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Wahlkampfmisere - Grüne verschrecken ihr Bürgertum

Steuern, Veggie-Day, Pädosexuellen-Affäre: Wie die Grünen relevante Wählergruppen verschreckt haben

Autoreninfo

Georg Löwisch war bis 2015 Textchef bei Cicero. Am liebsten schreibt er Reportagen und Porträts. Zu Cicero kam er von der taz, wo er das Wochenendmagazin sonntaz gründete. Dort kehrte er im Herbst 2015 als Chefredakteur zurück.

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Franz Walter ist nicht nur der zentrale Politikwissenschaftler im Kosmos der Grünen, da er das Verhältnis der Partei zu Pädosexuellen in den achtziger Jahren aufklärt. Die Analysen des Göttinger Forschers helfen auch dabei, die Lage der Partei in diesem Wahlkampf zu verstehen. Genauer: Die Schwierigkeiten in diesem Wahlkampf. Gerade hat eine Allensbach-Umfrage ermittelt, dass die Grünen ihr Wählerpotenzial am wenigsten ausschöpfen und dass an sich grünenfreundliche Bürger verunsichert sind.

Franz Walter also hat im Februar 2005 in einem kurzen taz-Interview zu den Wählern der Grünen folgendes gesagt: "Überragende Ergebnisse bekommen sie in den großbürgerlichen Stadtvierteln, wo man morgens in Boutiquen einkauft und abends teuren italienischen Rotwein trinkt - aber trotzdem die Grünen wählt, damit man sich ohne große Anstrengung für einen Reformer halten kann." 

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Er hat damit einen Erfolgsmechanismus der Grünen erklärt, der in diesem Wahlkampf kaputt gegangen ist. Die Grünen haben jahrelang einem bestimmten Wählertypus ein unwiderstehliches Angebot gemacht. Nennen wir ihn: Herrn Barolo. Er repräsentiert natürlich nur einen Teil der Wählerschaft dieser Partei, jedoch einen relevanten. Er möchte nicht den Castor blockieren, sondern nach einem guten Abendessen über Außenpolitik diskutieren. Er ist bereit und in der Lage, ein wenig mehr fürs Benzin zu bezahlen, aber alles hat seine Grenzen. Engagement für eine bessere Welt? Dass er die Grünen wählt, ist doch auch schon was. Herr Barolo will auf der richtigen Seite stehen, er will ein ruhiges Gewissen. Er will nicht aus der Ruhe gebracht werden. 

Die Grünen hatten das schon einmal verstanden. 1998 beschlossen sie auf dem Magdeburger Parteitag die Forderung, dass der Benzinpreis auf fünf Mark pro Liter steigen soll. Die Umfragewerte stürzten ab, die Grünen sammelten den Beschluss gerade noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl ein. Danach bauten sie ein sehr sensibles Verhältnis zu Herrn Barolo auf. Aber in den vergangenen Jahren hat sich etwas geändert.

Den Boden für diese Veränderung bereiteten die Rauchverbote. Keine andere Partei hat so geschlossen und so konsequent gegen den Tabak gekämpft. Wenn Herr Barolo raucht, ist er seither verunsichert. Selbst wenn er nicht raucht, hat er registriert, dass grüne Politik auf einmal in sein Leben hineinreicht. 

In diesem Wahlkampf hat sich dieser Eindruck verfestigt, weil sich die Grünen nicht nur zu einer Umverteilung bekannten, sondern diese auch sehr konkret beziffert haben. Solche Ehrlichkeit imponiert, sie ist sogar sympathisch. Aber die Idee, zuerst groß über die Finanzierung zu reden und dann über die schönen Dinge, die man damit bezahlen will, hat nicht funktioniert. Sie passt nicht zur Sensibilität von Herrn Barolo. Einmal aus der Ruhe gebracht, glaubt er schnell, dass sein Biometzger am grünen Veggi-Day den Laden zusperren muss und für die Königinnenpastete Co2-Zertifikate benötigt. 

Man stelle sich weiter vor, dass Herr Barolo im Restaurant sitzt und sich von einem Freund, mit dem er neulich noch so nett über die erstarkte chinesische Marine gesprochen hat, fragen lassen muss, wie er zur Pädokriminalität steht. Wo er doch die Grünen wählt. Das möchte Herr Barolo nicht. Er will eine Partei, die so makellos ist wie ein Wohnaccessoire von Manufactum. Makellos muss gar nicht bedeuten frei von Fehlern und Verfehlungen zu sein, das ist niemand. Es heißt, dass man imstande ist, einen Makel wieder los zu werden. Im Fall der pädosexuellen Gruppen bei den Grünen hätte das bedeutet, sofort und umfassend zu handeln. Tell it early, tell it all, tell it yourself, lautet die Lehre des Clinton-Beraters Lanny J. Davis aus dem Lewinsky-Skandal: Erzähl es früh, erzähl alles, erzähl es selbst.

Die Grünen beauftragten richtigerweise Franz Walter, ihre Geschichte auszuleuchten. Aber sie haben sich auf ihn verlassen, anstatt das Thema selber so stark zu bearbeiteten, dass nicht der Eindruck entsteht, sie hätten es ausgelagert. So tröpfeln die Informationen und Bewertungen nach und nach – und kommen eben nicht von der Partei selbst. 

"Immer dann, wenn das Flair der Grünen nachlässt und die Partei einen Hautgout bekommt, gehen diese Stimmen verloren", hat Walter 2005 gesagt. Er meinte die Stimme von Herrn Barolo. Hautgout ist ein französischer Begriff aus der Küchensprache, er steht für strengen Geruch und Geschmack. Das V.i.S.d.P von Jürgen Trittin in einem Kommunalprogramm von 1981, in dem sich auch Pädosexuelle äußern, ist an sich kein Riesenskandal. Aber Wahlkampf bleibt Wahlkampf und Dobrindt bleibt Dobrindt. 

Und Herr Barolo bleibt Herr Barolo.  

Ihm haben die Grünen wenig zu bieten. Sie haben die Chance verpasst, sich als Macher- und Machbarkeitspartei darzustellen. Sie regieren in sechs Bundesländern. Von einem zänkischen Regierungsgezerre wie es bei Schwarz-Gelb üblich ist, hat man aus dem rot-grünen Regierungen in Düsseldorf oder Kiel nichts gehört. Es gibt sogar einen grünen Ministerpräsidenten, der in seinem Land hohes Ansehen genießt. Grüne Profis, das wäre auch etwas für Herrn Barolo.

Dass sich Jürgen Trittin wie ein Staatsmann kleidet, ändert nichts daran, dass er die Grünen in diesem Wahlkampf als Konzeptpartei und nicht als bessere Regierungsalternative profiliert hat. Die Wahlkämpfer haben ihre Steuerpläne sogar kleinteiliger vorgerechnet als die SPD. So wurden sie angreifbar. Gleichzeitig traten Klimaschutz und Energiewende in den Hintergrund. 

Dabei ist der Bundesregierung das Management in diesem Feld misslungen, ausgerechnet bei einem grünen Thema. Die Grünen hätten sich als Regierungsprofis empfehlen können, die sich in der Gemengelage zwischen Nordseewindrädern und lärmempfindlichen Schweinswalen besser auskennen als jede andere Partei. Doch sie haben gar kein Schwergewicht, das die Klimapolitik zu seinem wichtigsten Thema gemacht hat. Trittin: neuerdings Finanzen. Göring-Eckardt: Gerechtigkeit. Özdemir: Integration. Roth: Menschenrechte. Künast: Verbraucher und Sonstiges. So absurd es klingt: Der Ökopartei fehlt auf Bundesebene ein mächtiger Öko.

In den nächsten Woche werden sich die Grünen damit auseinandersetzen. Am Samstag nach der Wahl tagt der Länderrat, das oberste Gremium zwischen den Parteitagen. Da Jürgen Trittin sich zur dominierenden Figur des Wahlkampfes gemacht hat, würde ihm eine Niederlage angelastet. Es wird sein Ergebnis sein. Ab wann ist es seine Pleite? 

9,9 Prozent würden hässlicher wirken als 10,0 Prozent. Dann ist da das Ergebnis der Bundestagswahl von 2009: 10,7 Prozent. Aber die Ergebnisse der Demokratie werden heute an Ergebnissen der Demoskopie gemessen. Die Grünen können dafür die 12 Prozent nehmen, die Emnid ermittelte, als Trittin und Göring-Eckardt Spitzenkandidaten wurden. Oder auch den Rekordwert von 2011: 24 Prozent.

Es war eine Zeit, als Herr Barolo noch ansprechbar war.

 

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