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Ja zu Schwarz-Grün - Bürgerliche Parteien vereinigt euch!

Am Donnerstag ist es soweit: Erstmals beschnuppern sich CDU, CSU und Grüne. Es geht um mögliche Koalitionsverhandlungen. Aber ist das Land überhaupt reif für Schwarz-Grün? Ja! Ein Kommentar

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Ein besseres Umfeld für schwarz-grüne Sondierungsgespräche hätte sich die Union eigentlich gar nicht wünschen können.

Keine zwei Wochen ist es her, da belegten die Vereinten Nationen in ihrem Klimareport eindrucksvoll, wie tief greifend die globale Erwärmung unseren Planeten verändert. Die Gletscher schrumpfen, der Schnee schmilzt, der Permafrost schwindet. Seit dem Hochmittelalter war es auf der Nordhalbkugel nicht mehr so warm wie in den vergangenen 30 Jahren. Trotz aller Kritik, die im Nachgang noch an dem Bericht geäußert wurde, ist klar: Der Klimawandel ist im kommenden Jahrzehnt die zentrale Herausforderung für die Menschheit.

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Das Thema wird in nur einem Monat wieder auf die Agenda kommen: Vom 11. bis 22. November findet die nächste Weltklimakonferenz in Warschau statt.

Angela Merkel will in Polen erreichen, dass sich die Weltgemeinschaft auf eine freiwillige Begrenzung von Treibhausgasen verpflichtet. Im Mai sagte sie noch beim Petersberger Klimadialog in Berlin: „Warten ist keine Option.“ Tatsächlich hat sie in der schwarz-gelben Koalition genau das getan: FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler und Umweltminister Peter Altmaier blockierten sich gegenseitig, die Energiewende wurde verschleppt. Unterdessen stieg der CO2-Ausstoß hierzulande im ersten Halbjahr sogar wieder an.

Zwei Seelen wohnen in der Kanzlerinnenbrust


In Brüssel stellt sich Merkel schützend vor die deutsche Autoindustrie, um die geplanten EU-Abgasvorschriften aufzuweichen. Es scheint, als wohnten zwei Seelen in der Kanzlerinnenbrust: Je nachdem, welcher Koalitionspartner an ihrer Seite zupft und drängelt, siegt mal diese (ein bisschen mehr Umweltschutz mit der SPD), mal jene (deutlich mehr Wirtschaft wie zuletzt mit der FDP).

Die Grünen haben nach der Wahl erkannt, was sie zuvor verkannt hatten: dass die Klimakatastrophe die Menschen immer noch umtreibt, dass sie hier ein Problem hätten aufgreifen können, das als Querschnittsthema alle Politikbereiche betrifft.

Die Union hat sich längst auf die Grünen zubewegt, als Angela Merkel den endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie verkündete. Der wichtigste Streitpunkt zwischen Schwarz-Grün ist damit abgeräumt. Führende CDU-Politiker haben den Grünen in den vergangenen Tagen Avancen gemacht, und Parteivize Volker Bouffier hat bekräftigt: „Von uns ist das ernst gemeint.“

Wenn die Grünen klug sind, dann erkennen sie diese Chance – für sich, für ihre Wähler und für das Weltklima. Dann beginnen sie, parteiinterne Gräben zuzuschütten. Dann überlassen sie die Sondierungsgespräche am Donnerstag nicht allein den Parteilinken, jenen also, die den Wahlkampf mit ihrer Strategie vor die Wand gefahren haben. Eine Regierung mit der CDU ist überhaupt nur denkbar, wenn sich der Realo-Flügel durchsetzt. Dort wünscht man sich „Brücken zur Wirtschaft“ (Kerstin Andreae), dort hat man das umstrittene Steuerkonzept lange kritisiert – so etwa der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der neben Jürgen Trittin an den Sondierungsgesprächen teilnehmen wird.

Die Grünen sollten sich schließlich auch fragen: Was wollen sie in der Opposition? Mit den Linken konkurrieren? Die SPD links zu überholen – Dieter Janecek nannte den missglückten Wahlkampf den Versuch, sich als „grüne USPD“ anzupreisen – wird nicht funktionieren. Im Osten ist die Linkspartei längst auch die Umweltpartei; die Grünen sind dort nur eine mikroskopische Splitterpartei. Der Linkskurs kann die Partei auf lange Sicht also nur dorthin führen, wo heute schon die ÖDP ist.

Schwarz-Grün ist auch aus einem anderen Grund wünschenswerter als eine Große Koalition. Die Grünen sind die letzte Bürgerrechtspartei. Sie müssen jetzt die Lücke füllen, die die FDP von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hinterlassen hat. Datenschützer können die Große Koalition nur fürchten: Mit CDU/CSU und SPD kommt die Vorratsdatenspeicherung. Sicherheitsgesetze werden ausgeweitet, die Netzpolitik geschleift. Wer sollte da noch gegensteuern?

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Eine Große Koalition darf höchstens eine Ausnahmeerscheinung sein. Für Krisen vielleicht, in denen es heißt, zu reagieren statt zu agieren – wie in der ersten Rezession der Nachkriegsrepublik 1966 oder wie zuletzt in der Finanz- und Bankenkrise. Für die großen Zukunftsprojekte aber ist eine solche Konstellation ungeeignet.

Der Einwand, den schwarz-grüne Politiker noch gegen einen Zusammenschluss hervorbringen, heißt: Bundesrat. In der Länderkammer ist das Bündnis kein einziges Mal vertreten. Für Gesetzesänderungen müsste sich die Regierung also jedes Mal neue Mehrheiten suchen. In einer großen Koalition ist die Lage allerdings nicht viel anders. Schwarz-rot hat keine Bundesratsmehrheit; Blockaden sind daher denkbar. „Durchregieren“ kann ein solches Kabinett also ohnehin nicht.

Österreich als Warnung vor großen Koalitionen


Die Große Koalition wäre auch aus demokratietheoretischen Gründen abzulehnen. Denn die Opposition wäre unter einer Union-SPD-Regierung so schwach wie seit gut 40 Jahren nicht mehr. Der Bundestag müsste entweder das Grundgesetz oder die Geschäftsordnung ändern, um der Opposition überhaupt bestimmte Minderheitenrechte einzuräumen: Für einen Untersuchungsausschuss braucht es 25 Prozent der Stimmen im Parlament; Linke und Grüne kommen zusammen aber nur auf auf 20 Prozent. Wie riskant es ist, wenn ein Land dauernd nur von Großen Koalitionen regiert wird, konnte man zuletzt in Österreich sehen. Dort legten bei den Nationalratswahlen vor allem die rechten Parteien zu.

Wenn sich die Grünen wieder als starke Umweltthemenpartei begreifen, und dem bayerisch-katholischen Bauern genauso eine Heimat bieten wollen wie dem Hippie oder dem nachhaltig denkenden Unternehmer, dann steht einem spannenden bundesdeutschen Politexperiment nichts mehr im Wege.

Und wer sagt eigentlich, dass es nur Merkel ist, die ihre Koalitionspartner erst bezirzt, dann einkästelt und schließlich herunterregiert? Der Publizist und CDU-Politiker Warnfried Dettling, der in den 90er Jahren für Erwin Teufel in Baden-Württemberg arbeitete, schrieb in einem Sammelband: Schwarz-Grün, das sei eigentlich nicht mehr die Frage. „Aber was wird aus der CDU?“

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