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(Julia Gerlach) Bis vor kurzem noch von Gaddafi in Deutschland gejagt, baut er jetzt seine Heimat mit auf: Elhadi Elghariani

Libyer Abu Ahmed Yakobi - Vom Koranlehrer zum Regierungsberater

Noch vor einem Jahr unterrichtete er an einer Hamburger Moschee, heute berät er Libyens Regierungschef

„Fahr zur Hölle, Gaddafi!“ steht in großen Buchstaben auf der eingestürzten Betonmauer. Daneben das ehemalige Gästehaus des Diktators. Eine Nato-Bombe hat es zusammenklappen lassen wie ein Kartenhaus. Bab al ­Azizia, Oberst Muammar al Gaddafis einstiger Wohnkomplex, ist ein riesiges Trümmerfeld. Besprüht mit Parolen des Hasses.

In Trümmern liegt auch die libysche Gesellschaft. „Die 40 Jahre Diktatur und der Krieg im vergangenen Jahr haben unendlich viele Wunden geschlagen“, sagt der Herr mit dem grauen Bart. Der 62-Jährige ist Berater des libyschen Premierministers, zuständig für Soziales, Gerechtigkeit und Jugend. Anders gesagt: Alle schwierigen Themen fallen in sein Ressort. „Es ist dringend nötig, mit der Wiederversöhnung zu beginnen. Gerechtigkeit ist dabei das Einzige, was uns helfen kann“, sagt er. Es sei aber auch wichtig, Orte des Erinnerns zu schaffen. Bab al Azizia könnte ein solcher Ort werden, vielleicht ein Park für Familien. Irgendwann in der Zukunft.

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Erst einmal gibt es dringendere Probleme: Meldungen, dass in den Gefängnissen von Misrata gefoltert wird, haben die Weltgemeinschaft aufgeschreckt, und die libysche Regierung gerät bei diesem Thema an ihre Grenzen – in Misrata hat die Regierung nichts zu sagen, hier regieren die Milizen. Diese machen Jagd auf Gaddafi-Anhänger, und oft werden ihre Opfer bei der Festnahme schwer misshandelt. Opfer? „Es ist natürlich nicht richtig, dass gefoltert wird, aber man muss bedenken, was die Menschen in Misrata im Krieg durchgemacht haben, Massenvergewaltigungen und monatelange Belagerung – natürlich hassen sie ihre Gefangenen“, erklärt der Berater. Enden wird die Folter wohl erst, wenn die Gefängnisse dem Staat unterstellt werden, Gerichte die Täter bestrafen und die Milizen sich in die neue Armee eingliedern. Dazu aber braucht Libyen eine funktionsfähige Regierung. „Ich sagte Ihnen ja, wir haben eine Menge zu tun“, sagt der Mann mit dem grauen Bart. Hat er keinen Namen? Doch! Das ist aber eine lange Geschichte.

Bis vor einem Jahr war er unter dem Namen Abu Ahmed Yakobi bekannt, ein angesehener Mann des Islam in Deutschland. Abu Ahmed, wie ihn seine vielen Schüler liebevoll nennen, hat jahrzehntelang in einer kleinen Moschee im Hamburger Bahnhofsviertel Koranunterricht gegeben. Freitagabends versammelten sich Jugendliche, um mit ihm den Islam zu diskutieren. Ja, diskutieren! Denn Abu Ahmed steht für einen aufgeschlossenen Islam. Er gehört auch zu den Gründern des Schura-Rates in Hamburg.

Abu Ahmed, zu diesem Namen kam er in den frühen achtziger Jahren, auf Anraten der deutschen Polizei. Damals stand er auf der Todesliste Gaddafis, und fast hätte es ihn auch erwischt. Als er 1980 zur Passverlängerung in die libysche Botschaft in Bonn ging, stellte man ihn dort vor ein „Revolutionsgericht“, und er wurde zwei Tage gefoltert. Dann kam er auf Druck der deutschen Behörden frei. Als seine Peiniger in Deutschland vor Gericht gestellt wurden, setzte Gaddafi deutsche Ingenieure in Tripolis hinter Gitter. Die Bundesregierung war kurz davor, sie auszutauschen: Abu Ahmed gegen die Ingenieure. Der Hubschrauber wartete schon. Nur ein Wunder rettete ihn: „Danach habe ich aufgehört, Politik zu machen“, erzählt er. Er war noch dabei, als 1981 in Dallas die „Libysche Rettungsfront“ gegründet wurde – aus dieser Zeit kennt Abu Ahmed auch den heutigen Premierminister Abdurrahim al Keib und viele andere, die im neuen Libyen eine Rolle spielen. Dann zog er sich zurück und kümmerte sich um die jungen Muslime in Hamburg.

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Mit Ausbruch des arabischen Frühlings fand Abu Ahmed zu seinem alten Ich zurück. Er heißt jetzt wieder Elhadi Elghariani, und natürlich legte er sich ein Facebook-Account zu. Schnell nahm er Kontakt auf, organisierte Verbandsmaterial für die Rebellen und brachte die Opposition über Skype zusammen. Alte Bekannte und neue Gesichter. Heute wohnt er im prächtigen Hotel Korintia in Tripolis. Es ist der inoffizielle Regierungssitz der neuen libyschen Regierung, denn viele Minister sind erst kürzlich aus dem Exil zurückgekommen.

Und der Islam? Gerade ihm muss doch am Herzen liegen, dass er im neuen Libyen eine Rolle spielt. „Meine Tochter hat neulich geschimpft und erklärt, ich würde schon reden wie ein Säkularer“, sagt er lachend. Tatsächlich ist die Diskussion über die Rolle des Islam im neuen Libyen aus seiner Sicht Zeitverschwendung. „Die Menschen“, so Abu Ahmed, „sehnen sich nach Sicherheit, Gerechtigkeit und einem vernünftigen Job. Ihnen dies zu bieten, soll unsere Aufgabe sein.“ Der Islam spiele dabei selbstverständlich eine große Rolle für Politiker wie ihn und für die Menschen. So selbstverständlich, dass man nicht groß darüber zu reden brauche. 

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