- Ein Zerrbild des Politikbetriebs
Niveaulos? Ja. Nervig? Sicher auch. Man kann Raabs neuer Polit-Talkshow alles vorwerfen, aber eines hat sie dennoch unbewusst geschafft: der Politik einen Spiegel vorzuhalten. Denn die Regeln für einen Sieg in einer Talkshow sind die gleichen wie für den Erfolg in der Politik
Wenn die erste Riege der Politik nicht auf dem Sofa Platz nehmen will, dann wird eben ihr oberster Vertreter an die Wand genagelt. In Stefan Raabs Debüt-Polittalk erging es Joachim Gauck so: Sein Bildnis war Teil der Studiodeko.
Die Sendung „Absolute Mehrheit – Meinung muss sich wieder lohnen“ hatte redlich Mühe, Prominenz vor die Kamera zu locken. Ausgeblieben waren etwa Umfällt- äh Umweltminister Peter Altmaier (hatte abgesagt), der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen Volker Beck (wurde ausgeladen) und Piraten-Geschäftsführer Johannes Ponader (hatte einen Maulkorb seiner Partei erhalten). Stattdessen kamen Zweitligisten wie Michael Fuchs von der CDU, Jan van Aken für die Linkspartei, und – na gut – Thomas Oppermann von der SPD sowie Wolfgang Kubicki für die FDP. Als weibliches Gesicht musste die Unternehmerin Verena Delius herhalten.
Aber Gaucks Konterfei hätte daran erinnern sollen, dass Politik auch etwas mit Rhetorik zu tun hat. Zumindest in der Theorie. Denn bei Raab geht es da eher um so Fragen wie: „Wo kann ich in Ruhe kiffen?“ – so leitete der Moderator selbst seine Sendung ein. Der Mann, der von „TV Total“, über „Schlag den Raab“, „Wok-WM“ und „Unser Star für Oslo“ schon alles durch- und wegmoderiert hat, wollte nun den Polittalk „revolutionieren“ – mindestens. Und was kam? Ein peinliches thematisches Einspielvideo, ein bisschen Diskussion, die Reklame für das zu gewinnende Auto, dann der Zwischenstand der Zuschauerabstimmung, schließlich Werbung. Und dann wieder alles von vorne.
Zugegeben, mit seinem Anspruch hat Raab selbst die Steilvorlage für die hämischen, von übernächtigten Kulturkritikern zusammengetippten Verrisse geliefert, die sich ab 6 Uhr ins Netz ergossen. Doch der sagenhafte Erfolg seiner Sendung am Sonntagabend spricht für ihn: 1,28 Millionen der 14- bis 49-Jährige sahen seine Show, ein Marktanteil von 18,3 Prozent in der werberelevanten Gruppe. Damit hatte Raab zu deutlich späterer Stunde mehr junge Zuschauer als Günter Jauch.
Während sich die Feuilletons also über die erwartbare Niveaulosigkeit einer Pro-Sieben-Sendung für Chips futternde Plattenbaubewohner in Jogginghosen erregten, merkten sie nicht, dass Raab nicht nur ihnen, sondern dem ganzen Politikbetrieb den Spiegel vorgehalten hat. Ob der Entertainer das bewusst einplante, bleibt freilich offen.
Aus seiner Show jedenfalls lassen sich Erkenntnisse für die perfekte Polit-Performance ableiten. Denn die Mehrheiten in der Politik bringen nicht die Newsjunkies ein, auch nicht die gut informierten Meinungsführer. Wer in der Politik gewinnen will – egal, ob bei Raab oder bei der nächsten Wahl – muss die Masse überzeugen. Und also nur diese Regeln beherzigen:
Seite 2: Die acht Regeln des Polittalks
1. Besser ein paar Mätzchen als zu viele inhaltliche Sätzchen.
Raab gab den Befehl aus: Alles soll schön locker laufen. Also nutzte er den Auftakt zur Befragung des CDU-Wirtschaftsexperten nicht etwa für eine Sachfrage, sondern für einen Kalauer: „Herr Fuchs, wer hat die Gans gestohlen?“ Kubicki setzte etwas später nach: „Lieber einen guten Freund verlieren als auf einen guten Spruch verzichten.“
Dass dieses Prinzip in der Politik genauso funktioniert, hat schon Obama gewusst, als er im TV-Duell auf Romneys Beschwerde über eine zu kleine Marine konterte: „Wir haben auch weniger Pferde und Bajonette.“ Es war der Spruch der Fernsehdebatten. Der Demokrat gewann das Duell und die Wahl – die Atomstreitmacht will eben einen lustigen Oberbefehlshaber.
2. Es gewinnt, wer möglichst lässig rüberkommt.
In der Politshow herrschen längst die gleichen Regeln wie früher auf dem Schulhof: Wer nicht cool ist, fliegt raus. Die ollen Streber hießen bei Raab: Fuchs und Oppermann. Obwohl sich zwischen ihnen zweimal so etwas wie ein inhaltlicher Schlagabtausch zu den Themen Reichensteuer und Energiewende entwickelte, die beiden sich sogar erregt gegenseitig ins Wort fielen, wurden sie von den Zuschauern auf Platz drei und fünf verwiesen. Fuchs versuchte etwa noch tapfer, Werbung für die Bundestags-App zu machen, aber da wurde ihm von Raab das Wort abgeschnitten.
Wer in der Politik als „uncool und angepasst“ gilt, ist unten durch. Als solche wurde schon Renate Künast abgestempelt, als sie die Berlin-Wahl 2011 vermasselte. Kein Wunder, dass die hippen Grünen ihr auch bei der Urwahl keine Gnade gewährten.
3. Bloß nicht dem Moderator widersprechen.
Als Raab mit Kubicki über die Bundes-FDP ätzte, ließ er eine üble Bemerkung gegen Wirtschaftsminister Philipp Rösler fallen: „Hoffentlich fallen ihm beim Zugucken nicht die Stäbchen aus der Hand.“ Die Kandidaten lächelten nur dünn, bloß nichts dagegen halten, auch wenn der Moderator noch so dummes Zeug redet. Irgendwie entlarvend, denn in der Politik (Stichwort Betreuungsgeld) macht das auch keiner.
4. Nicht höflich sein.
Wer die Regeln des gesitteten Umgangs befolgt, wird gnadenlos bestraft. Der Philosoph Jürgen Habermas sagte einmal, ein idealer Diskurs sei dann gegeben, wenn alle Sprechteilnehmer die gleichen Chancen hätten. Die Unternehmerin Delius versuchte das zu befolgen. Als Raab sie bat, die Positionen zur Energiewende zusammenzufassen, wandte sie ein, Kubicki habe ja noch gar nichts dazu gesagt. Sie ließ dem Kieler Fraktionschef den Vortritt, der sodann losschwadronierte – sie selbst kam nicht mehr zu Wort. Noch in der gleichen Runde flog sie raus.
Die Lektion: Wer aus Edelmut das Wort erteilt, könnte Nachteile haben. Das musste etwa Bundestagspräsident Norbert Lammert erfahren, als er in der Debatte über den Europäischen Stabilitätsmechanismus zwei Abweichler zu Wort kommen ließ. Kurz danach versuchte Schwarz-Gelb, seine Fraktionäre mit einem Maulkorbgesetz zu gängeln – wenn auch erfolglos.
Seite 3: Du musst das Thema gar nicht kennen, Hauptsache, du sagst überhaupt was
5. Du musst das Thema gar nicht kennen, Hauptsache, du sagst überhaupt was.
Die Produzenten scherten sich auch wenig um Expertentum oder wenigstens inhaltlich passende Gesprächspartner. Der FDP-Querkopf Kubicki und CDU-Mann Fuchs, der noch für eine AKW-Laufzeitverlängerung gekämpft hatte, konnten sicher nicht als prominente Verteidiger von Schwarz-Gelb herhalten. Obendrein war Fuchs aus der Wertung ausgeschieden, bevor die Runde die Energiewende diskutierte. Und die Internetaktivistin Delius war draußen, bevor es um Netzthemen ging. Tatsächlich hätte man auch nicht viel Wissen gebraucht, um mitzudiskutieren. Über reine Schlagzeilen kamen alle Gesprächsteilnehmer nicht hinaus.
Die Übertragung auf die Politik? Bitte einmal in eine Bundestagsdebatte setzen!
6. Wenn du Populist bist, lass dich einladen.
Der Populismus boomt, ob in der realen Politik oder im Studio. Als Delius etwa vorschlug, mit einer Reichensteuer bessere Bildungsangebote zu schaffen, erhielt sie dafür von allen Seiten Zustimmung. Das war genauso billig wie Kubicki, der auf Rösler prügelte oder wie van Aken, der alleinig den Stromkonzernen die Schuld für die Kosten der Energiewende zuschieben wollte. Der Linke verstand es auch am besten, persönlicher zu werden, als er seinen CDU-Kontrahenten anging: „Wenn man Faktencheck macht, fällt alles, was Fuchs sagt, zusammen.“ Dass es hier keinen Check geben würde, weil Fakten kaum eine Rolle spielten, versteht sich von selbst.
7. Das Aussehen entscheidet.
Mit seiner Frage an den völlig verblüfften ProSiebenSat.1-Nachrichtenchef Peter Limbourg entblößte Raab gleich noch eine schöne Wahrheit: „Oder wählen Sie nicht auch mal den mit der schöneren Frisur?“ Ein Schelm, wer da an die nicht enden wollenden Boulevardberichte und Bildergalerien über die Kanzlerin denkt.
8. Bringe Leute mit, die für dich klatschen.
Gilt mittlerweile für jeden Parteitag, der ausstaffiert wird mit Leuten, die Fahnen schwenken, Leuten, die Stecker und Kulis verteilen, Leuten, die jubeln. Bei Raab hat das nur einer beherzigt: Wolfgang Kubicki. Von seinem Fanclub kam nach jedem Statement zuverlässig Applaus, manchmal sogar ein Johlen. Und siehe da: Der alte Trickser war der Sieger des Abends. Sicher auch, weil er wie kein anderer die Performance-Regeln in der Politik verinnerlicht hat. Die absolute Mehrheit – und damit die 100.000 Euro – verpasste er allerdings.
In diesem Fall ist das für Raab ein Grund zu jubeln: Der Jackpot für seine nächste Sendung, voraussichtlich im Januar, steigt. Mehr Geld heißt mehr Spannung heißt noch mehr Quote.
Raab hat nichts Revolutionäres geschaffen, nicht einmal fundamental Neues. Er hat einfach nur die Extreme des Polittalks weiter herausgeschält. So lange, bis nur noch die Karikatur einer Talkshow übrig blieb.
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