- „Vor jeder Inszenierung habe ich tiefe Angst“
Der Theaterregisseur Luc Bondy verlässt nach zwölf Jahren Wien. Ein Gespräch über Europa, Ängste und die Sprache der Träume
Sie inszenieren, seit Sie 19 Jahre alt sind. Hat es sich gelohnt?
Das kann ich nicht beantworten, denn ich kenne nichts anderes. Ich weiß nur, dass ich jedes Mal, wenn ich eine Inszenierung plane, Angst habe, richtige, tiefe Angst – vor dem Abenteuer des Theaters, dem Begehren des Textes, der konkreten Umsetzung mit den Schauspielern. Wenn ich keine Angst hätte, wäre meine Arbeit reine Routine. Was für eine schreckliche Vorstellung! Ich will jedes Mal etwas ausprobieren, etwas erforschen, etwas Neues finden. Immer wieder möchte ich die Worte, die Dialoge, das Spiel ganz normal, ganz unverstellt erscheinen lassen. Alles soll selbstverständlich wirken, auch die kompliziertesten Sachverhalte. Das möchte ich vor allen Dingen erreichen. Man soll meine Inszenierungen nicht nur sehen, sondern auch spüren.
Können Sie sich ein anderes Leben denn als Regisseur vorstellen?
Ein kleines bisschen schon, ja. Denn wenn ich nicht immer Probleme mit meinem Rücken und mehr Sitzfleisch hätte, wäre ich gern Schriftsteller geworden.
Literatur ist für Sie eine Frage von Sitzfleisch? Dennoch haben Sie den hoch gelobten Roman „Am Fenster“ (2009), Erzählungen und Gedichte veröffentlicht.
Ich habe keine Geduld mit mir beim Schreiben. Wenn man inszeniert, muss man sich zwar auch sehr konzentrieren, aber anders, nicht so isoliert. Ich weiß nicht, ob mir die Einsamkeit, die man beim Schreiben einfach braucht, auf Dauer bekommen würde, obwohl ich sehr gern schreibe.
Hat das Theater heute noch eine gesellschaftliche Wirkung?
Es hat bestimmt nicht eine so unmittelbare Wirkung, wie sie die Rede eines Politikers in einer Versammlung oder vielleicht einer der Filme von Michael Moore haben kann. Aber das Theater ist eine künstlerische Form, die dem Publikum zeigt, dass es auch andere Kommunikationsweisen gibt als jene, die es normalerweise pflegt, und es kann bei den Zuschauern Gedanken, Erinnerungen, Emotionen freilegen und auslösen – und zwar live. Es geht dabei nicht um bestimmte Inhalte und einen Kanon von Stücken, „das Medium ist die Botschaft“.
Apropos Marshall McLuhan, der ja diese Formel prägte: Wird auch das Theater allmählich ein „globales Dorf“?
Aber ja. Es gibt überall eine große Skepsis gegenüber durcherzählten Stücken und bestimmten, nicht nur geschlossenen, aber vielleicht auf Augenhöhe mit den Zuschauern entwickelten Dramaturgien. Ansonsten ist alles ziemlich orientierungslos, nach dem Motto: Anything goes. Der Einsatz von elektronischem Zubehör, wie Mikroports, Videobeamern, Livekameras und möglichst neuer Technik ist sehr gestiegen. Dadurch sieht alles überall ziemlich gleich aus.
Unterliegt das Theater bald, wie Äpfel oder Gurken, in Brüssel bürokratisch ausgetüftelten EU-Normen?
Vielleicht passiert diese Vereinheitlichung auch schon ganz von allein. Über die Landesgrenzen hinaus kann man feststellen, wie etwa die Lautstärke in den Theatern zugenommen hat. Die Schauspieler stehen oft nahe der Rampe und brüllen nach vorne, die Beleuchtung ist egal, die Kostüme wurden bei H&M gekauft. Vieles, was Regisseure meiner Generation früher bekämpft hatten, kommt unglückseligerweise zurück.
Woran denken Sie?
Wir dachten in einer geradezu stanislawskischen Art an die Tiefenstaffelung einer Szene, an die Gestaltung bis zum Hintergrund der Bühne und dass alles, was da passiert, eine eigene Wirklichkeit und Glaubwürdigkeit bekommt. Aber die Dinge sind derzeit eben nicht so. Es gibt halt leider mehr Theater als Talente und auch viele Menschen, die Künstler sein wollen, ohne über die Begabungen zu verfügen, die dafür nötig sind.
Sie sind Kosmopolit und haben Europa immer als den für Sie relevanten Kulturraum bezeichnet. Was machen Sie, wenn dieser Raum beim Zusammenwachsen seine Besonderheiten immer mehr verliert?
Dieser Prozess verläuft schleichend, man bemerkt ihn kaum. Irgendwann ist Europa wie ein leeres Kino, in dem ein toller Film gezeigt wird, den niemand sehen will. Ich bleibe angesichts dieser politischen wie ästhetischen Entwicklungen gelassen, denn ich kann mich gut anpassen. Das ist vielleicht sehr jüdisch. Wenn Leute aggressiv über Multikultur reden, verstehe ich das nicht, weil ich mehr oder weniger multikulturell groß geworden bin, ohne dass daraus ein Zwang gemacht wurde. Ich wurde in Zürich geboren, wuchs in Frankreich auf, arbeitete in Deutschland. Es war einfach so.
Die verschiedenen europäischen Kulturen sollen oder können in ihrer Vielfalt nebeneinander weiterleben?
Natürlich, sie können nebeneinander und miteinander existieren, aber sie sollen nicht so tun, als gäbe es keine Unterschiede zwischen ihnen.
Sie haben in Deutschland, Österreich, England, Frankreich, der Schweiz und den USA inszeniert, aber nie in einer Sprache, die Sie nicht sprechen. Warum?
Ich halte das für ein Unding. Wie soll man denn da den Schauspielern auf der Probe helfen können? Meines Erachtens inszeniert man am besten in jener Sprache, in der man träumt. Wobei es schön ist, dass ich, oder jemand anderer in meinen Träumen, manchmal eine andere Sprache beherrsche als in der Realität. Hin und wieder sind meine Träume auch stumm oder ich habe beim Erwachen schon vergessen, ob und was geredet wurde. Fahren Sie im Traum manchmal Auto? Sie meinen, weil ich nie einen Führerschein gemacht habe? (lacht) Na, da sollten Sie mich aber mal erleben!
Das Gespräch führte Irene Bazinger
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