- Die Ministerin und der Plagiatsvorwurf
Ausgerechnet die Bundesbildungsministerin könnte demnächst ihren Doktortitel verlieren: Die Uni Düsseldorf eröffnet ein Plagiatsverfahren gegen Annette Schavan. Was der CDU-Politikerin vorgeworfen wird - und was Wissenschaftler dazu sagen
Mehrere Stunden diskutierten die Mitglieder des Rats der Philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf am Dienstag über den Fall Schavan. Um 20 Uhr 40 schließlich verkündete der Dekan Bruno Bleckmann das Ergebnis der geheimen Abstimmung: Die Uni werde das Hauptverfahren zur Prüfung der Dissertation eröffnen: „Wenn wir als Fakultät substanzielle Anzeichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens erkennen, müssen wir dem konsequent nachgehen – und zwar unabhängig von der Person und ihrer Position“, erklärte Bleckmann.
Das Recht sehe für solche Fälle auch keine Verjährung vor. Die Mitglieder des Gremiums wollten sich in den kommenden zwei Wochen „intensiv“ mit den Unterlagen beschäftigen. Für den 5. Februar ist eine weitere Sitzung anberaumt. Ob dann eine Entscheidung fällt, sei offen, hieß es.
Der Promotionsausschuss der Uni, der die Dissertation zum Thema „Person und Gewissen“ aus dem Jahr 1980 einer Vorprüfung unterzogen hatte, hatte im Dezember einstimmig für die Aberkennung des Titels votiert. Ein Medienbericht, wonach der Ausschuss nicht von einer „leitenden Täuschungsabsicht“ ausgehe, wurde aus der Uni, wie berichtet, zurückgewiesen.
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Was wird Schavan vorgeworfen?
An 60 Stellen der Doktorarbeit fand das Uni-Gutachten laut
„Spiegel“ Plagiate. Es erkannte demnach ein Muster: Schavan
suggeriere, sie habe sich mit Originaltexten von Philosophen und
Psychologen auseinandergesetzt. Tatsächlich nutze sie aber
Darstellungen aus der Sekundärliteratur, ohne das ausreichend zu
kennzeichnen. Die Internetseite „Schavanplag“ beanstandet sogar 91
Stellen auf den insgesamt 351 Seiten der Arbeit.
Typisch ist eine Passage zu Freuds „Unbehagen in der Kultur“. Schavan erläutert Freuds Thesen und verweist auf die entsprechenden Seiten in Freuds Werk. Der Eindruck entsteht, sie habe Freud gelesen. Tatsächlich aber verwendet sie Bausteine aus einem Buch des Psychologen Ernst Stadter – das in der Arbeit jedoch nicht genannt wird. Laut „Schavanplag“ ist diese Stelle umso auffälliger, als Stadter die Gedanken Freuds nicht bloß wiedergibt, sondern sie eigenständig interpretiert.
An einer anderen Stelle gibt Schavan eine längere Passage über den österreichischen Psychoanalytiker Igor Caruso als eigene Beschäftigung mit dessen Schriften aus. Tatsächlich bedient sie sich in der ganzen Passage bei der Habilitationsschrift von Antoni Nowak, der von Schavan aber nur einmal kurz zitiert wird. Deutlich wird hier, wie Schavan ihr Vorgehen zu verschleiern versucht. Sie formuliert Nowaks Sätze etwas um. Und sie übernimmt vier Literaturreferenzen aus dessen Habilitationsschrift, um eigenständige Quellenarbeit zu suggerieren.
Selbst der abschließende knapp 60-seitige Abschnitt der Arbeit, in dem Schavan eigene Thesen entwickelt, enthält Plagiate. So stammt eine ihrer vorgeblich eigenständig formulierten Thesen aus einer Schrift des Kriminologen Lutz Hupperschwiller. Dieser wird jedoch an der Stelle nicht als Quelle angegeben.
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Was sagen Wissenschaftler zu den Vorwürfen?
Unter Wissenschaftlern gehen die Meinungen auseinander. Am
Wochenende erklärte der Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers
von der Universität Zürich im „Spiegel“, es handle sich lediglich
um „viele Flüchtigkeitsfehler“. Christoph Markschies, der ehemalige
Präsident der Humboldt-Universität und stellvertretende Präsident
der Berlin-Brandenburgischen Akademie, sagte, sollte die Uni
Schavan den Titel aberkennen, müsse sie „sicherlich noch vielen
anderen Personen den Doktorgrad entziehen“. Auch der emeritierte
Pädagogik-Professor Heinz-Elmar Tenorth kann nur handwerkliche
Fehler erkennen. Schavans Dissertation gehöre zu einer „Gattung“
von Arbeiten aus jener Zeit, in der die Doktoranden eine Übersicht
über die Forschung anstreben und dabei das Risiko eingehen, „sich
Plagiatsvorwürfe einzuhandeln“.
Volker Rieble, Jura-Professor in München, meint hingegen, Schavan habe klar „betrogen“. Es habe auch „früher“ keinen „abschreibefreundlichen Standard“ in der Wissenschaft gegeben, erklärte Rieble in der „Zeit“. Auch für Michael Hartmann, Soziologe an der Uni Darmstadt, liegt „eindeutig wissenschaftliches Fehlverhalten“ vor. Zu behaupten, vor 30 Jahren seien die Maßstäbe weniger streng gewesen, sei ein „idiotisches Argument“.
Wie verteidigt sich Schavan?
Schon oft stolperten Politiker am Ende nicht über ihren
ursprünglichen Fehler, sondern über ihr Krisenmanagement. Auch
Schavan hat bereits entscheidende Fehler in ihrer Verteidigung
gemacht. Sie hat versucht, massiv die öffentliche Meinung und das
laufende Verfahren zu ihren Gunsten zu beeinflussen – und zwar auf
Kosten der Universität. Professoren, die offenbar von ihr mit dem
vertraulichen Gutachten ausgestattet wurden, haben das Vorgehen der
Universität öffentlich infrage gestellt. Sogar die „Allianz“, der
Bund der zehn großen – und vom Schavan-Ministerium finanzierten –
Forschungseinrichtungen, hat für die Ministerin öffentlich Partei
ergriffen. Der Uni hat Schavan hingegen Redeverbot erteilt.
Durch dieses Verhalten hat sich der von vornherein existierende Rollenkonflikt zwischen ihrem Anliegen als Privatperson und ihrer Aufgabe als Bundeswissenschaftsministerin verschärft. Als Privatperson setzt sie alle Hebel zur Verteidigung ihres Doktorgrads in Bewegung. Doch als Wissenschaftsministerin muss sie die Unabhängigkeit, ja die Dignität der Universitäten und der wissenschaftlichen Einrichtungen in besonderem Maße schützen. Es könnten Zweifel aufkommen, ob Schavan die ihr von den Wählern geliehene Macht als Ministerin für private Zwecke einsetzt und geltende Maßstäbe im eigenen Interesse verschiebt.
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