Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Für Arnulf Baring ist sie die politische Absteigerin des Jahres – Angela Merkel

Arnulf Baring - „Merkel hat Bodenhaftung und Kompass verloren“

Der Stern kürte sie zur Person des Jahres: Angela Merkel. Für den Historiker und Publizist Arnulf Baring ist sie hingegen die Absteigerin des Jahres 2011. Für ihn ist sie als Eurokanzlerin gescheitert

 

Diesen Text finden Sie auch in der neuen Ausgabe des Cicero - jetzt am Kiosk zu kaufen oder hier zu bestellen

 

Herr Professor Baring, warum ist Angela ­Merkel in Ihren Augen die politische Absteigerin des Jahres 2011?
Viele kluge Zeitgenossen sehen unsere Regierungschefin auf dem Gipfel ihrer Entschlusskraft und Führungsfähigkeit. Das verblüfft mich, denn ich bin erstaunt, wie sich die Bundeskanzlerin seit dem vergangenen Jahr verändert hat. Ich habe Angela Merkel wegen ihrer hohen Intelligenz und ihres immensen Fleißes immer sehr geschätzt, und besonders gefiel mir ihre Uneitelkeit. Aber seit ihrem abschätzigen Urteil über das Sarrazin-Buch im vergangenen Jahr, von dem sie einräumte, es nicht gelesen zu haben – was sie aber nicht hinderte, es „nicht hilfreich“ zu nennen und den Autor als Bundesbanker untragbar zu finden –, hat sie mehr und mehr die Bodenhaftung verloren. Es ging weiter mit der Abschaffung der Wehrpflicht ohne eine ernsthafte öffentliche Diskussion über absehbare Gefahrenlagen, Alternativen und deren Kosten. Danach kam die völlig überhastete, undurchdachte Kehrtwende in der Kernenergie, die mit unseren europäischen Partnern nicht abgestimmt war. Ihre Kurzatmigkeit findet nun ihren vorläufigen Höhepunkt im Hin und Her bei der Euro­rettung. Mit den Versuchen, die jetzt unternommen werden, lässt sich die Krise um die Gemeinschaftswährung jedenfalls nicht beheben. Meiner Meinung nach hat Angela Merkel wiederholt den Kompass verloren. Sie hat Markenzeichen bürgerlicher Politik, wozu auch ein bestimmtes Familienbild und unsere westliche Bündnistreue gehören, aus Gründen des Machterhalts fallen gelassen. Es geht ihr nur noch um die Anpassung an den Zeitgeist. Mal nähert sie sich den Grünen, dann wieder der SPD. Diese bewusste Vagheit ist verhängnisvoll für ihre eigene Partei, die alle Markenzeichen davonschwimmen sieht, und natürlich für unser Land.

Aber Angela Merkels Kurs findet doch auf den Parteitagen regelmäßig Bestätigung.
Das liegt doch nur daran, dass Parteitage streng hierarchisch von oben nach unten durchorganisiert sind. Es gelingt kaum einem Kritiker, als Delegierter zu einem Parteitag entsandt zu werden. CDU-Parteitage sind mittlerweile Veranstaltungen, wie wir sie aus ehemals kommunistischen Ländern kennen. Das Machtbewusstsein der Kanzlerin zeigt sich übrigens auch darin, dass sie nur zweitklassige Politiker um sich schart, die ihr nicht zu widersprechen wagen.

Im Ausland gilt Angela Merkel schon als „Praeceptor Europae“. Das spricht nicht gerade für ihre Kür zur Absteigerin.
Deutschland als Schulmeister Europas wäre ein außerordentlich gefährliches Vorhaben, das nur zum allgemeinen Hass auf die Bundesrepublik führen kann. Wir haben uns 60 Jahre erfolgreich darum bemüht, mit freundlicher Bescheidenheit und kompromissbereiter Kooperation Vertrauen zu gewinnen. Diese Leistung wird verspielt, wenn wir uns jetzt als Vormacht gebärden, was übrigens weit über unsere Kräfte geht. Wir sind mit der Rolle als Euroretter völlig überfordert.

Auf der Nächsten Seite erfahren Sie mehr über die "Tötengräberin des Euros" Angela Merkel

Aber Angela Merkel kann doch unmöglich riskieren, als Totengräberin des Euro in die Geschichtsbücher einzugehen.
Helmut Kohl wird als Totengräber der DMark in die Geschichtsbücher eingehen, genauso wie Merkel als Totengräberin des Euro – ganz egal, was sie jetzt tut und sagt. Das ist einfach eine Folge der Fehlkonstruktion dieser Gemeinschaftswährung, die auf Dauer nicht taugt, weil sie Länder mit völlig unterschiedlicher Wirtschaftskraft aneinanderkettet. Aber natürlich wird die Europäische Union, in der alle Mitglieder vor dem verfrühten politischen Projekt des Euro harmonisch zusammenarbeiteten, auch nach dem unvermeidlichen Scheitern dieser Gemeinschaftswährung weiterleben – wenn auch freilich in veränderter Gestalt. Weil das so ist, halte ich die Aussage der Kanzlerin „Wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa“ für panisch, für verheerend.

Wie sollte sich Angela Merkel aus Ihrer Sicht in dieser außergewöhnlich schwierigen Situation also verhalten?
Sie muss den übrigen Euroländern klarmachen, dass wir Deutschen beim besten Willen den Euro nicht retten können. Ich habe in einem soeben erschienenen Buch („Schluss mit dem Ausverkauf“, Landt-Verlag) deutlich gemacht, dass es nun in erster Linie darauf ankommt, unsere eigenen Landsleute davon abzuhalten, aus Verbitterung über die verfehlte Eurorettungspolitik aller demokratischen Lager und damit drohender schmerzlicher Vermögensverluste eines Tages das ganze Parteiensystem hinwegzufegen. Ich werfe der Kanzlerin vor, diese riesige Gefahr zu bagatellisieren.

Wagen Sie einen Ausblick auf die politische Zukunft Angela Merkels im Jahr 2012?
Ich bin kein Prophet. Aber der braucht man auch nicht zu sein, um zu prognostizieren, dass sie mit den bisherigen Mitteln die Krise auch im nächsten Jahr nicht wird eindämmen können. Wir müssen damit drohen, den Euro zu verlassen, um eine realistische Beurteilung der Lage in ganz Europa in die Wege zu leiten.
Das Gespräch führte Alexander Marguier

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.