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Brigitte Lacombe

Regisseur Luc Bondy - „Vor jeder Inszenierung habe ich tiefe Angst“

Der Theaterregisseur Luc Bondy verlässt nach zwölf Jahren Wien. Ein Gespräch über Europa, Ängste und die Sprache der Träume

Autoreninfo

Irene Bazinger ist Theaterjournalistin und lebt in Berlin. Zuletzt gab sie das Buch „Regie: Ruth Berghaus“ heraus (Rotbuch-Verlag)

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Schmal, wach, neugierig sitzt Luc Bondy vor dem Café Sperl im 6. Wiener Gemeindebezirk und genießt die Sonne. Vor ihm liegen zwei Smartphones, eines für Frankreich, eines für Österreich. Er hat heute „Tartuffe“ geprobt und ist jetzt hungrig. Nachdem er eine Leberknödelsuppe bestellt hat, fragt er nach „Das Duell“, Frank Castorfs letzter Inszenierung an der Berliner Volksbühne. Er hat ihn mehrfach zu den Wiener Festwochen eingeladen. Castorf sei so angenehm uneitel, sagt Bondy, und kramt gedankenverloren in dem Rucksack auf dem freien Stuhl. Als er bemerkt, dass es meiner ist, lacht er und entschuldigt sich, dass seine Gedanken immer noch bei Molière sind.
 
Herr Bondy, wie eitel sind denn Sie?
Auch wenn das jetzt eitel klingen mag: Ich glaube, ich bin nicht sehr eitel. Bestimmt verhalte ich mich manchmal eitel oder fühle mich in meiner Eitelkeit gekränkt, aber das ist auch alles. Die Tatsache, dass ich bekannt bin, hat mich noch nie interessiert. Natürlich spüre ich es, wenn mich Leute erkennen und irgendwie für etwas Besonderes halten, aber das ist mir wirklich nicht wichtig. Ich hoffe höchstens auf einen gewissen Prominentenbonus in den Krankenhäusern und dass man mich dort dann besser behandelt, aber leider klappt das eigentlich nie.
 
Eine Zeitlang sah man Sie mit einem speziellen Sitzkissen, das die Nasa gegen die Belastungen in Raumfahrzeugen entwickelt hatte. Ihnen half es, Ihre lädierten Bandscheiben zu schonen und die Rückenschmerzen zu lindern.
Ja, aber das brauche ich inzwischen nicht mehr. Ich mache jetzt viel Sport – außer Yoga gehe ich dreimal pro Woche schwimmen. Bei mir in Paris gibt es ein paar öffentliche Bäder in der Nähe, aber manchmal sind so viele Leute da, dass ich sage, ich gehe nicht im Wasser, sondern in den Menschen schwimmen.
 
Was werden Sie, wenn Sie im Sommer Ihren Intendantenstuhl räumen, von Wien am meisten vermissen?
Ohne dass es sich missgünstig anhört, werde ich im Grunde nichts vermissen, weil ich immer nach vorne schaue. Nur manchmal erinnere ich mich zurück, das ist aber etwas anderes als zurückzuschauen. Wahrscheinlich werde ich eines Tages, wenn ich nicht mehr inszenieren kann, diese Tätigkeit auch nicht vermissen. Ich versuche, mich nie von Gefühlen wie Trauer oder Mutlosigkeit dominieren zu lassen.
 
Wird man Sie, typisch wienerisch, erst so richtig lieben, wenn Sie weggegangen sein werden?
Ich hoffe nicht. Was macht man mit Liebe, von der man weiß, die man aber nicht spürt, weil man nicht mehr da ist?
 
Barrie Kosky, der Intendant der Komischen Oper Berlin, hat jahrelang in Wien gearbeitet und, wie er sagt, sehr viel Antisemitismus erlebt. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Mein Vater hat mir immer gesagt, wenn ich irgendwohin komme und man mir höflich begegnet und mich zuvorkommend fragt, was ich möchte, ein Brötchen oder ein Handtuch oder sonst etwas, obwohl dieser Mensch dabei gleichzeitig das Schlimmste über die Juden denkt, soll es mir egal sein – solange ich es nicht zu spüren kriege (lacht). Natürlich weiß ich vom Antisemitismus in Österreich. Aber ich habe ihn nie abgekriegt, höchstens hier und da für einen Moment. Ich habe in meinem Leben schon andere Erfahrungen gemacht. 
 
Wann und wo denn?
Als junger Mann wurde ich in Nürnberg in der Straßenbahn massiv angepöbelt. Und als ich an der Hamburgischen Staatsoper 1981 Alban Bergs „Wozzeck“ inszenierte, fand ich einen großen Zettel auf der Bühne: „Hau ab, du Judensau, bevor wir dich umbringen!“ Er stammte von einem Chorsänger, denn der Chor sollte echt alte Soldatenschuhe tragen, und das war die nette Antwort dazu. Antisemitismus hat es immer gegeben und wird es immer geben, fürchte ich.
 
Sie nennen sich einen nichtgläubigen Juden.
Ja, ich wurde atheistisch erzogen und bin es auch immer geblieben. Aber ich habe jüdische Freunde, die mich einladen, wenn sie Pessach feiern. Da gehe ich gern hin. Zu Chanukka zünde ich auch Kerzen an und mache ein paar solcher traditionellen Dinge, denn eine bestimmte Zugehörigkeit ist immer angenehm.
 
Wie bereiten Sie sich auf eine Inszenierung vor?
Die Vorbereitung ist für mich ein bestimmter Zustand, in den ich mich als Mensch mit all meinen Gedanken, Gefühlen, Ideen, Zweifeln, Hoffnungen begebe, ehe die Proben beginnen. Und wie ein Talmudist lese ich den jeweiligen Text immer und immer wieder, um ihm nahe zu kommen, indem ich Schicht um Schicht abtrage. Diesmal habe ich außerdem zum Beispiel mit meinem Freund, dem Schriftsteller Peter Stephan Jungk, eine neue Übersetzung gemacht und eine Stückfassung erstellt.
 
In Hölderlins „Hyperion“ heißt es, „Religion ist Liebe der Schönheit“. 
Das gefällt mir, das ist toll. In „Tartuffe“ ist Religion die Liebe der Hässlichkeit. Oder der Hass auf die Schönheit.
 

Sie inszenieren, seit Sie 19 Jahre alt sind. Hat es sich gelohnt?
Das kann ich nicht beantworten, denn ich kenne nichts anderes. Ich weiß nur, dass ich jedes Mal, wenn ich eine Inszenierung plane, Angst habe, richtige, tiefe Angst – vor dem Abenteuer des Theaters, dem Begehren des Textes, der konkreten Umsetzung mit den Schauspielern. Wenn ich keine Angst hätte, wäre meine Arbeit reine Routine. Was für eine schreckliche Vorstellung! Ich will jedes Mal etwas ausprobieren, etwas erforschen, etwas Neues finden. Immer wieder möchte ich die Worte, die Dialoge, das Spiel ganz normal, ganz unverstellt erscheinen lassen. Alles soll selbstverständlich wirken, auch die kompliziertesten Sachverhalte. Das möchte ich vor allen Dingen erreichen. Man soll meine Inszenierungen nicht nur sehen, sondern auch spüren.

Können Sie sich ein anderes Leben denn als Regisseur vorstellen?
Ein kleines bisschen schon, ja. Denn wenn ich nicht immer Probleme mit meinem Rücken und mehr Sitzfleisch hätte, wäre ich gern Schriftsteller geworden.

Literatur ist für Sie eine Frage von Sitzfleisch? Dennoch haben Sie den hoch gelobten Roman „Am Fenster“ (2009), Erzählungen und Gedichte veröffentlicht.
Ich habe keine Geduld mit mir beim Schreiben. Wenn man inszeniert, muss man sich zwar auch sehr konzentrieren, aber anders, nicht so isoliert. Ich weiß nicht, ob mir die Einsamkeit, die man beim Schreiben einfach braucht, auf Dauer bekommen würde, obwohl ich sehr gern schreibe.

Hat das Theater heute noch eine gesellschaftliche Wirkung?
Es hat bestimmt nicht eine so unmittelbare Wirkung, wie sie die Rede eines Politikers in einer Versammlung oder vielleicht einer der Filme von Michael Moore haben kann. Aber das Theater ist eine künstlerische Form, die dem Publikum zeigt, dass es auch andere Kommunikationsweisen gibt als jene, die es normalerweise pflegt, und es kann bei den Zuschauern Gedanken, Erinnerungen, Emotionen freilegen und auslösen – und zwar live. Es geht dabei nicht um bestimmte Inhalte und einen Kanon von Stücken, „das Medium ist die Botschaft“.

Apropos Marshall McLuhan, der ja diese Formel prägte: Wird auch das Theater allmählich ein „globales Dorf“?
Aber ja. Es gibt überall eine große Skepsis gegenüber durcherzählten Stücken und bestimmten, nicht nur geschlossenen, aber vielleicht auf Augenhöhe mit den Zuschauern entwickelten Dramaturgien. Ansonsten ist alles ziemlich orientierungslos, nach dem Motto: Anything goes. Der Einsatz von elektronischem Zubehör, wie Mikroports, Videobeamern, Livekameras und möglichst neuer Technik ist sehr gestiegen. Dadurch sieht alles überall ziemlich gleich aus.

Unterliegt das Theater bald, wie Äpfel oder Gurken, in Brüssel bürokratisch ausgetüftelten EU-Normen?
Vielleicht passiert diese Vereinheitlichung auch schon ganz von allein. Über die Landesgrenzen hinaus kann man feststellen, wie etwa die Lautstärke in den Theatern zugenommen hat. Die Schauspieler stehen oft nahe der Rampe und brüllen nach vorne, die Beleuchtung ist egal, die Kostüme wurden bei H&M gekauft. Vieles, was Regisseure meiner Generation früher bekämpft hatten, kommt unglückseligerweise zurück.

Woran denken Sie?
Wir dachten in einer geradezu stanislawskischen Art an die Tiefenstaffelung einer Szene, an die Gestaltung bis zum Hintergrund der Bühne und dass alles, was da passiert, eine eigene Wirklichkeit und Glaubwürdigkeit bekommt. Aber die Dinge sind derzeit eben nicht so. Es gibt halt leider mehr Theater als Talente und auch viele Menschen, die Künstler sein wollen, ohne über die Begabungen zu verfügen, die dafür nötig sind.

Sie sind Kosmopolit und haben Europa immer als den für Sie relevanten Kulturraum bezeichnet. Was machen Sie, wenn dieser Raum beim Zusammenwachsen seine Besonderheiten immer mehr verliert?
Dieser Prozess verläuft schleichend, man bemerkt ihn kaum. Irgendwann ist Europa wie ein leeres Kino, in dem ein toller Film gezeigt wird, den niemand sehen will. Ich bleibe angesichts dieser politischen wie ästhetischen Entwicklungen gelassen, denn ich kann mich gut anpassen. Das ist vielleicht sehr jüdisch. Wenn Leute aggressiv über Multikultur reden, verstehe ich das nicht, weil ich mehr oder weniger multikulturell groß geworden bin, ohne dass daraus ein Zwang gemacht wurde. Ich wurde in Zürich geboren, wuchs in Frankreich auf, arbeitete in Deutschland. Es war einfach so.

Die verschiedenen europäischen Kulturen sollen oder können in ihrer Vielfalt nebeneinander weiterleben?
Natürlich, sie können nebeneinander und miteinander existieren, aber sie sollen nicht so tun, als gäbe es keine Unterschiede zwischen ihnen.

Sie haben in Deutschland, Österreich, England, Frankreich, der Schweiz und den USA inszeniert, aber nie in einer Sprache, die Sie nicht sprechen. Warum?
Ich halte das für ein Unding. Wie soll man denn da den Schauspielern auf der Probe helfen können? Meines Erachtens inszeniert man am besten in jener Sprache, in der man träumt. Wobei es schön ist, dass ich, oder jemand anderer in meinen Träumen, manchmal eine andere Sprache beherrsche als in der Realität. Hin und wieder sind meine Träume auch stumm oder ich habe beim Erwachen schon vergessen, ob und was geredet wurde. Fahren Sie im Traum manchmal Auto? Sie meinen, weil ich nie einen Führerschein gemacht habe? (lacht) Na, da sollten Sie mich aber mal erleben!

Das Gespräch führte Irene Bazinger 

 

 

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