- Zwischen Todesanzeigen und Tatort
Er schreibt Geschichten über den eigenen Tod, spielt auf der Leinwand abseitige Figuren. Er macht die Musik und trägt die Anzüge des frühen 20. Jahrhunderts. Und er ist Tatort-Kommissar: Ulrich Tukur
Kaum ein Ort ist geeigneter für eine Begegnung mit Ulrich Tukur als das Frankfurter Literaturhaus. Das klassizistische Gebäude mit seinem imposanten Portikus beschwört den Geist des vielbegabten Gastes herauf. Tukur hat sich fernab aller digitalen Hochgeschwindigkeit dem entschleunigten Habitus des frühen 20. Jahrhunderts verschrieben. Gleich achtmal ließ er sich einen Anzug schneidern in Form und Farbe eines Originals der dreißiger Jahre. Bei Lesungen trägt er ihn stets.
Ulrich Tukur sieht es alsAufgabe eines Schauspielers, die eigene Figur zu verteidigen
In seinen Rollen verhandelt Tukur das Fragmentarische, Abseitige. Er spielt Charaktere mit dem berühmten Knacks, die im Mahlwerk des Lebens verloren gehen, dem Jenseits näherstehen als der Erde. In „Das weiße Band“ war er ein herrschsüchtiger Baron, in „Rommel“ der titelgebende NS-General und „Wüstenfuchs“, in „Das Leben der Anderen“ ein regimetreuer Oberstleutnant. „Mich rühren“, sagt er, „Menschen zutiefst, die einen aussichtslosen Kampf kämpfen. Die Aufgabe eines Schauspielers besteht auch darin, die Figuren zu verteidigen, die er spielt. Wie ein Strafverteidiger einen Verbrecher verteidigt.“ So hält er es im Kinofilm „Houston“ des Regisseurs und Autors Bastian Günther, der dafür bei den Hofer Filmtagen mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino prämiert worden ist.
Tukur spielt den Headhunter Clemens Trunschka, der von einem deutschen Konzern beauftragt wird, den Spitzenmanager eines texanischen Ölunternehmens abzuwerben. Doch die Mechanismen der globalisierten Wirtschaftswelt haben Trunschka lädiert. Alkoholkrank ist er längst, das Band zur Familie wird dünn und dünner. Im fernen Texas soll er mit allen Mitteln Kontakt zu dem Topmanager aufnehmen. Bald irrt Trunschka in den Hotel- und Häuserwüsten Houstons ziellos umher: ein Wünschelrutengänger des Geldes, dem der Kompass entzweibrach. Aus dem Psychogramm eines Alkoholikers wird ein Roadmovie, ein Wirtschaftswestern.
Der Hang zur unheimlichen Welt der Musik
Dieser Trunschka sei „ein Mensch im turbokapitalistischen System, der verzweifelt versucht, seine Fassade aufrechtzuerhalten“. Tukur sieht in der Gegenwart eine „Zivilisation, die uns Menschen beschädigt. Wir haben etwas losgetreten, das uns überrennt. Die Geschwindigkeit, die wir angeschlagen haben, ist einfach viel zu schnell. Wir sind als Menschen ganz anders disponiert.“
Ähnlich düstere Klänge stimmt der zwischen den Künsten frei schwebende Ulrich Tukur in der Novelle „Die Spieluhr“ an, die er Ende 2013 vorgelegt hat. Sie beruht auf dem französischen Kinofilm „Séraphine“, in dem Tukur den preußischen Kunstsammler Wilhelm Uhde verkörperte. Nun erzählt er eine spielerische Variante zu diesem Film. Die Figuren werden buchstäblich aufgesogen von den Gemälden eines verwunschenen Schlosses und kommen der Realität abhanden.
Zwar fehle beim Schreiben der Sparringspartner. „Aber“ – bricht es aus Tukur hervor – „du lernst deine Ängste kennen. Eigentlich ist die Novelle die Geschichte meines Todes. Sie ist beseelt von dem Wunsch weiterzuleben, wenigstens in der Kunst, in Gemälden, der Musik. Aber auch vor dieser Welt habe ich Angst. Sie ist unheimlich.“
So zeigt „Die Spieluhr“ auch, dass Tukurs große Leidenschaft der Musik gilt. „Musik ist die Königin der Künste“, schwärmt er, „sie zielt aus der Seele direkt in die Herzen.“ Vor 18 Jahren gründete er die Tanzkapelle „Rhythmus Boys“, die den Charme der „Roaring Twenties“ aufleben lässt. Mit dem Quartett hat er als singender Frontmann bisher vier Alben veröffentlicht.
Italienische Traurigkeit statt robuster deutscher Depression
Das Nachdenken über den Tod begann früh. Im Jugendzimmer in Wedemark bei Großburgwedel, wohin die Familie des gebürtigen Viernheimers umgezogen war, hatte er eine Wand mit ganzseitigen Todesanzeigen aus der FAZ dekoriert. Über dem Epitaphium thronte ein Gemälde seines Großvaters, eines Kunstmalers. Es zeigte: einen sterbenden Soldaten im Dreißigjährigen Krieg.
Der Hang zum Morbiden bleibt die Konstante über alle Umbrüche hinweg. Tukur lebt in der vom Untergang bedrohten Lagunenstadt Venedig. Nein, düster sei er gar nicht, depressiv nicht, „ich bitte Sie!“, höchstens von einer „mediterranen Melancholie“ angesteckt, einer lebenszugewandten Traurigkeit. „Wenn man über das 50. Lebensjahr gesprungen ist und aus dem Paradies vertrieben wurde, ist man umstellt vom Tod. Gerade dann darf man sich den Schneid nicht abkaufen lassen. Du musst weitermarschieren, in Würde und Aufrichtigkeit. Da ist mir eine italienische Traurigkeit viel näher als eine robuste deutsche Depression.“
In diesen fellinihaften Tönen ist der „Tatort“ namens „Schwindelfrei“ mit Tukur als Ermittler Felix Murot gehalten. Spielort ist ein Zirkus. Murot schleust sich als Pianist in die Zirkusband ein, dargestellt von den „Rhythmus Boys“.
„Im Schmerz geboren“, verspricht Tukur feixend, werde ein echter Paukenschlag: „47 Menschen kommen da ums Leben. Das hat noch nicht einmal ein österreichischer Krimi geschafft.“
Im Tatort „Im Schmerz geboren“ wird Tukurs Figur, der LKA-Ermittler Felix Murot, von seiner Vergangenheit eingeholt: Sein ehemals bester Freund, mit dem er die Polizeischule besucht hat, kehrt mordend in sein Leben zurück.
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