- Kriegsherr und musischer Schöngeist
Beim Einspielen einer CD mit Kompositionen von Friedrich dem Großen fällt unserem Kolumnisten auf, dass der so begabte wie zerrissene Preußenkönig alles andere war als ein musikalischer Dilettant
Als ich vor ein paar Jahren Ahnenforschung für mein erstes Buch betrieb, meinte irgendjemand zu mir: „Dann bist du ja ein halber Preuße!“ Die Bemerkung zielte auf meinen Urururgroßvater ab. Er hatte anno 1812 von der königlich-kurmärkischen Regierung zu Potsdam das Bürgerrecht bescheinigt bekommen. Mütterlicherseits hatte ich sowieso eine starke Berliner Komponente in meiner Vorgeschichte entdeckt, überschattet freilich vom unheilvollen Ende, das die meisten Familien jüdischer Abstammung in Deutschland nahmen.
Aber ein „halber Preuße“? Nein, so habe ich mich nie gefühlt. Doch das ändert nichts daran, dass mich der Mann, der als Inbegriff alles Preußischen gilt, der große König Friedrich, schon lange fasziniert. In letzter Zeit sogar noch mehr denn je, da ich gerade eine CD und einen Dokumentarfilm über den „Alten Fritz“ mitproduziert habe, in Vorbereitung auf das Gedenkjahr 2012, in dem er 300 Jahre alt geworden wäre.
Ein Philosoph auf dem Thron, der komponiert, Opernlibretti entwirft und Flöte spielt – so einer muss eigentlich jeden Musiker für sich einnehmen. Wäre es nicht besser um die Welt bestellt, gäbe es mehr von dieser Sorte, säßen überall nur Schöngeister wie er an den Hebeln der Macht? Man stelle sich vor: Nach den profanen Staatsgeschäften greifen Bundeskanzler oder Präsident zum Instrument, tauchen ab ins Reich der Harmonie und kurieren sich bei Sonaten und Quartetten von finsteren Machtgelüsten und feindseligen Intrigen aus.
Natürlich ist das naiv gedacht, bestenfalls ein frommer Wunsch. Schließlich hat sich auch Preußens Friedrich durch die Musik nicht davon abhalten lassen, zur Durchsetzung seiner Interessen blutige Kriege zu führen. Und trotzdem, dieser König mit seinen musischen Talenten und Passionen, der Gedichte und Sinfonien schrieb, Folter und Zensur weitgehend abschaffte, jeden nach seiner Fasson selig werden lassen wollte, die Kartoffel in seinem Land heimisch machte und Pflichterfüllung zur obersten Maxime erklärte – dieser „Alte Fritz“ ist eine singuläre Gestalt in der Geschichte.
In den vielen Biografien über ihn kommt, finde ich, die menschliche Seite manchmal zu kurz, der tragische Zwiespalt, der sein Leben prägte und aus dem er nie ein Geheimnis machte. „Ich fühle mich nicht für das Jahrhundert gemacht, in dem wir leben“, schrieb er als junger Kronprinz seinem langjährigen Briefpartner Voltaire, und mehr als einmal gab er zu erkennen, dass er lieber zeitlebens auf seinem Schloss in Rheinsberg geblieben wäre, um sich mit Musik zu beschäftigen, anstatt König zu werden. Als beinahe fatalistisch empfinde ich seinen Gedanken, dass „wir eben doch nicht Meister unseres Schicksals“ sind.
Über das Heerwesen von Friedrich II schreibt der britische Militärhistoriker Christopher Duffy: „Im Einsatz hatten sich die Bläser hinter den Kompaniefahnen einzuordnen, deren Platz zwischen dem vierten und fünften Zug des Bataillons war … Sobald die Artillerie und die Handfeuerwaffen beider Seiten zu schießen anhoben, wurde bei den Musikanten jedoch das Pflichtbewusstsein durch den Selbsterhaltungstrieb verdrängt … Bei dem Rückzug war einer der ‚Hauboisten‘ so unvorsichtig, sich im Freien von einem Kosak erwischen zu lassen, der ihn über eine Wiese gejagt hatte. Friedrich lenkte die Aufmerksamkeit seines Stabes auf diesen seltenen Vorfall und bemerkte: ‚Mich soll doch wundern, ob Apoll und die Muse der Tonkunst ihren Zögling retten werden.‘ Im letzten Augenblick wendete sich der Musiker und hielt dem Kosak den riesigen Trichter seines Fagotts entgegen, der daraufhin auch prompt die Flucht ergriff.“
Dass sich Friedrich als Komponist nicht mit den ganz Großen der Zunft messen konnte, hätte auch er selbst wohl kaum bestritten. Böse Zungen behaupten sogar, er habe die eine oder andere Melodie von seinem hoch begabten Hofkomponisten gelegentlich „ausgeliehen“. Doch dass er sehr viel mehr als ein bloßer Dilettant war, wurde mir spätestens in dem Moment klar, als ich mich für die CD daranmachte, das Finale seines G-Dur-Flötenkonzerts für Solovioline umzuschreiben. Vor allem seine vorzüglichen Flötensonaten sprühen vor Frische und lassen einen ganz eigenen individuellen Stil erkennen. Die edle Gestaltung und ihr Gedankenreichtum haben mir hohen Respekt abgenötigt und gezeigt, dass der königliche Tonsetzer ein ebenso gelehriger wie eigenständiger Schüler seines Lehrmeisters Quantz gewesen ist.
In diesem Sinne: Happy Birthday, Majestät!
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