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(Daniel Karmann dpa/lby) Der Inhalt des Buches verstößt gegen kein Strafgesetz

Hitlers Hetzschrift - „Das Buch verstößt gegen kein Strafgesetz“

Ab 2016 könnte in den Buchläden Hitlers „Mein Kampf“ neben Ratgebern des Dalai Lama liegen. Der Experte für Staatsschutzdelikte, Nikolaos Gazeas, erklärt, warum sich eine Veröffentlichung der Nazi-Schrift strafrechtlich nicht mehr aufhalten lässt

In der Novemberausgabe beschäftigt sich der Cicero mit dem Streit um Hitlers Propagandaschrift „Mein Kampf“. Das Heft ist am Kiosk und auch im Online Shop ab sofort erhältlich.

 

Herr Gazeas, bisher hat Bayern durch sein Urheberrecht zivilrechtlich alle Publikationsversuche von Personen durch einstweilige Verfügungen unterbunden. Ende 2015 erlischt das Urheberrecht. Wird an die Stelle des Urheberrechts das Strafrecht rücken?
Nein, das wird es nicht. Derzeit verbietet das Urheberrecht einen Neudruck des Buches in jedweder Form. Wenn dieser urheberrechtliche Schutz 2016 nicht mehr greift, wird das Strafrecht nicht verhindern können, dass Hitlers „Mein Kampf“ auch in seiner ursprünglichen Form unkommentiert neu in Deutschland verlegt wird. Die Rechtslage ist aus strafrechtlicher Warte nicht einfach zu beurteilen. Im Ergebnis wird man jedoch sagen müssen, dass der Inhalt des Buches gegen kein Strafgesetz verstößt.

Ist der Weg also ab 2016 frei, ungehindert „Mein Kampf“ zu publizieren?
Beim Neudruck von „Mein Kampf“ kommen grundsätzlich zwei Straftatbestände in Betracht: das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung.

Im ersten Fall ist die Sachlage recht einfach zu beurteilen. Zwar liegt es nahe, nach dem natürlichen Sprachempfinden dieses Buch als Propagandamittel zu bezeichnen. Allerdings reicht dies für eine Strafbarkeit nicht aus; vielmehr muss es sich um ein Propagandamittel im strafrechtlichen Sinne handeln. Dies ist dann der Fall, wenn die Schriften sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die Idee der Völkerverständigung richten. Denn die Strafnorm schützt nicht irgendeinen demokratischen Rechtsstaat, sondern die Bundesrepublik Deutschland als konkreten Staat. Das bedeutet, dass alle Schriften, die vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, also vor 1949 erschienen sind, nicht vom strafrechtlichen Begriff des Propagandamittels erfasst sind. Denn sie können sich nicht gegen diese konkreten Schutzgüter der Bundesrepublik Deutschland richten, weil sie in dieser Form noch gar nicht existierten. Dies gilt auch für unverändert nachgedruckte Schriften aus der Zeit vor 1949, weil hierdurch kein Bezug zur Verfassung der Bundesrepublik hergestellt wird. Dies hat der Bundesgerichtshof eindeutig und zu Recht so entschieden.

Nehmen wir ein Beispiel: Ein rechtsgerichteter Verleger preist in einem Vorwort für „Mein Kampf“ dies als „Programm für das 21. Jahrhundert“ an. Wäre es dann ein Propagandamittel?
In diesem Fall sieht die Rechtslage ganz anders aus. Ein solches Buch wäre ein strafbares Propagandamittel, weil dem Buch durch diese Bearbeitung eine Zielrichtung gegen die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland gegeben würde. Auch eine befürwortende Kommentierung des Werks kann diesen Bezug herstellen. Selbst ein einschlägiger Klappentext würde dafür ausreichen. In all diesen Fällen würde ein aktueller Bezug zur Verfassung der Bundesrepublik hergestellt.

Auf der folgenden Seite: Volksverhetzung als Hebel? 

Und was ist mit  der Volksverhetzung?
Die ist weitaus schwieriger zu beurteilen. Eine ausführliche Diskussion hierzu hat mit Blick auf den Ablauf des urheberrechtlichen Schutzes in der Wissenschaft bisher noch nicht stattgefunden. Auch die Rechtsprechung hat sich hierzu noch nicht geäußert. Man betritt hier ein wenig strafrechtliches Neuland.

Der Straftatbestand der Volksverhetzung schützt den öffentlichen Frieden und darüber hinaus nach überzeugender Ansicht auch die Menschenwürde derjenigen, die von der Volksverhetzung betroffen wären. Ob die Schrift vor 1949 oder danach entstanden ist, spielt hier keine Rolle.

Die Voraussetzungen, die das Strafgesetz an eine Volksverhetzung durch das Verbreiten von Schriften stellt, wird man hier als erfüllt ansehen können. Denn es kommt nicht darauf an, ob „Mein Kampf“ konkret geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Schon eine abstrakte Gefahr reicht aus. Die Strafbarkeit setzt also schon in einem sehr frühen Stadium ein. Es genügt, wenn mit dem Buch etwa zum Hass aufgestachelt, wird.  Eine Strafbarkeit kann hier allein über die sog. Sozialadäquanzklausel ausscheiden. Ob dies die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ebenso sehen, vermag ich jedoch nicht mit Gewissheit zu beurteilen.

Aber dann bleibt es doch dabei: Auch neutrale Verleger müssen mit einem Ermittlungsverfahren und einer Verurteilung rechnen.
Ein Verleger müsste durchaus damit rechnen, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Ich rechne jedoch nicht damit, dass ein Verleger wegen Volksverhetzung verurteilt wird.

Warum?
Das Gesetz kennt auch für die Volksverhetzung die so genannte Sozialadäquanzklausel. Dient die Schrift billigenswerte Interessen – zum Beispiel der staatsbürgerliche Aufklärung oder der Wissenschaft – wird sie von der Strafbarkeit herausgenommen. Die Sozialadäquanzklausel verneint hierbei nicht die Gefährlichkeit. Sie gestattet lediglich trotz einer – abstrakten – Gefährlichkeit die Verbreitung dieser Schrift. Eine Strafbarkeit des Verlegers scheitert letztlich meiner Ansicht nach an dieser Klausel. Für eine kritisch-kommentierte Fassung etwa durch einen Historiker gilt das natürlich erst Recht.

Auf der folgenden Seite: Wieso auch neutrale Verleger straffrei bleiben werden 

Warum kann aber auch der neutrale Verleger mit Straffreiheit über die Sozialadäquanzklausel rechnen?
Diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten. Hinter der Sozialadäquanzklausel steckt letztlich eine Abwägung der verschiedenen Interessen. Die Voraussetzungen für eine Straffreiheit sind, das gebe ich zu,  nicht offensichtlich. Viele in der Klausel genannten Fälle sind bei einem neutralen Nachdruck nicht einschlägig. Allenfalls die staatsbürgerliche Aufklärung kommt in Betracht. Aber die Klausel führt die Zwecke nicht abschließend auf. Sie enthält auch die sehr offene Formulierung „oder wenn sie ähnlichen Zwecken dient“.  Das Informationsinteresse der Bevölkerung ist in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat ein solcher ähnlicher Zweck.

Bei Hitlers „Mein Kampf“ müssen wir, so abscheulich dieses Buch auch ist, berücksichtigen, dass es über 70 Jahre alt ist. Bei einem Nachdruck in den sechziger Jahren hätten wir die Frage ganz anders beurteilt: Dann wäre die Bevölkerung sicherlich – und zu Recht – um Einiges aufgebrachter gewesen, als dies heute zu erwarten wäre. Die deutsche Bevölkerung hat heute ein Recht darauf, zu erfahren, welch kranke Gedanken in Hitlers Kopf entstanden und von ihm zu Papier gebracht wurden. Wir müssen auch berücksichtigen, dass  der Inhalt des Buches heute im Internet ganz einfach einzusehen ist. Auch müssen wir bedenken, dass das Buch in vielen Ländern in verschiedenen Sprachen bereits seit Langem erhältlich ist. Damit wird die Zensur ohnehin relativiert.

Ein strafrechtliches Verbot, das Buch nachzudrucken, würde in die Meinungs- und Pressefreiheit und in die Berufsfreiheit der Verleger eingreifen. Zudem wird hierdurch jedem Bürger der Zugriff auf das Buch verwehrt. Ein solcher Grundrechtseingriff wiegt schwer, und er muss verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Die abstrakt bestehende Gefahr einer Volksverhetzung, die auf der anderen Seite der Waagschale zu berücksichtigen ist, kann diese gewichtigen Grundrechtseingriffe heute nicht mehr rechtfertigen. Das Informationsbedürfnis und die Pressefreiheit sind so gewichtig, dass sie die Waage zu ihren Gunsten ausschlagen lassen.

Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir bei dem Einsatz des Strafrechts dem Verleger mit dem schärfsten Schwert drohen, das unsere Rechtsordnung kennt. Wir drohen ihm hier mit Gefängnis und Geldstrafe.  Dies ist unverhältnismäßig.

Das heißt, ab 2016 liegt dann Hitlers „Mein Kampf“ neben den Memoiren des Dalai Lama auf dem Büchertisch aus?
Bei diesem Gedanken ist mir, das gebe ich gerne zu, nicht ganz wohl.  Ich hätte ein mulmiges Gefühl, das Buch an exponierter Stelle in einer Buchhandlung oder etwa auf der Bestseller-Liste des SPIEGEL zu sehen. Ich denke hier insbesondere an die Signalwirkung, die wir etwa ins Ausland ausstrahlen, aber auch gegenüber den jüdischen und ausländischen Mitbürgern im Inland. Den Angehörigen der Opfer der NSU wird man kaum verständlich machen können, warum wir einen Nachdruck zulassen. Aber das Gefühl allein ist kein Grund, etwas unter Strafe zu stellen. Das Strafrecht ist und bleibt das allerletzte Mittel, das unsere Rechtsordnung kennt. Will man einen Nachdruck verhindern, muss sich der Gesetzgeber eines anderen Instrumentariums bedienen. Hier wird es jedoch schwierig sein, etwas Geeignetes zu finden.  

Wie sollte denn jetzt bis zum Ablauf 2016 weiter vorgegangen werden?
Das bayerische Finanzministerium sollte sein hartnäckiges Vorgehen gegen jedwede Veröffentlichung überdenken. Mit dem geltenden Strafrecht wird man Verleger von einem Nachdruck nicht abhalten können. Es wäre sinnvoll, wenn eine kritische, wissenschaftliche Edition von „Mein Kampf“ das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Hervorragende Historiker, die sich dieser Aufgabe annehmen könnten, haben wir. Auf diese Weise könnte auch verhindert werden, dass unkommentierte Veröffentlichungen den Büchermarkt mit Erfolg überschwemmen.

Herr Gazeas, vielen Dank für das Gespräch             

Nikolaos Gazeas ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für deutsches und internationales Strafrecht von Professor Dr. Claus Kreß an der Universität zu Köln. Er promoviert dort und forscht insbesondere im Bereich des Terrorismus- und Staatsschutzstrafrechts.

Das Interview führte Daniel Martienssen

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