Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Machtverlust - McAllisters politischer Herzstillstand

David McAllister verliert die Macht in Niedersachsen. Der Mann, dessen Prinzip das Gewinnen war, muss jetzt mit einer völlig neuen Erfahrung fertig werden. Georg Löwisch über das Herzschlagfinale in Niedersachsen  

Autoreninfo

Georg Löwisch war bis 2015 Textchef bei Cicero. Am liebsten schreibt er Reportagen und Porträts. Zu Cicero kam er von der taz, wo er das Wochenendmagazin sonntaz gründete. Dort kehrte er im Herbst 2015 als Chefredakteur zurück.

So erreichen Sie Georg Löwisch:

Der Begriff "Herzschlagfinale" erzeugt gleich zwei Bilder. Einerseits beschreibt er ein Rennen, in dem der Sieger nur einen Herzschlag vor dem Zweiten ins Ziel kommt. Andererseits meint der Ausdruck ein Finale, bei dem den Zuschauern vor lauter Spannung fast das Herz stehen bleibt.

Genau diesen Begriff hat sich David McAllister am frühen Sonntagabend ausgesucht, als noch nichts klar war. Spät am Abend erst meldeten ARD und ZDF, dass Rot-Grün mit einer Stimme Mehrheit vor Schwarz-Gelb das Rennen macht. Es war der Herzschlagmoment, man könnte auch sagen: der politische Herzstillstand des David McAllister. [gallery:Die ganze Wahrheit über Niedersachsen]

Die Niederlage ist für diesen Mann gerade deshalb hart, weil er den Aufstieg und nur den Aufstieg gewohnt ist. "McAllister hat noch nie verloren", sagte sein Förderer Christian Wulff vor Jahren einmal - und so war es – bis zu diesem Sonntagabend. Von der Jungen Union zum Bürgermeister, zum CDU-Landtagsabgeordneten: So hat es angefangen und so ging es immer weiter nach oben. Schließlich 2010, mit nicht einmal 40 Jahren, wurde er Ministerpräsident seines Bundeslandes.

David McAllister hat ein sehr simples Prinzip verinnerlicht: Dass es in der Politik ums Gewinnen geht. Immer wenn er gewonnen hatte, stieg er höher. Er holte ein Landtagsmandat - und wurde Generalsekretär des Landesverbandes. Er managte als Generalsekretär Wulffs Wahlsieg - und wurde Fraktionsvorsitzender. Er machte so jung Partei-, Parlaments- und Regierungskarriere, dass ihm keine Zeit blieb, seine Politik nach einem zentralen Wert auszurichten. Er hat kaum je etwas Konzeptionelles entworfen, sondern ist sehr früh zum pragmatisch-perfekten Politimanager geworden. Das reichte bisher. Die jetzige Abwahl dürfte ihn tief verunsichern.

McAllister fehlt ein inhaltliches Motiv dafür Politik zu machen. Sie ist einfach sein Leben geworden. Dazu gehört der Rausch des Auftritts, von morgens bis abends, von Neuharlingersiel bis Bad Fallingbostel. Die großen Bühnen von Berlin hat er zwar noch gemieden, aber das Provinztheater liebt er: kleine, glänzende Aufführungen in Ortsvereinen und bei Richtfesten. Kann er sich dort als ein Ex-Ministerpräsident noch gefallen? Macht ein Verlierer überhaupt weiter, der mit 42 in der Politik schon hinter sich hat, was andere als Lebensziel definieren?

Nächste Seite: Die Notversorgung stand, bevor der Herzstillstand auftrat

Die Notversorgung wurde schon vorbereitet, bevor der Herzstillstand beim Patienten auftrat. Schon nach den ersten Hochrechnungen versuchten CDU-Funktionäre vorsorglich alles Nachteilige von McAllister wegzudrehen. Schuld, dass die CDU von 42,5 auf 36 Prozent der Stimmen rutschte? Ist die FDP, wegen der Leihstimmen.

In der CDU wird es Geknurre geben. Sie ist die Partei der Macht und die zu erhalten, ist die Geschäftsgrundlage. Die Fraktion wird 14 Landtagsabgeordnete weniger haben, das ist hart, aber nicht zerstörerisch. Denn McAllister ist in seiner Partei bis in die Mikroebene vernetzt, er hat in jedem Provinztheater gastiert und Beziehungen bis zum Ortsvorsitzenden aufgebaut. Es fehlt ein Ersatz, von dem sich die Partei mehr erhofft. Auch die Kanzlerin in Berlin hat ein starkes Interesse, dass ihr Musterknabe den drittgrößten Landesverband für sie im Griff behält. Zudem gehört Ursula von der Leyen der Niedersachsen-CDU an. Der Arbeitsministerin aber dient der Heimatverband nicht als Hausmacht, er ist ganz auf McAllister eingeschossen. Praktisch für Merkel, denn das beschränkt von der Leyens Sportsgeist in Berlin.[gallery:Die ganze Wahrheit über Niedersachsen]

Bleibt David McAllister in der Politik, könnte Merkel ihn irgendwann nach Berlin holen. Immerhin hat sie ihn schon vor fast zehn Jahren einmal gefragt, ob er Generalsekretär im Adenauer-Haus werden will. Ob er CDU-Fraktionschef im Landtag von Hannover wird? Das war er schon einmal in der Wulff-Zeit.

Als McAllister 2003 den Vorsitz der Regierungsfraktion übernahm, traf er auf Sigmar Gabriel. Der Sozialdemokrat war gerade als Ministerpräsident abgewählt worden, das Amt hatte er davor nur geerbt. Er ging mit Anfang vierzig in die Opposition. McAllister verspottete ihn in Landtagsdebatten, nannte ihn einmal den "Mops vom Schröder".

Ein paar Jahre später sagte McAllister, er habe den Spott gegen Gabriel bereut. Es war ihm da schon klar, dass es ihm einmal genauso gehen könnte.

____________________________________________________________

Jetzt den Newsletter von Cicero Online abonnieren!

Liebe Leserinnen und Leser, gerne informieren wir Sie regelmäßig über das aktuelle Angebot von Cicero Online. Bitte tragen Sie hier Ihre E-Mail-Adresse ein und wir schicken Ihnen montags bis freitags unseren täglichen Newsletter.

 

 

____________________________________________________________

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.