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Anton Hofreiter - Grüner Erbe

Anton Hofreiter ist der neue Grünen-Chef im Bundestag. Er mag Fleisch und den Regenwald. Sein Denken orientiert sich nicht am Gründungsmythos der Partei

Autoreninfo

Peter Unfried ist Chefreporter der taz in Berlin

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Kurz nach dem Supergau in Tschernobyl rief der Diplom-Ingenieur Gerhard Hofreiter zu Hause im bayerischen Sauerlach seinen Sohn Toni zu sich und ging mit ihm in den Garten. Dort maßen sie die Radioaktivität des Regenwassers. Als die Nadel des Flächenzählers voll ausschlug, regulierten sie die Empfindlichkeit um eine Stufe runter. Die Nadel schlug wieder voll aus.

Die Skepsis drängte ihn als Schüler in die Politik


Anton Hofreiter war damals 16 Jahre alt. Er sagt, Tschernobyl sei ein einschneidendes Erlebnis gewesen auf seinem Weg, der ihn 2005 in den Bundestag führte und 2011 in ein repräsentatives Büro als Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Jetzt leitet er gemeinsam mit Katrin Göring-Eckardt die Grünen im Parlament. Bei den Grünen ist der Fraktionsvorsitz die Schlüsselposition, nicht der Parteivorsitz. So wird es auch von Hofreiter abhängen, ob die besten Tage der Grünen noch kommen oder hinter ihnen liegen.

Schon vor Tschernobyl war Hofreiter politisch aktiv. Er hatte im oberpfälzischen Wackersdorf gegen eine geplante Wiederaufbereitungsanlage demonstriert und mit 14 im Grünen Ortsverband ein bisschen mitdiskutiert. Was trieb ihn dermaßen an, dass es ihn schon als Schüler in die Politik drängte?

Das kann er selbst nicht eindeutig beantworten. Zunächst einmal ist er skeptisch, was die Fähigkeit des Menschen zu akkurater Erinnerung angeht. „Das Gedächtnis imaginiert einem ein Bild von der Vergangenheit, deshalb bin ich da vorsichtig, auch mit Zeugenaussagen“, erklärt er.

Zurück zum ökologischen Markenkern


Er hat eine vertrauensbildende Stimme, sonor-bayerischer Sound, das kann ein Vorteil werden. Allerdings klingen die Differenzierungen und Relativierungen in seinen Sätzen manchmal, als würden Aussagen in der Politik so funktionieren wie in der Botanik. Die ist ursprünglich Hofreiters Beruf, er wurde über Inkaliliengewächse promoviert.

Zudem ist er vorsichtig geworden, seit er nach der Niederlage seiner Partei den zuvor unbestrittenen Chef Jürgen Trittin abgelöst hat. Beide gehören zum Parteiflügel der Linken. Hofreiter hat Trittins erfolglosen Gerechtigkeits- und Steuerwahlkampf überzeugt mitgetragen. Nun will er einerseits dazu stehen und andererseits die Rückbesinnung auf den ökologischen Markenkern vorantreiben. Nicht ganz einfach. Er weicht gern ins Grundsätzliche aus. Was ist links? Wer ist heute nicht „bürgerlich“?

Hofreiter scheint eine verhältnismäßig glückliche Kindheit gehabt zu haben. Sauerlach ist ein 5000-Einwohner-Ort im Süden Münchens. Eigenes Haus, großer Garten, Natur drum herum. Die Schule war nicht sein Ding, er war auch nie Klassensprecher. Aber mit 18 übernahm er den Ortsverein der Grünen. „Soweit ich mich erinnere, waren es klassische Motive der Zeit: Umwelt retten, Welt retten, internationale Gerechtigkeit.“

Vielleicht muss man mit Hofreiter endlich zur Kenntnis nehmen, dass der Gründungsmythos nicht mehr Orientierungspunkt für das Denken der Grünen und über die Grünen ist. Der 43 Jahre alte Biologe ist in einer anderen Zeit groß geworden als seine männlichen Vorgänger. Joschka Fischer (Jahrgang 1948), Rezzo Schlauch (1947), Fritz Kuhn (1955) und Jürgen Trittin (1954) wuchsen alle in einer Zeit auf, die von der deutschen Schuld geprägt war, der Zäsur von 1968 und dem Widerstand gegen die Lebenswelt der eigenen Eltern.

Die Interpretation der Frisur


Das könnte das Wesensmerkmal der neuen Generation sein: Hofreiter war nie im Kampf gegen den eigenen Vater. „Es gab keinen großen Widerspruch“, sagt er, sondern meist „Einverständnis und Wohlwollen von beiden Seiten“. Sein Elternhaus sei „SPD-geprägt“. Heißt: Der Vater war gegen Franz Josef Strauß – und der Sohn dann auch.

Das ist die deutsche Erfahrung, die ihn geprägt hat. Die andere ist seine Feldforschung in den Ökosystemen des südamerikanischen Bergregenwalds und der daraus entstandene internationale Blick auf Missbrauch von Menschen und Natur.

Er hat einen internationalen Gerechtigkeitsbegriff und eine klare Vorstellung von Ordnungspolitik, aber er verbindet sie mit einem libertären Wohlstandsbäuchlein. Essen macht ihm Spaß, Vegetarier ist er definitiv nicht, wie man sehen kann, wenn man ihn beim Italiener trifft. Diesen Hintergrund in einen tragfähigen Politikstil und Politikinhalt zu transformieren, das wäre sein Meisterstück.

Wer kam eigentlich auf die Idee, dass er Trittin nachfolgen sollte? „Das weiß ich gar nicht“, sagt er. Es sei „ein Prozess gewesen, der sich entwickelte“. Und zwar schon weit vor der Wahl, weil die Grünen mit Trittins Sprung ins Kabinett rechnen mussten. Und was ist mit denen, die fürchten, er werde jetzt Trittins Testamentsvollstrecker? „Ach, Gott“, sagt er.

Er findet es überhaupt erstaunlich, was neuerdings alles in ihn hineininterpretiert wird. So flüsterten Parteifreunde, der Toni habe vor der Wahl zum Fraktionschef seine ungewöhnlich langen Haare um ein Drittel gekürzt, um präsentabler zu erscheinen. „Schmarrn“, sagt Hofreiter. Er trage die Haare seit Jahren mal länger und mal kürzer. Der Friseurbesuch sei einfach fällig gewesen.

 

 

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