- „Regimewechsel reicht nicht“
Der koreanische Kultregisseur Park Chan-Wook sollte über Rache, Blut und Gott sprechen. Stattdessen sprach er über Pläne für die nächste Revolution. Ein gedolmetschtes Interview mit Tücken
Eigentlich lief es von Anfang an nicht so richtig gut. Das Interview sollte in einem so genannten Penthouse-Studio am Potsdamer Platz stattfinden. Unten in der Lobby stehen drei sehr kleine Asiaten, und warten auf irgendetwas. Als sich die Aufzugtüre mit einem „Ping“ öffnet, beeilt sich der Reporter einzusteigen, um rasch in den 8. Stock zu gelangen, pünktlich zum Gespräch mit Park Chan-Wook. Quentin Tarantino zählt den südkoreanischen Filmemacher zu seinen Lieblingsregisseuren, in Cannes bekam er 2004 den Jurypreis für sein Racheopus „Oldboy“ und 2009 noch einmal für den Vampirfilm „Durst“. Auf der Berlinale stellt er jetzt als Produzent die tolle Science-Fiction Dystopie „Snowpiercer“ vor. Also nichts wie hoch. Durch die sich schließenden Aufzugtüre sieht man die davor stehengebliebenen Asiaten, sie waren zu langsam, nun winken sie. Ein paar Minuten später sind sie wieder da. Sie kommen durch die Penthouse-Türe. „Director Park“ sagt der eine mit vorwurfsvoller Miene, und weist betrübt auf den kleinsten von ihnen. Der deutet eine Verbeugung an. Verdammt noch mal.
Ich freue mich Sie kennenzulernen.
Der Regisseur sagt nichts, er lächelt nur. Stattdessen redet der nun neben ihm sitzende Mann plötzlich auf Koreanisch auf ihn ein. Park Chan-Wook - das hatte man gar nicht erwartet - spricht offenbar kein Englisch, das Interview wird gedolmetscht. Was dabei heraus kommt, ist eher kein Gespräch, es sind mehr haarscharf am Thema der Fragen vorbeigehende Monologe des Regisseurs, sehr leise vorgetragen, mit aneinandergelegten Fingerspitzen und weitestgehend ausdruckslosem Gesicht. Eigentlich sollte es ein Gespräch über Blut, Sterben und Gott im asiatischen Kino werden. Irgendwie ging es stattdessen auf einmal über Revolution und Propaganda. Und dann war plötzlich die Zeit um.
„Snowpiercer“ wurde nicht von Ihnen, sondern von ihrem Freund Bong Joon-ho gedreht. Wieviel Park Chan Wook steckt in dem Film?
Während der Skriptentwicklung haben wir viel diskutiert, und ich bin viele Ideen losgeworden. Vielleicht hat Bong Joon-Ho sich hie und da inspirieren lassen. Aber eigentlich bestand meine Aufgabe darin, das Geld aufzutreiben und die Dreharbeiten zu organisieren. Spezifische Szenen wollte ich gar nicht beeinflussen. Es gibt in „Snowpiercer“ ja diese Szene, in der Schergen der Ministerin mit Äxten auf die Revolutionäre losgehen. In Korea wurde viel darüber diskutiert, dass diese Szene stark an die Szene in Oldboy erinnert, in der ein Mann sich mit einem Hammer durch einen ganzen Flur von Typen kämpft. Aber glauben sie mir, das ist reiner Zufall.
Jedenfalls ist „Snowpiercer“ – wie Ihre früheren Filme - wieder ein Rachefilm, zumindest im weiteren Sinne. Eine unterdrückte Mehrheit will Gerechtigkeit und Vergeltung von der Oberschicht und holt sich beides mit Gewalt. Was macht das Motiv der Rache eigentlich so wichtig für sie?
Wir kommen aus der selben Generation, Bong Joon-ho und ich. Aus einer Zeit, in der die politische Studentenbewegung in Südkorea auf dem Höhepunkt war. In den 80er Jahren haben wir gemeinsam gegen die Militärdiktatur gekämpft, das macht uns zu Gesinnungsgenossen. „Snowpiercer“ ist der direkteste Ausdruck unserer gemeinsamen Erfahrung: Eine herrschende, autoritäre Klasse, und die revolutionäre Bewegung, die gegen sie kämpft. Das Ziel der Rebellion ist die Quelle der Macht, der Maschinenraum. Sie glauben, sie könnten ihre Probleme durch einen simplen Machtwechsel lösen. Aber wir erleben im Film, dass ein Regimewechsel alleine nicht reicht. Das System muss gesprengt werden! Das alles reflektiert die jüngere, südkoreanische Geschichte. Obwohl die Militärdiktatur durch eine demokratische Regierung abgelöst wurde, hat sich die Schere zwischen arm und reich noch weiter geöffnet, ganz wesentliche Probleme sind weiterhin ungelöst. Eine wirkliche Revolution erfordert eben radikales Umdenken.
Und sie planen jetzt den Systemsturz in Südkorea?
Ich möchte keine Methoden zur Systemzerstörung vorschlagen, auch wenn man mich nach „Snowpiercer“ für einen Anarchisten halten könnten. Aber ist es nicht das Privileg von Künstlern, mit progressiven Ideen herumzuspielen? Nur weil ich etwas zeige, heißt das noch lange nicht, dass ich es auch propagiere.
Sie selber sind ja nicht nur Künstler, sie machen auch Politik, als aktives Mitglied der Demokratischen Arbeitspartei in Südkorea. Lassen sich diese Rollen überhaupt trennen, Filmemacher und Politaktivist? Und wenn sie sich vermischen, ist das gut oder schlecht?
Ja, ich bin Mitglied einer progressiven Partei, genau wie Bong Joon-ho. Aber unser Engagement geht nicht weiter, als hier und da mal eine Petition zu unterschreiben, und unsere Namen für Kampagnen zur Verfügung zu stellen. Ich würde mich also nicht wirklich einen Aktivisten nennen.
Würden Sie sich denn als Sozialisten bezeichnen?
Der Dirigent Claudio Abbado hat einmal gesagt: „Ich wähle die Kommunisten nicht, weil ich selber Kommunist bin, sondern weil sie die Einzigen sind, die eine Chance gegen die Faschisten haben.“ Ich bin Künstler, und darf politische Ideen haben. Aber ein Künstler muss mit seiner politischen Vision eben über den gewöhnlichen Rahmen praktischer Politik hinausgehen. Genau wie sie als Künstler immer in der Lage sein müssen, die Partei oder Strömung zu kritisieren, der sie politisch selber angehören. Und ein Künstler darf keine Angst davor haben, den eigenen Kopf für seine Ideen hinzuhalten, ganz egal für wie gefährlich diese gehalten werden. Nur so kann ein Künstler die Politik inspirieren und stimulieren.
Wo zieht man als Künstler denn die Linie zwischen politischer Inspiration und politischer Manipulation? Wo endet die Stimulation, wo beginnt die Propaganda?
Wenn Kunst als manipulativ wahrgenommen wird, hat sie ihr Ziel verfehlt. Und der künstlerische Ausdruck von dem ich spreche, würde nicht als manipulativ wahrgenommen werden, sondern eben wie gesagt als inspirierend. Kunst muss über Politik hinausgehen.
Was genau meinen sie denn damit?
Um ihnen ein Beispiel zu geben: Nehmen sie zwei Filme von Oliver Stone, „JFK“ und „Nixon“. In „JFK“ säht der Regisseur Ideen im Publikum, und steuert es schließlich in eine ganz bestimmte, politische Richtung. „Nixon“ dagegen ist einfach nur die Studie eines bemitleidenswerten, erbärmlichen Menschen. Er behält sich eine ganz objektive, nüchterne Sicht bei, er verzichtet völlig darauf dem Publikum irgendwelche Meinungen überzustülpen. „Nixon“ hat viel mehr Tiefe, gibt dem Zuschauer viel mehr zu denken auf den Weg als „JFK“, er ist eben inspirierender.
Aber wie schützt man sich als Filmemacher denn vor der Versuchung, das Publikum von der eigenen Meinung überzeugen zu wollen? Letztes Jahr beispielsweise, zeigte der chinesische Regisseur Zhang Yimou den Film „Flowers of War“ mit Christian Bale auf der Berlinale, und hat sich dabei so angestrengt, uns von seiner politisch-historischen Sicht der Dinge zu überzeugen, dass es schwer zu ertragen war. Passiert einem so etwas als politisch engagierter Künstler nicht früher oder später zwangsläufig?
Naja, als Koreaner ist mir die Geschichte des Japanischen Imperialismus wohlbekannt, wir haben unter der Hand der Japaner gelitten, genau wie die Chinesen. Ich wusste, dass mich das Thema wütend und traurig machen würde, bevor ich in den Film ging. Aber irgendwas hat mich im Kino dann blockiert, da ging es mir wie ihnen. Am Ende ist es als Filmemacher glaube ich entscheidend, ob man mit einer Agenda in ein Projekt geht, oder nicht. Ob man das Publikum zu etwas drängen will, oder nicht. Ob man ein Statement loswerden will, oder nicht. Alles hängt von dieser ersten Einstellung ab.
Sind sie eigentlich religiös?
Ich bin katholisch aufgewachsen. Heute bin ich Atheist.
Danke sehr für das Gespräch!
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