Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Ursula von der Leyen - Verteidigung kann sie nicht

In der Debatte um die flügellahme Bundeswehr zeigt sich, was Ursula von der Leyen zur Kanzlerin fehlt: Sie hat eine Defensivschwäche

Autoreninfo

Georg Löwisch war bis 2015 Textchef bei Cicero. Am liebsten schreibt er Reportagen und Porträts. Zu Cicero kam er von der taz, wo er das Wochenendmagazin sonntaz gründete. Dort kehrte er im Herbst 2015 als Chefredakteur zurück.

So erreichen Sie Georg Löwisch:

In aller Herrgottsfrüh, in den Informationen am Morgen des Deutschlandfunks, erlahmte die Dynamik der Ministerin. Ursula von der Leyen präsentierte sich seltsam schwergängig. Im Telefoninterview fragte sie die Moderatorin, warum ihr die Probleme mit dem Material der Bundeswehr nicht schnell klar geworden seien. „Ja, weil jeder das natürlich kennt, dass Probleme sich nicht laut anmelden, sondern dass man zunächst einmal auch den Gesamtblick sich verschafft.“

Im Laufe des Gesprächs hat sie Kurden mit Kunden verwechselt, sich in Verschachtelungen verirrt. Die Protagonistin des sicheren Auftritts ist mit einem Mal seltsam unsicher aufgetreten. Die Streitkräfte warteten seit vier Jahren auf das Großflugzeug A400M, erklärte sie, auf manche Hubschrauber sogar fünf oder sechs Jahre. Auf diese Baustelle werde der Blick jetzt klarer, sagte die Politikerin, als hätte sie monatelang im Dunkeln getappt. „Vielleicht ist es aber auch an der Zeit, dass man diese ganzen Punkte jetzt beherzt angeht.“

Von der Leyen und die Inszenierung
 

Vielleicht. An der Zeit. Beherzt. In den vergangenen Monaten ist die Frage diskutiert worden, ob Ursula von der Leyen eines Tages das Land regieren kann. Die Frage ist nicht nur angesichts ihrer Ambitionen legitim, sondern auch mit Blick auf das übersichtliche Personaltableau der Union. Von der Leyen hat viele Stärken, zu denen ihre Unerschrockenheit und ihr systematisches Vorgehen zählen. In diesen Tagen zeigt sich jedoch, wo eine zentrale Schwäche liegt. Es ist ihre Verteidigungsfähigkeit.

Seit von der Leyen als Bundesministerin tätig ist, war ihr Kennzeichen das selbstgesetzte Thema, die wirkungsvolle Inszenierung. Sie profilierte sich gern durch einen starken Aufschlag, dessen Überschrift sie genauso mitlieferte wie einprägsame Bilder für Fotografen und Kameraleute. Es folgte eine Diskussion, in deren Mittelpunkt sie stand. Wenn sie die nicht gewann, präsentierte sie einen Kompromiss. Oder einen frivolen Kniff wie bei der Frauenquote in Unternehmen, als sie drohte, mit der damals oppositionellen SPD zu stimmen.

Auch als Verteidigungsministerin ist sie mit einer Inszenierung eingestiegen. Für den Aufschlag suchte sie sich die Forderung nach Familienfreundlichkeit des Soldatenberufs. Das Thema passte zu ihrer Biografie – und es handelte sich um ein echtes Problem. Die Bilder produzierte sie in einer Münchner Kita, die Überschrift lautete „Aktiv. Attraktiv. Anders“. Das Genörgel alter Generale war einerseits lästig, schärfte aber zugleich ihr Profil als Reformerin.

Damit eine solch offensive Vorgehensweise gelingt, sind aber mindestens zwei Bedingungen nötig. Erstens: Man wird mit anderen Dingen in Ruhe gelassen. Eine Familienministerin kann sich auf das Elterngeld konzentrieren, eine Arbeitsministerin hat ein größeres, aber noch halbwegs steuerbares Portfolio; im Verteidigungsressort ist das schon schwieriger, wie sich nun zeigt. Für eine Kanzlerin und Parteivorsitzende aber, bei der die Probleme der verschiedenen Ebenen zusammenlaufen, ist die Prämisse ungültig.

Zweite Voraussetzung für das bisherige Profilierungsprinzip von der Leyens: Man beherrscht den Lauf des Themas zu einem gewissen Grad, unter anderem durch Vorsprünge, die einem die Fachleute vorher erarbeitet haben. So behält man in der Debatte die Oberhand. Aber die Bundeswehr ist überraschend schlecht kalkulierbar. Kriege sind es ohnehin nicht.

Die Kunst der späten Parade
 

Nun ist von der Leyen in einer Lage, die ihr einen Vorgeschmack auf das gibt, was von Kanzlern verlangt wird. Sehr viel passiert gleichzeitig, alles hängt mit allem zusammen. Die Themen von 14 Ressorts, die Interessen von 16 Bundesländern, von 27 Partnern in der EU. Die Partei mit ihren Fürsten, die Koalitionspartner mit ihren Profilierungswünschen. Und die Weltpolitik gibt es ja auch noch. Eine Kanzlerin muss verteidigen können.

Aus dieser Logik erklärt sich auch Angela Merkels Satz beim Cicero-Foyergespräch Ende August: „Solange ich nicht fertig gedacht habe, kann ich nicht entscheiden.“ Es hätte auch heißen können: Solange sie nicht fertig beobachtet hat.

Die Kunst der späten Parade ist aus dem Fechten bekannt. Dort kommen die wirkungsvollen Paraden so spät wie möglich. Die späte Parade nimmt dem Gegner die Möglichkeit, den eigenen Angriff noch zu stoppen oder die Parade im letzten Moment zu umgehen.

Das lange Abwarten Merkels hat ihr den Vorwurf eingebracht, vor allem zu reagieren statt zu regieren. Das war allerdings auch schon ein Vorwurf an Gerhard Schröder, der seinem vorsichtigen Stil am Ende der ersten Amtszeit deshalb vorsorglich das Label „Politik der ruhigen Hand“ gab.

In der Rückschau zeigt sich, dass Merkel die CDU und auch die Republik sehr wohl verändert hat. Dies ist trotz eines defensiven Politikstils möglich, wenn bei der Lösung der Probleme die politischen Ziele eine Rolle spielen. Bei Merkel mag das mal mehr und mal weniger der Fall sein. Aber insgesamt bedeutet Regieren bei ihr: Reagieren unter strategischen Vorzeichen.

Ursula von der Leyen war bisher die Meisterin des Vorpreschens. Will sie Kanzlerin werden, muss sie in der Defensive noch üben. Und lernen, dass häufig Verteidigung der beste Angriff ist.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.