläuft. Und die Investitionen schaffen Arbeit und Arbeitsplätze, für deutsche Unternehmer und europäische.

Eine Agenda 2030, die Deutschland in der Substanz auf Vordermann bringt, das wäre ein Projekt, dem sich Union und SPD gemeinsam verschreiben könnten. Es wäre ein Projekt, das die angemessene Größe für eine Große Koalition hat, nicht zuletzt, weil hier bislang die zweite (verkorkste) Föderalismusreform mit ihrem Kooperationsverbot von Bund und Ländern einer solchen Agenda an vielen Stellen im Wege steht. Für eine dritte Föderalismusreform, die diesen Missstand behebt, brauchen sich Union und SPD ohnehin gegenseitig. Also ist eine Große Koalition genau der richtige Moment dafür, sie auf den Weg zu bringen.

Deutschland hat zurzeit kein drängendes Sozialstaatsproblem. Deutschland hat ein Infrastrukturproblem. Dessen sollte sich die Große Koalition annehmen.

Warum das keiner der Koalitionäre macht? Weil sie alle nur Ihre jeweilige Klientel im Blick haben. Weil keiner das ganze Bild sieht, sondern jeder nur seinen Ausschnitt. Und weil Schienen, Schulen und Straßen nicht zur Wahl gehen.     

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