- Wiener Verhältnisse bald auch in Berlin?
In Österreich hat der Rechtspopulist Norbert Hofer den Vorentscheid bei der Präsidentschaftswahlen mit rund 35 Prozent klar gewonnen. Wenn CDU und SPD so weiter machen, dürfen sie sich nicht darüber wundern, wenn es in Deutschland bald ähnliche Schlagzeilen gibt
Was für ein Debakel für die sogenannten Volksparteien. 11,0 Prozent für den Kandidaten der Sozialdemokraten. 11,2 Prozent für den Kandidaten der Österreichischen Volkspartei. In der Stichwahl um das Präsidentenamt im Nachbarland stehen sich in vier Wochen zwei Außenseiter gegenüber: der Rechtspopulist Norbert Hofer, der innerhalb der FPÖ als gemäßigt gilt, sowie der Parteilose Alexander Van der Bellen, der von den Grünen unterstützt wird. Das Wiener Debakel macht eine parteilose liberale Kandidatin perfekt, die in der Wählergunst ebenfalls noch vor SPÖ und ÖVP landete.
Die beiden Parteien, die Österreich in einer sogenannten Großen Koalition regieren und schon bei der Nationalratswahl 2013 auf nur noch 50 Prozent der Stimmen gekommen waren, wurden vom Wähler auf das Niveau von Kleinparteien geschrumpft. Sieben Jahrzehnte lang haben SPD und ÖVP das Parteiensystem Österreichs geprägt und alle Bundeskanzler gestellt. Jetzt geht offenbar eine Ära zu Ende. Zwar sollte die Bedeutung der Präsidentenwahl in Österreich nicht überschätzt werden. Macht hat der Bundespräsident in der Alpenrepublik – ähnlich wie in Deutschland – wenig. Trotzdem wird die krachende Niederlage nachwirken.
Etablierte Parteien in der Schockstarre
In Deutschland sollten bei den Parteien der Großen Koalition jetzt die Alarmglocken schrillen. Nicht nur, weil die AfD der FPÖ gratulierte. Der Weg von Wien nach Berlin ist kurz. Auch wenn bei der Bundestagswahl 2013 noch zwei Drittel der Deutschen CDU, CSU oder SPD gewählt haben: Wie schnell sich das ändern kann, wie groß das Misstrauen der Wähler gegenüber den etablierten Parteien ist, das haben zuletzt die drei Landtagswahlen am 13. März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gezeigt.
Die Wähler sind flexibel geworden. Stabile Parteienbindungen gibt es nicht mehr. Es zeigte sich, wie die Wahlerfolge der AfD das Parteiensystem aufmischen. Die SPD stürzte in zwei Ländern ab und landete in der Wählergunst noch hinter der AfD. In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt kamen CDU und SPD deshalb zusammen nicht mehr auf 50 Prozent der Stimmen. Die CDU wurde zudem in Baden-Württemberg hinter den Grünen nur noch zweitstärkste Partei.
Statt sich die Frage zu stellen, welche nachhaltigen Folgen das veränderte Wählerverhalten für die Parteiendemokratie hat, sind die etablierten Parteien erst einmal in eine Art Schockstarre verfallen.
Niemand wollte die Kenia-Koalition
Und so stellte sich im Landtag von Sachen-Anhalt an diesem Montag eine Regierung zur Wahl, die eigentlich niemand wollte, die niemand gewählt hat und die aus purem Machtwillen zusammengeführt wurde. CDU, SPD und Grüne: Journalisten haben das Bündnis „Kenia-Koalition“ getauft. In Wirklichkeit ist es eine Anti-AfD-Regierung, bei der es nur darum geht, die rechtspopulistische Schmuddelpartei AfD, die bei der Wahl in Sachsen-Anhalt auf 24,2 Prozent gekommen war, von der Macht fernzuhalten. Doch gleichzeitig entsteht beim Wähler mal wieder der Eindruck, es gehe Politikern doch nur um den Status quo, um Posten und Dienstwagen. Verstärkt wird wird das dadurch, dass nun in Baden-Württemberg Grüne und CDU sowie in Rheinland-Pfalz SPD, FDP und Grüne miteinander regieren wollen.
Ohne Zweifel hat der Wähler den Parteien bei den drei Landtagswahlen am 13. März schwierige Rätsel aufgegeben. Einfach ist es nicht, in einem Fünf- oder Sechs-Parteienparlament eine Mehrheit zu schmieden. Irgendjemand muss ja regieren. Und an der Regierungsfähigkeit der AfD darf ernsthaft gezweifelt werden.
Die Alternative: Wechselnde Mehrheiten und Minderheitsregierungen
Die Möglichkeit, die Länder mit Minderheitsregierungen und wechselnden Mehrheiten nach dem Vorbild Dänemarks zu regieren, wurde nicht einmal geprüft. Natürlich sind Minderheitsregierungen instabiler. Vorgezogene Neuwahlen gibt es häufiger. Gleichzeitig Minderheitsregierungen haben aber auch Vorteile. Die Parteien können ihre unterschiedlichen politischen Identitäten besser bewahren. Das Parlament wird gegenüber der Regierung gestärkt, die Parteiendemokratie gewinnt wieder an Lebendigkeit. Auch populistische Parteien können in legislative Entscheidungsprozesse eingebunden werden.
Wenn die Antwort der etablierten Parteien auf die Flexibilität der Wähler und deren Hang zur Protestwahl allerdings darin besteht, dass alle immer enger zusammenrücken, dann begeben sie sich direkt auf den Weg nach Österreich. Weit ist der Weg nicht mehr: In aktuellen Umfragen kommen die Parteien der Großen Koalition zusammen nur noch auf etwa 55 Prozent – elf Punkte weniger als bei der Bundestagswahl. Verhältnisse wie in Baden-Württemberg oder Sachsen-Anhalt lassen sich nach 2017 auch im Bund nicht mehr ausschließen.
Wenn CDU und SPD so weiter machen wie bisher, dann dürfen sich die selbst ernannten Volksparteien nicht darüber wundern, wenn sie ihre Vormachtstellung im Parteiensystem schon bald endgültig einbüßen müssen.
Lesen Sie in der April-Ausgabe des Cicero mehr über den Schwund der Volksparteien: „Voll auf Kurs. Das Wahldebakel – und was es für unsere Zukunft bedeutet“. Das Heft erhalten Sie am Kiosk oder direkt hier im Onlineshop.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.