- Kitsch-Nachbau des alten Europas
Mit dem Film „Grand Budapest Hotel“ wurde die diesjährige Berlinale eröffnet. Der Regisseur Wes Anderson verbeugt sich vor einer Welt, die nur auf der Bühne existieren kann. Berlinale Tagebuch, Teil 1
Die Berlinale ist ein an mühsam zu guckenden Filmen nicht armes Festival. Das kann man bei aller Liebe sagen. Die Mühsal liegt oft in der Ehrlichkeit und im Anspruch der gezeigten Filme, die - auf die Lebensmittelbranche übersetzt - tendenziell eher in den Biomarkt als in den Tengelmann gehören. Wenn aber ein Festival wie die Berlinale von einem Film „Grand Budapest Hotel“ von Wes Andersons eröffnet wird, dann ist das, als stünde an der Reformhaustüre ein gigantischer Turm rosaroter Petit Fours. Herrlich, zum Reinsetzen schön.
Die Filme des Wes Anderson, das gilt spätestens seit seinem zweiten Film „Rushmore“ (1998), dienen auf eine Weise der Zuschauerfreude, die im Kino heute praktisch unvergleichlich ist, in jedem kleinsten Setdetail, jedem Kostümschnörkel, jedem liebevoll designten Buchstaben in Vor- und Abspann. Die Freude darüber ist nicht verwandt mit der Befriedigung von plumper Sensationsgeilheit oder der emotionalen Pornographie vieler Hollywoodproduktionen. Es ist die Freude der Genießer wahrer Raffinesse, Anderson serviert Filme für cineastische Gourmets.
„The Grand Budapest Hotel“ ist in vieler Hinsicht wie geschaffen für die diesjährige Berlinale. Nicht nur, weil er zu großen Teilen in Görlitz gedreht wurde, oder wie er der Eröffnungsfeier ein Star-Ensemble beschert hat wie kein zweiter Film. Auch weil er 2014, im Jahr des Gedenkens an den ersten Weltkrieg, auf dem Höhepunkt der EU-Verdrossenheit, in seinem Film ein uraltes, mythisches, nostalgisch aufbereitetes Postkarteneuropa heraufbeschwört.
Der Film spielt in einem fiktiven Ungarn des frühen 20ten Jahrhunderts, und erzählt die Geschichte des Hotelpagen Zero (Tony Revolori) und seinem Chef, dem Conscierge Monsieur Gustave (Ralph Fiennes). Dieser ist ein parfumierter Schwerenöter mit vollendeten Manieren und mit einer Vorliebe für alte Damen, der in einen Mordkomplott gerät, nachdem ihm eine dieser Damen ihr wertvollstes Gemälde vermacht. Dabei begegnen wir all den klassischen Anderson-Motiven, die wir aus Filmen wie den „Royal Tennenbaums“ oder „Fantastic Mr. Fox“ kennen: Die großen Verbrüderungen, die Suche nach der Vaterfigur, die theatralisch ausgeheckten Pläne samt ihrer slapstickartigen Durchführung, eine kindlich unschuldige Liebesgeschichte.
Aber wir lernen auch einen neuen, besseren, größeren Anderson kennen. Einen, dem es gelingt einer ganzen Basketballmannschaft von Weltstars ihr teilweise großes komödiantisches Talent abzuringen: Von Jude Law und Edward Norton über Tilda Swinton, Willem Dafoe, Adrien Brody oder Bill Murray bis zu Owen Wilson und Léa Seydoux.
Vor allem aber erleben wir einen Anderson, dem sein erster Epochenfilm gelungen ist, und der erste, der in Europa spielt. Weder die Epoche, noch den Kontinent des Filmes hat es so jemals gegeben. Die schnarrenden Soldaten tragen grauen Loden, und eine faschistoide, komplett erfundene Rune. Die Torten vom Hofbäcker „Mendl“ sind genauso rosarot wie das Hotel, dessen bestes Zimmer die „Prince Heinrich Suite“ ist, und die aristokratischen Gäste ein „Taxis“ oder „Henckel“ im Namen tragen. „The Grand Budapest Hotel“ ist ein liebevoller, vollkommen faszinierender Kitsch-Nachbau des alten Europas wie Amerikaner es träumen. Es verhält sich zur tatsächlichen Historie wie ein Bilderbuch zur Wirklichkeit. Die Welt nach Wes Anderson ist ein Ehrenmal für eine Zeit, die es so nur in Kinderbüchern gegeben haben kann, eine Verbeugung vor Gestalten, die nur auf der Bühne je gelebt haben können.
Auf der Pressekonferenz nach der Filmvorführung wirkte Anderson in seinem Tweedanzug, dem langen Haar und dem merkwürdig aristokratischen Gesicht ein wenig wie ein irrer Puppenspieler. Tatsächlich gibt es heute kaum Filmemacher wie Anderson, die wie er als Produzent, Drehbuchschreiber und Regisseur in einer Person so kompromisslos und versponnen ihre Visionen umsetzen können. Das hat er zuletzt auch seinem Mäzen und Förderer, dem Milliardär Steven Rales, zu verdanken. Was den glücklich von der Bühne grinsenden Anderson sicher nicht zufällig zum Artverwandten seiner Hauptfigur macht, dem schließlich alten, zerzausten Pagen Zero, dem eine reiche Gönnerin das Hotel vermacht, in dem er gerne einfach nur sitzt, und zufrieden die Gestalten und Kuriositäten seines eigenen Reiches betrachtet.
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