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Marode Infrastruktur - Dobrindts Pakt mit der Privatwirtschaft

Kolumne Leicht gesagt: Die Logistikbranche ist die Lebensader der Bundesrepublik – doch die Infrastruktur droht zu verrotten. Selbst mit einer Pkw-Maut wären die nötigen Investitionen nicht zu stemmen. Verkehrsminister Alexander Dobrindt will deswegen private Investoren überzeugen

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich so leicht: Gebt mehr Geld gegen rissige Straßen und bröselnde Brücken. Sieben Milliarden Euro jedes Jahr braucht es allein für die Instandhaltung der Verkehrswege, so heftig ist der Investitionsstau. Doch das Verkehrsministerium hat insgesamt nur pro Jahr etwa eine Milliarde zusätzlich zur Verfügung. Die Bundesregierung feilt längst an einer hochumstrittenen Idee, woher mehr schnelles Geld kommen soll.

Die Pkw-Maut ist das allerdings nicht. Selbst wenn sie käme, reichten die erwarteten Jahresmehreinnahmen von 600 Millionen bei weitem nicht aus. Das klingt zwar absurd mickrig bei 45 Milliarden Autobesitzern – doch die Bundeskanzlerin höchst selbst hat Weiteres im berühmten Duell mit Peer Steinbrück ausgeschlossen. Übrigens im Bunde mit der CSU, die vor der Wahl auch den Mut nicht hatte, den deutschen Autofahrer mehr belasten zu wollen. Alexander Dobrindts Wahlkampfschlager war bekanntermaßen die damals so gern genannte „Ausländer-Maut“.

Mit der Instandhaltung zu warten, ist hochgefährlich
 

Die schwarz-rote Regierung hat sich ein echtes Dilemma geschaffen, wie es scheint: Sie will weder die Steuern erhöhen noch die Schulden. Maut für jedermann ohne Kompensation, das wäre wie Steuererhöhung und ist deshalb nicht möglich. Daher hat Finanzminister Schäuble das ja auch erst für die kommende Wahlperiode erwogen – alles andere wäre als Wortbruch zu offensichtlich. Neue Schulden machen geht aber ebenso wenig, sonst wäre die von Schäuble schon jetzt gefeierte „Schwarze Null“-Party in Gefahr.

Zu warten, ist jedoch hochgefährlich. Denn das könnte uns einen echten Weltmeistertitel kosten. Noch steht Deutschland ganz oben auf dem Siegerpodest der Logistik-Welt. Davon hängt viel Einkommen ab. Dobrindt hat nicht übertrieben, als er auf dem Unternehmertag des Deutschen Speditions- und Logistikverbands (DSLV) die Logistik als „systemrelevant“ bezeichnete. Die Logistikbranche allein ist Deutschlands drittgrößter Wirtschaftszweig. Funktioniert sie nicht, verliert das Land als Ganzes.

„Logistique“ ist ein französischer Militärbegriff der napoleonischen Zeit, der übersetzt schlicht „Nachschub“ heißt. Mit funktionierenden Nachschubsystemen wurden Kriege gewonnen – ohne kam es zu Waterloo. Das lässt sich auf die Weltwirtschaft von heute übertragen. Staaten mit schlechter Logistik sind die Verlierer.

Deutschland wird durch seine Logistik reich, wie jetzt wieder in Hannover zu sehen ist: Die IAA für Nutzfahrzeuge zeigt chromglänzend, wer und was zu diesem Wohlstand beiträgt. Weil das die wichtigste Messe für Transport und Logistik überhaupt ist, mit zigtausenden Pilgern aller Herren Länder, wird Dobrindt sie eröffnen. Dem Bundesminister für Verkehr und Infrastruktur dürfte der eigentlich so gar nicht schillernde Transportsektor tatsächlich der wichtigste seiner Zuständigkeit sein. Auf jeden Fall ist er der beständigste.

Digitalisierung erhöht das Güterverkehrsaufkommen immens


Denn hier gilt Digitalisierung ausnahmsweise mal nicht als alles umpflügende Kraft. Selbst wenn – wie es immer heißt – alles, was digitalisiert werden kann, auch in den nächsten Jahren digitalisiert wird: beim Transport wird das so bald nicht klappen. Hier sorgt die Digitalisierung vielmehr für Wachstum im Analogen. Es wird immer mehr online bestellt. Je schneller geliefert sein muss, desto stärker werden die Transporteure gefordert sein. Vor allem die Nutzfahrzeuge; weil auf der ganzen Welt die Straßeninfrastruktur mit uneinholbarem Abstand die größte und die gezielteste Reichweite hat. Im Zeitalter der Digitalisierung wird diese Jahrtausende alte „old economy“, der Straßengüterverkehr, also noch an Bedeutung zunehmen.

Nur: Nachschub-Weltmeister Deutschland nutzen die tollsten Laster wenig, wenn Straßen reißen und Brücken bröckeln. Die altersschwache Infrastruktur wird nun Jahr für Jahr noch mehr tragen müssen: Fast Dreiviertel des Güterverkehrs findet bereits heute auf der Straße statt. Durchschnittlich werden von jedem Bundesbürger – ob Säugling oder Greis – täglich über 113 Kilogramm Güter per Nutzfahrzeug transportiert. Täglich! Es wird mit einem Wachstum von fünf Prozent jährlich gerechnet. In 20 Jahren könnte sich das Güterverkehrsaufkommen verdoppelt haben.

Woher sollen nun die Milliarden kommen zur Reparatur der Infrastruktur, die das alles aushalten muss? Dobrindts Zauberformel heißt: öffentlich-private Partnerschaften, kurz: ÖPP. Das sind Partnerschaften auf 30 Jahre mit privaten Investoren. Firmen übernehmen Bau, Betrieb und Finanzierung von Autobahnabschnitten auf eigene Kosten. Der Staat gibt eine Startsumme und bleibt – das ist Gesetz – der Eigentümer. Gebühren aus der Maut der jeweiligen ÖPP-Strecke fließen in die Privatwirtschaft.

Dobrindt setzt auf öffentlich-private Partnerschaften


ÖPP gibt es vereinzelt seit einigen Jahren etwa auf der A1, A4, A5 und A8. Doch im Koalitionsvertrag werden solche Projekte konditioniert betrachtet. Sie sollten nur genutzt werden, „wenn dadurch Kosten gespart werden“. Das genau geschähe aber nicht, warnt der Bundesrechnungshof. Die bisherigen ÖPP auf Autobahnen seien im Schnitt über eine Milliarde teurer geworden als geplant.

Dennoch setzt Dobrindt verstärkt auf ÖPP – eben wegen akuten Sanierungsstaus und Geldnot. Als Gastgeber der „Nationalen Konferenz Güterverkehr und Logistik“ in Potsdam hat er klar gesagt, dass nur so auf Dauer ausreichend in die Infrastruktur investiert werden könne.

Eingeklemmt zwischen Schuldenbremse und Steuerschranke wird Dobrindt dringend Geld auftreiben müssen, um Deutschlands Fundament zu sanieren für die Transportwirtschaft. Der Ursprung des Worts Logistik liegt übrigens im Altgriechischen. In der Antike hieß Logistikē „praktische Rechenkunst“. Auch das passt noch heute.

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