- Die SPD hat die Union erpressbar gemacht
Die Union hat die Bundestagswahl haushoch gewonnen, das Ergebnis spielt in den gegenwärtigen Koalitionsverhandlungen aber gar keine Rolle mehr. Längst bestimmen die Wahlverlierer von der SPD, wo es langgeht
Es sagt sich leicht: Wahlergebnisse spiegeln den Wählerwillen. Aber das ist keineswegs so, wie die derzeitigen Koalitionsverhandlungen zeigen.
Allein dieses Gerede von Politikern, Schwarz-Rot sei Folge der Weisheit des Wählers, ist Blödsinn. Schwarz-Rot ist nur die Addition von Millionen Einzelentscheidungen. Es gibt kaum Menschen, die auf ihrem Stimmzettel beides angekreuzt haben, Union und SPD.
Auch Umfragen nach dem beliebtesten Bündnis verzerren das wahre Bild. Denn da will natürlich jeder seine Partei mit im Bunde sehen – und die Mehrheit sind nun einmal Wähler aus Union und SPD.
Die laufenden Verhandlungen zeigen schon jetzt zur Halbzeit, wie wenig das Bundestagswahlergebnis eine Rolle spielt: Die Union hat die Bundestagswahl haushoch gewonnen. Aber sie wird diese Koalitionsverhandlungen verlieren. Die SPD führt – und sie ist wohl nicht mehr einzuholen.
Vor einem Monat begann das Spiel – in einem Monat wird es beendet sein. Dann haben die Genossen bereits über den Koalitionsvertrag abgestimmt. Und nur wenn sie ihre SPD darin als Sieger erkennen, werden sie einer großen Koalition zustimmen.
Die SPD hat die Union erpressbar gemacht
Jetzt erst wird richtig klar, was das bedeutet: Allein die SPD-Basis wird über die Wiederwahl Angela Merkels zur Bundeskanzlerin entscheiden. Damit hat die SPD von vornherein die Union – man kann es so hart sagen: erpressbar gemacht.
Trotzdem war am 23. Oktober, dem Tag Eins der schwarz-roten Verhandlungen, die Stimmung geradezu herzlich. Da dachten wir noch erstaunt: Donnerwetter, wie konnte aus den Wahlkampfgegnern so schnell eine einzige große Mannschaft werden? Hier scherzend, dort duzend saßen die 75 aus CDU, CSU und SPD zum Auftakt am gigantischen Verhandlungstisch beisammen.
Sechsmal haben sie sich bis jetzt in dieser Riesenrunde getroffen. Und weit über fünfzigmal in den zwölf Arbeitsgruppen, deren Auftrag Ende der Woche endet. Doch was anfangs fast wie Freundschaft aussah, ist Gegnerschaft geblieben. Die SPD war vom ersten Tag an darauf bedacht, nur ihre Punkte zu setzen. Das ist ihr weitgehend gelungen.
Flächendeckender Mindestlohn, Doppelpass, rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare; und auch noch die – vom Bund finanzierten – Ganztagsschulen – darüber diskutiert das Land.
Über 50 Milliarden Euro haben sich schon an Wünschen angestaut in den Arbeitsgruppen. Zu dieser stattlichen Summe haben CDU und CSU beigetragen, die dem Volk auch etwas geben wollen über Mütterrente und Betreuungsgeld hinaus.
Nun werden am Ende die drei Parteivorsitzenden gemeinsam prüfen, was geht und was nicht. Doch selbst da kann die Kanzlerin schwerlich punkten.
Denn sie muss versuchen, die einzigen zwei Bedingungen ihrer Partei aufrechtzuerhalten: keine neuen Schulden und keine Steuererhöhungen.
Weitere Forderungen hat die CDU öffentlich gar nicht erst gestellt. Das ist Angela Merkels ewiger Trick nach dem Motto: Wer keine Latte auflegt, kann beim Sprung auch keine reißen.
Debattiert wird in Koalitionsverhandlungen immer am lautesten das, was anders werden soll. Die Vorschläge dazu können ja im Grunde nur von der bisherigen Oppositionspartei SPD kommen. Damit bestimmt sie die mediale Agenda. Die Union kann nur abwehren oder nachgeben.
Und dann gelingt es der SPD auch noch, die Union zu spalten in abseitigen Debatten. Im Gegensatz zur CDU fordert auch die CSU mehr Volksentscheide. Das tut sie vor allem, um bei der kommenden Europawahl für EU-Skeptiker attraktiv zu sein. Die Partei der Kanzlerin steht hier bei der Abwehr ganz allein da.
Sie muss auch die Maut-Idee der CSU zunehmend allein abwehren. Denn bei der SPD erkennen immer mehr, dass sie hier der Kanzlerin bleibende Kratzer zufügen könnten: Käme es zur allgemeinen Pkw-Maut, hätte die Bundeskanzlerin ihr Wort gebrochen.
Will Angela Merkel Kanzlerin bleiben, gibt es für sie keinen Ausweg mehr, als sich wesentlichen Forderungen der SPD zu fügen. Bislang hieß es: Sollten die Koalitionsverhandlungen scheitern, könnten wieder Gespräche mit den Grünen aufgenommen werden.
Für die SPD könnte es derzeit kaum besser laufen
Seit dem SPD-Parteitag sieht die Alternative anders aus. Das Tabu der Generation Schröder, auf keinen Fall mit der Linken zu koalieren, ist nun gebrochen. Der Weg für Rot-Rot-Grün wäre frei, sollte aus Schwarz-Rot nichts werden. Schon jetzt gibt es eine parlamentarische Mehrheit links der Union.
Das sind geradezu ideale Bedingungen für eine Partei, die eben das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr. Und es sind üble Bedingungen für eine Partei, die fast die absolute Mehrheit schaffte.
Der Wählerwille, auf den sich die verhandelnden Politiker stets berufen, wird in diesem Verhältnis gewiss nicht widergespiegelt.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.