- „Der Erfolg einer Fälschung hängt vom Ego der Experten ab“
Noch immer macht der Kunstmarkt wenig Gebrauch von forensischen Tests, dabei könnten viele Fälschungen dadurch aufgedeckt werden. Oft vertrauen Sammler auf das Urteil von Experten, wie das neue Buch „Original Meisterfälscher" des Kunsthistorikers Noah Charney zeigt. Bei Kunstwerten von mehr als 10.000 Euro sollten Echtheits-Gutachten zur Regel werden, sagt er
Noah Charney ist Autor und einer der weltweit führenden Experten über Kunstfälschung. Der 35-jährige Amerikaner gründete 2007 die gemeinnützige Organisation ARCA (Association for Research into Crimes against Art), die über Kunstkriminalität forscht und Master-Kurse anbietet. Noah Charney lehrt als Kunstgeschichtsprofessor an der privaten American University in Rom und an der Universität von Ljubljana. Ende August 2015 erschien von ihm das Buch „Original Meisterfälscher. Ego, Geld und Größenwahn“.
Herr Charney, als Sie 2006 Ihre Studien zur Kunstkriminalität begannen, gab es nur wenig Material zum Thema. Wie hat sich die Situation seitdem verändert?
Mit unserer Organisation ARCA haben wir dafür gesorgt, dass es einen eigenen Studienbereich zur Kunstkriminalität gibt. Die Absolventen wissen danach meist mehr über Kunstfälschung als viele Polizeibeamte. Für mein neues Buch analysierte ich die Geschichten von 120 Kunstfälschern und wählte 60 von ihnen aus. Ich hoffe, dass wir von den Geschichten etwas für die Zukunft lernen können und Fälschungen besser erkennen.
Werden mehr Fälschungen aufgedeckt als früher?
Weniger als 1,5 Prozent aller Kunstdelikte werden jemals aufgedeckt. Es gibt leider immer noch keinerlei Statistiken oder genaue Daten in diesem Bereich. Die Fälle werden nicht differenziert von anderen Diebstählen oder Delikten aufgelistet. Die meisten können auch nur deshalb aufgedeckt werden, weil die Polizei kriminelle Informanten bezahlt, die ihnen entscheidende Hinweise liefern.
Oft machen aber auch die Fälscher Fehler, die zu ihrer Überführung beitragen.
In den meisten Fällen ist das so. Die Fälscher fügen unabsichtlich einen Anachronismus ein, wie der deutsche Fälscher Wolfgang Beltracchi, der 2008 überführt wurde. Auf der Leinwand eines seiner gefälschten Werke des expressionistischen Malers Heinrich Campendonk fanden sich durch chemische Analyse Spuren des modernen Farbpigments Titanweiß, das Campendonk nicht benutzt haben konnte, weil es das damals noch nicht gab.
Wie ist Kunstfälscherei heute überhaupt noch möglich angesichts der Vielzahl an technischen Hilfsmitteln zur Untersuchung der Echtheit?
Die Technik ist heute tatsächlich höher entwickelt und gar nicht mehr kostspielig. Es ist absurd, aber der Kunstmarkt macht so gut wie gar keinen Gebrauch von forensischen Methoden. Zu oft wird nur auf die Meinung eines Kunstexperten vertraut. Das ist seit Jahrhunderten so. Nur wenn ein Experte die Echtheit anzweifelt, werden Untersuchungen gemacht. Und seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird vor allem die Herkunft eines Werkes zur Beurteilung herangezogen. Doch die Provenienz von Kunst kann man erfinden.
Gibt es eine Testmethode, die man nicht überlisten kann?
Es gibt eine kostengünstige, neue Methode aus den Niederlanden: eine Art Kunst-„Fingerabdruck“. Mittels digitaler Fotos eines extrem kleinen Bereichs auf einem Kunstwerk wird die Oberflächenrauigkeit untersucht. Das kann Aufschluss über die Echtheit geben. Diese genauen Details kann man nämlich schwer fälschen.
Es erfordert ja scheinbar eine ungeheure Kunstfertigkeit, um eine exakte Kopie eines Werkes anzufertigen.
Ja, aber die meisten Fälscher versuchen erst gar nicht, eine technisch exakte Kopie eines Werkes anzufertigen. Das brauchen sie auch gar nicht. Denn wenn ein Bild gut genug aussieht und die Provenienz überzeugend ist, wird es sowieso niemand technisch untersuchen lassen. Damit liegen sie erschreckend oft richtig.
Der deutsche Kunsthistoriker Horst Bredekamp hielt ein gefälschtes Buch von Galileo mit Mondzeichnungen lange Zeit für echt. Er soll so fasziniert gewesen sein, dass er auf eine Papieranalyse verzichtete.
Dinge, die offensichtlich sind, werden oft übersehen. Das ist verblüffend. Die Chance, ein lange verschollenes Meisterwerk zu finden, reizt das Ego jedes Sammlers und Experten. Manchmal hängt der Erfolg einer Fälschung nicht vom Fälscher ab, sondern vom Wunschdenken der Entdecker. Der Stolz ist ein mächtiger Motor für bewusst falsche Zuschreibungen.
Tragen die Auktionshäuser eine Hauptschuld für die Verbreitung von Fälschungen im Kunstmarkt, weil bei ihnen der Profit im Vordergrund steht?
Es ist in niemandes Interesse, eine Fälschung offiziell als Fälschung anzuerkennen. Wenn ein Gemälde gut genug aussieht, echt genug aussieht und dazu noch eine plausible Provenienz vorzuweisen hat, dann ist es für die Auktionshäuser ein authentisches Werk. Niemand möchte allzu genau hinsehen, weder die Verkäufer noch die Käufer. Stellt sich ein Werk als Fälschung heraus, stehen am Ende alle schlecht da. Auktionshäuser leiten ein Business, wenn sie ein Werk für Hunderttausende Euro verkaufen können, werden sie nicht lange zögern.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Kunstwelt getäuscht werden möchte. Bedeutet das, dass es immer Fälschungen geben wird?
Solange der Kunstmarkt existiert, wird es Fälschungen geben. Seit den Anfängen der Kunst gibt es Kopien, falsche Zuschreibungen und Fälschungen. Schon im antiken Rom wurden römische Plagiate von griechischen Gefäßen hergestellt. In Zukunft wird Kunst eine wichtige Anlagequelle bleiben. Es ist der Käufer, der den Markt für Fälscher bereitet. Auktionshäuser, Galerien, Kunsthändler sollten eine bessere Filterfunktion ausüben. Aber auch der Käufer sollte sich besser auskennen und achtsam sein.
Wie könnte der Kunstmarkt transparenter werden?
Alle Werke über einem geschätzten Wert von 10.000 Euro sollten nur mit einem unabhängigen und aktuellen forensischen Gutachten verkauft werden dürfen. Das wäre ein großer Schritt nach vorn. Es liegt aber an den Sammlern, auf solch ein Zertifikat zu bestehen, nur sie können den Markt ändern.
Welche Kunst macht Fälschern keine Mühe?
Lithografien des 20. Jahrhunderts sind sehr einfach zu fälschen. Zum Beispiel von Picasso, Dalí, Miró oder Chagall. Der weltweit am häufigsten gefälschte Künstler ist Picasso. Ein sehr guter Laserprint sieht genauso aus wie eine Lithografie. Besonders, wenn er dazu noch schön gerahmt ist. Grafische Werke kosten relativ wenig im Vergleich zu Gemälden. Deswegen geben die Käufer weniger Acht, als sie sollten.
Und was lässt sich am schwersten fälschen?
Am schwersten sind die Werke zu fälschen, die eine komplexe Oberflächenbeschaffenheit aufweisen, Höhen und Tiefen haben. Ein Van Gogh mit seiner zerfurchten Oberflächenstruktur ist viel schwerer zu fälschen als ein Edward Hopper. Manche Kunstwerke werden auch schlichtweg weniger gefälscht, weil der Herstellungsprozess zu zeitaufwendig ist, wie bei Buchraritäten.
Was unterscheidet heutige Kunstfälscher von denen früherer Jahrhunderte?
Heute können Kunstfälscher fauler sein. Fälscher früherer Jahrhunderte wandten vor allem handwerkliche Tricks ihrer Vorgänger an, sie mussten gut malen können. In vielen Studios von Kunstfälschern fand man entsprechende Handbücher. Heute benutzen Fälscher digitale Drucktechniken und sparen sich so den mühsamen Malprozess. Digitaldrucke sind qualitativ hochwertig und kosten relativ wenig. Viele Fälschungen werden heute online verkauft, weil es anonymer ist und das Material nicht überprüfbar.
Aber Gemälde, die gedruckt werden, erkennt man doch im realen Leben sofort.
Nichtsdestotrotz kommen die Fälscher auch mit so etwas zeitweilig durch. Ein Bild von Monet wurde in einem polnischen Museum entwendet und durch einen Druck ersetzt. Jedoch ging das für den Fälscher nur ein paar Tage gut, dann wurde er gefasst.
Entdecken Sie in Museen manchmal Fälschungen?
Öfter sehe ich in Museen falsche Zuschreibungen. Niemand versucht hier jemanden hereinzulegen. Aber es ist extrem schwer für Kunsthistoriker genau zu bestimmen, welches Bild vom Künstler selbst stammt und welches von einem Gehilfen aus dem Atelier. Rubens besaß beispielsweise eine große Künstlerwerkstatt. Wenn ein Bild von Rubens ist, heißt es nicht automatisch, dass nur er allein daran gemalt hat. Ein Großteil des Bildes könnte auch von einem seiner Schüler stammen.
Was halten Sie von dem angeblichen Leonardo da Vinci, der vor zwei Jahren in einem Schweizer Banktresor entdeckt wurde und die Renaissance-Mäzenin Isabelle d‘Este darstellen soll?
Ich habe es persönlich noch nicht gesehen. Vermutlich ist es eine Fälschung, wohl aus dem 16. Jahrhundert, aus da Vincis Umkreis. Es gibt viele Werke von bekannten Künstlern, die in historischen Quellen erwähnt wurden, aber verschollen sind. Manche tauchen irgendwann wieder auf. Man sollte aber sehr, sehr skeptisch sein gegenüber Werken, die aus dem Nichts auftauchen und noch in keiner historischen Literatur Erwähnung fanden.
Was war der dreisteste Kunstraub der letzten 20 Jahre?
Diebe stahlen die Hauptattraktion des Museum of Contemporary Art in Caracas (Venezuela), die „Odaliske mit roten Hosen“ des Malers Henri Matisse, und ersetzten es durch eine Kopie. Der Schwindel fiel erst nach zwei Jahren auf.
In Ihrem Buch findet sich keine einzige Kunstfälscherin. Warum?
Bis zum 20. Jahrhundert waren Künstler fast immer männlich, mit ein paar wenigen Ausnahmen. Jedenfalls sind wir während unserer Forschungen auf keinen einzigen weiblichen Fälscher gestoßen. Entweder sind Frauen zu korrekt und redlich oder zu clever, um erwischt zu werden.
Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit Kunstfälschern gemacht?
Es gab eine lustige Begebenheit nach der Veröffentlichung meines Buches. Ein Fälscher beschwerte sich bei mir, dass er nicht erwähnt wurde. Den meisten Fälschern geht es am Ende auch um Ruhm und Selbstpromotion. Viele behaupten, mehrere Tausend Bilder in Umlauf gebracht zu haben. Wie viel davon wirklich stimmt, ist nicht sicher.
Wann wird eine Kunstfälschung zu Kunst?
Alle Fälschungen sind Kunst, aber derivative Kunst. Sie sind vielleicht in der Ausführung ebenso erstklassig wie das Original, das sie wiedergeben, aber sie reproduzieren nur das, was sich ein Genie vorher ausgedacht hat. Viele Fälscher sind gescheiterte Künstler, deren eigener Stil nicht kraftvoll oder einzigartig genug war.
Und dann wollen sie sich an der Kunstwelt rächen.
Genau. Geld ist für Kunstfälscher kein Hauptmotiv, vielmehr Rache. Indem sie den Kunstmarkt hinters Licht führen, wollen sie beweisen, wie überlegen sie sind. Und beweisen, dass es falsch war, ihre Talente zu übersehen.
Warum sind Kunstfälscher für viele Menschen so charismatisch?
Man bewundert die Kunstfertigkeit dieser Menschen. Das, was sie tun, verlangt einiges an Geschick und Mut. Sie inszenieren sich als Robin-Hood-Gestalt, die sich gegen den geldgierigen Kunstmarkt auflehnt. Die Opfer von Fälschern, elitäre Kunstinstitutionen und reiche Sammler, bekommen weniger Sympathien ab. Viele Fälscher bauen eine Aura um sich auf. Der deutsche Fälscher Wolfgang Beltracchi war nicht der begabteste in der Geschichte der Kunstfälscherei, aber er verstand es, eine Pop-Ikone aus sich zu machen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Claudia Scholz
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Noah Charney: Original Meisterfälscher. Ego, Geld und Größenwahn, Brandstätter Verlag, 294 Seiten, EUR 29,90
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