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Koalitionsgespräche - Die Basar-Republik

Wahlen, Wähler und Intrigen: Schon jetzt gehören die Koalitionsverhandlungen zu den längsten in der Geschichte der Bundesrepublik. Weder Union noch SPD zeigen sich kompromissbereit. Denn alles andere wäre für sie jetzt riskant

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Die Suche nach einer neuen Bundesregierung geht mittlerweile in die siebte Woche. Es dauert noch, bis die nächste Koalition steht, aber die Deutschen sind erstaunlich geduldig. Zählt man den Wahlkampf hinzu, wird das Land seit fast sechs Monaten nicht mehr regiert. Fast könnte man mittlerweile meinen, dieses Land braucht gar keine neue Regierung. Es verwaltet sich irgendwie ganz von selbst, es schadet nicht einmal, dass viele leitende Regierungsbeamte derzeit Däumchen drehen oder Überstunden abfeiern.

Auch die Koalitionsverhandlungen ziehen sich und stellen die Wähler auf eine harte Geduldsprobe. Mindestlohn, PKW-Maut, Frauenquote – seit mittlerweile vierzehn Tagen ringen CDU, CSU und SPD hinter verschlossenen Türen um die Spiegelstriche im Koalitionsvertrag. Aber wirklich nähergekommen sind sich die drei Parteien nicht. Und ob in dieser Woche wirklich schon Beschlussfähiges auf dem Tisch liegen wird, daran darf man seine Zweifel haben.

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Allein mit diesem Verhandlungsmarathon jedoch wagen die drei Möchtegern-Partner Historisches. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik haben sich Koalitionsverhandlungen so lange hingezogen. Ob die neue Regierung tatsächlich bis Weihnachten steht, ist alles andere als sicher. Noch nie gab es in den kleinen und großen Verhandlungsrunden, Steuerungsgruppen und Unterarbeitsgruppen so viele Unterhändler. Allein die große Verhandlungsrunde mit ihren 77 Mitgliedern weckt eher Erinnerungen an ein Politbüro als an effektive Kompromisssuche. Vor allem aber stand für die drei beteiligten Parteien noch nie so viel auf dem Spiel.

Heutige Fehler könnten sich später rächen


Dies liegt nicht nur daran, dass die SPD-Basis über das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen das letzte Wort sprechen wird. Auch der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hat den Mund im Vorfeld der Verhandlungen ziemlich vollgenommen. Kanzlerin Merkel hingegen hat sich vor allem bei dem festgelegt, was nicht geht: Steuererhöhungen, PKW-Maut, Eurobonds. Einfach wird die Kompromisssuche deshalb nicht. Kein Wunder, dass die Verhandlungsführer bislang vor allem diplomatische Noten ausgetauscht haben. Die Angst vor der Wut der Basis und dem Hohn der veröffentlichten Meinung ist groß.

Es wird – wenn der Kompromiss steht – viel Geduld und viel Überredungskunst bedürfen, die Anhänger der Parteien wieder von den Bäumen zu holen. Zugleich wissen alle beteiligten Parteien: Fehler, die sie jetzt machen, können sich schon bald rächen, umstrittene Zugeständnisse als gefährlicher Bumerang erweisen, faule Kompromisse die Regierungsarbeit über die gesamte Legislaturperiode hinweg belasten.

Vor vier Jahren etwa verhandelten sich Union und FDP im Überschwang des Wahlsieges in einen Rausch, der die Arbeit der schwarz-gelben Bundesregierung von Anfang an belastete. Vor allem das großspurige Auftreten der Liberalen kam selbst bei bürgerlichen Wählern überhaupt nicht an. 2005 ließen sich die Sozialdemokraten von der Union über den Tisch ziehen: Die deutliche Erhöhung der Mehrwertsteuer, die die Sozialdemokraten zuvor im Wahlkampf vehement bekämpft hatten, beschädigte deren Glaubwürdigkeit nachhaltig. Wer erklären will, warum die SPD bei der Bundestagswahl auf 23 Prozent abstürzte und wer erklären will, warum die FDP 2013 aus dem Bundestag flog, kommt an den jeweiligen Koalitionsverhandlungen vier Jahre zuvor nicht vorbei.

Weil die Parteien dies wissen, ist die Kompromisssuche so schwierig. Natürlich sind sich Union und SPD schnell einig, wenn es darum geht, Geschenke zu verteilen. Für mehr Bildung, höhere Renten und eine bessere Infrastruktur lassen sich die Milliarden leicht verteilen. Der Finanzminister wird schon zahlen. Doch dort, wo die Parteien etwas zu verlieren haben, geht es bei den Koalitionsverhandlungen zu wie auf dem Basar. Da wird getrickst und getäuscht, es werden Kompromissformeln getestet und falsche Fährten gelegt.

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Die CSU zum Beispiel bemüht derzeit die EU-Komission in Brüssel und das Verkehrsministerium, um ihrer Forderung nach Einführung einer Pkw-Maut Nachdruck zu verleihen. Auch die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft versteht sich darauf, die Interessen der heimischen Kohleindustrie vehement ins Spiel zu bringen. Der CDU-Mittelstand hingegen versucht, seinen schwindenden Einfluss mit wortreichen Erklärungen und öffentlichen Protesten gegen die „wirtschaftsfeindlichen Vorhaben“ der Sozialdemokraten zu kompensieren.

Vor allem um das Thema Mindestlohn schleichen sich die Verhandlungspartner. Denn so wie es aussieht, entscheidet sich allen voran am Mindestlohn, ob CDU, CSU und SPD erstens überhaupt zusammenkommen und zweitens die Koalitionsverhandlungen ohne nachhaltige Beschädigung ihres Ansehens überstehen.

Kompromiss beim Mindestlohn? Nicht in Sicht


Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel betonte am vergangenen Wochenende einmal mehr, seine Partei werde keinem Koalitionsvertrag ohne einen flächendeckenden und einheitlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro zustimmen. Nur SPD-pur wird die Union bei diesem heiklen Thema kaum zustimmen. Angela Merkel erklärte zwar zum selben Zeitpunkt, sie wisse, dass ihre Partei bei dieser Frage „kompromissbereit“ sein müsse. Wie aber ein Kompromiss aussehen könnte, der die SPD-Basis und den CSU-Mittelstand, die Gewerkschaften und die Unternehmer gleichermaßen besänftigt, bei dem Sigmar Gabriel und Angela Merkel gleichermaßen ihr Gesicht wahren können, weiß bislang niemand. Eine Annäherung ist nicht in Sicht, ein Formelkompromiss wird vor allem beim SPD-Mitgliederentscheid nicht weiterhelfen.

So freundlich die Politiker von CDU, CSU und SPD mittlerweile miteinander plaudern, so munter sie sich in den Verhandlungsmarathon gestürzt haben, so weit sind sie noch von der Einigung über eine gemeinsame Regierungspolitik für die kommenden vier Jahre entfernt. Die Erfahrung zeigt: Schlechte Kompromisse holen eine Koalition schnell ein. Es könnte also sein, dass die Koalitionsverhandlungen alle Zeitpläne sprengen werden. Nicht ausgeschlossen, dass die Kompromissbereitschaft erst wächst, wenn die Wähler die Geduld verlieren.

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