Bombenschutzkeller im ukrainischen Lyman / picture alliance

Falsche Analysen, Empfehlungen und Schlagworte - „Friedensforschung lieferte den Überbau für eine illusionäre Russlandpolitik“

Der Sicherheitsforscher Joachim Krause macht die von der Politik geförderte Friedensforschung dafür mitverantwortlich, dass Deutschland die Aggressivität des russischen Regimes jahrzehntelang ignorierte. Auch dem Bundeskanzler stellt er kein gutes Zeugnis aus.

Ferdinand Knauß

Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

So erreichen Sie Ferdinand Knauß:

Prof. Joachim Krause ist Chefredakteur von Sirius - Zeitschrift für strategische Analysen und war bis zum Jahr 2022 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen internationale Politik und Sicherheit, Terrorismusstudien sowie transatlantische Beziehungen.

Herr Krause, Sie haben kürzlich eine „strategische Blindheit“ in Deutschland festgestellt und dies auch auf mangelnde Beschäftigung mit Fragen der internationalen Sicherheit an den Universitäten zurückgeführt. Nun gibt es aber zahlreiche Institute für „Friedens- und Konfliktforschung“. Was haben Sie an denen auszusetzen?

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Hans Süßenguth-Großmann | So., 12. November 2023 - 16:38

..Herr Professor aktiv ins Geschehen einbringt und an die Front geht.
"Dieses Risiko einzukalkulieren, ist richtig, aber angesichts der militärischen Schwäche Russlands ist es nicht gerade akut. Es würde nicht schaden, wenn die Bundesregierung sich dazu durchringen würde, den Blick zu weiten und auch begrenzte Eskalationsmöglichkeiten im Krieg einzukalkulieren." Die "begrenzten Eskalationsmöglichkeiten", evtl. ein A Bömbchen, ein kleines, können ja nicht so schlimm sein.
Die UA wird diesen Krieg nicht gewinnen und Russland wird ihn nicht verlieren.
Die Sicherheit jedes einzelnen Landes bedingt die Sicherheit aller. NATO Truppen 50 km vor Rostow, das war Putin, zuviel und wurde als Bedrohung angesehen.

Heidemarie Heim | So., 12. November 2023 - 17:49

Welche Strategie? Irre ich mich, oder wird der Versuch so was wie für den worst case eine gewisse Wehrfähigkeit, Eigenverteidigung aufzubauen schon wieder heftig bekämpft? Mit was? "Mimimi, der Pistorius hat "kriegstüchtig" gesagt!"
Und falls die Friedensgespräche mit Herrn Putin, Herr Erdogan oder der Hamas und deren imposanten Anhängerschaft auch hierzulande aus irgend einem Grund nicht den gewünschten Erfolg zeitigen, bleibt ja immer noch die gute alte herkömmliche Strategie. Nämlich sich darauf zu verlassen, dass die Amis schon irgendwie für uns und Resteuropa die Rübe hinhalten. Doch je nachdem welcher "Freund" demnächst in White House vielleicht sein America first, Germany second verwirklicht, könnte es eng werden. Aber bis dahin dürfen wir uns noch ein bisschen an jedem unflätig gesprochenen Wort aufhängen und fleißig am eigenen Strick drehen. Auch eine Strategie;). MfG

Christoph Kuhlmann | So., 12. November 2023 - 18:00

Die bewusste Fehlanalyse der Friedensforscher in Bezug auf Russland beruht auf einer wesentlich breiter gefassten antiwestlichen Grundhaltung vieler Geistes- und Sozialwissenschaftler. Dir kritische Analyse wird nie an den Gegnern der westlichen Kultur vollzogen, sondern stets an den Demokratien der freien Welt. Wer darin ein Messen mit zweierlei Maß sieht und Menschenrechte für unteilbar hält und allgemein verbindlich für jedes Land auf diesem Planeten, dem wird Eurozentrismus vorgeworfen. Deshalb müssen diese Menschenrechte ja auch von Deutschland global garantiert werden. Der Ansatz ist an Größenwahn und Absurdität nicht zu überbieten. Er setzt auch eine Vielzahl pseudomoralisch induzierter Denkblockaden voraus. Der erstaunte Wähler fragt sich dann, wieso diese Art der Wissenschaft so dumm ist? Ebenso alle Politiker und Medien, die sich an ihr orientieren.

Ich bin alles andere als ein mit "antiwestlichen Grundhaltung vieler Geistes- und Sozialwissenschaftler" behafteter Beobachter. Dennoch erscheint mir die US-Geo-Strategie mindestens seit Vietnam verbrecherisch, zynisch und strunzdumm! Dabei hat man sein einzigartig, ja, wirklich singuläres Tafelsilber zerdeppert und in den Dreck gezogen: die Ideen der Aufklärung, der individuellen Freiheit, der Bürgerrechte und der universellen Menschenrechte. Denn es ging den USA immer nur um Dominanz, Hegemonie und kolonialen Egoismus - um Dollars und Öl - gegen die Sowjetunion, den Kommunismus und wahllos so bezeichnete "Schurkenstaaten". Dazu hat man immer wieder Kriege vom Zaun gebrochen, sich mit ortsansässigen Halunken und Halsabschneidern zusammengetan, diese zu Freiheitskämpfern ernannt, sie logistisch, finanziell, militärisch aufgerüstet und hat sie für sich kämpfen lassen - gegen die Bevölkerung dieser Länder. Egal ob Sawak, Mudschaheddin, Taliban, IS, Pinochet, Asow'sche Bandera-Nazis ...

Henri Lassalle | Mo., 13. November 2023 - 14:28

Antwort auf von Albert Schultheis

war der grösste Irrtum der USA. Eine nahezu ahezu hysterische Furcht vor dem Kommunismus und wohl auch missionarisches Denken haben zu folgenschweren Irrtümern und Fehleinschätzngen geführt. Auch das Ende von Bretton-Woods und die Beendigung der Goldbindung an den Dollar hängen damit zusammen. Das Schlimme war: Die militärische und politische Führung wussten ziemlich früh, dass der Krieg nicht zu gewinnen war und machten trotzdem weiter.

Tomas Poth | So., 12. November 2023 - 18:22

Die Illusionen die man sich über Sicherheit macht sind nicht nur im Verhältnis der Staaten untereinander zu finden.
Die Illusion über die Sicherheit im Innern ist eine ebensolche! Spätestens der nächste Gewaltangriff auf den Einzelnen ist ein Dokument dafür, das uns täglich in den Nachrichten der Medien serviert wird.
Friedensforschung ist nicht per se unnütz, sondern nur die verkehrten Rückschlüsse daraus sind es.
Gleiches gilt für eine Bündnispolitik, die ausschließlich auf die Stärke eines großen Bruders vertraut. Der wird sich aus dem Staub machen wenn es für ihn zu brenzlig wird!
Die Sicherheit nach außen muß durch eine eigene Stärke gewährleistet sein. Sonst steht man allein & im Regen der Granaten da.
Die deutsche Ostpolitik war & ist grundsätzlich richtig! Sie muß nur durch eine eigene Wehrkraft glaubwürdig nach außen dargestellt werden!
Das "Nie Wieder" heißt ja nicht, daß man nicht verteidigungsbereit ist, sich wehrlos macht, sondern nur nie wieder Angriffskrieg!

Albert Schultheis | Mo., 13. November 2023 - 10:06

Antwort auf von Tomas Poth

Es kommt allein auf den geistig-moralischen Nukleus einer Gesellschaft an, der sich seiner Herkunft, seiner Tradition, seiner Kultur und Sprache bewusst ist, diesen lebt und innerhalb der Familien tradiert. Der Inbegriff eines solchen Individuums ist der freie, aufgeklärte Bürger. Er braucht eine Heimat, ein "somewhere" - im "anywhere" ist er verloren. Wenn dieser Nukleus, der individuell verankert, aber gesellschaftlich wirksam und lebendig ist, abhanden kommt, dann ist eine Gesellschaft als solche, als Ethnie, Nation oder Schicksalsgemeinschaft verloren und zur Entfremdung, zur Auflösung bzw zur Diaspora verdammt. Man konnte das am Libanon beobachten, aber idealtypisch am Schicksal der Deutschen. Nachdem wir nur allzu bereitwillig unsere Kultur, unsere Traditionen unsere Identität von uns geworfen haben, weil sie angeblich verderbt und vergiftet waren, stellen wir heute fest, dass wir nackt dastehen, vereinzelt, ja, einsam ohne Hilfe, Schutz und Solidarität selbst unseres Nächsten!

Henri Lassalle | So., 12. November 2023 - 19:48

Theoretiker. Sie meinen wohl, magisches Friedensdenken könne die Realität beeinflussen, sie verlassen sich auf trügerische Impressionen. Dabei haben unter anderem Leute wie der Pole Lech Walesa seit langem auf die russische Gefahr hingewiesen und er selbst sagt, dass er die Ukraine-Invasion der Russen vorausgesehen hätte - er sei überhaupt nicht überrascht gewesen. Auch die Amerikaner haben Merkel immer wieder auf deren riskantes Verhalten gegenüber dem Putin-Reich aufmerksam gemacht - umsonst. Besserwisserisch habe sie dies ignoriert. Dahinter steckte wohl nicht nur chronische fahrlässige Arglosigkeit, sondern auch das Verlangen der Wirtschaft nach billigen Rohstoffen. Putins Kalkül kam dies entgegen.

Albert Schultheis | So., 12. November 2023 - 20:08

Im Nachhinein wird Geschichte immer so hingedreht, dass Sie der Herrschenden Nomenklatura in den Kram passt. Es werden zu Neudeutsch "Narrative" erfunden, also Erzählungen, die passgenau gedrechselt werden, dazu eine passgenaue Terminplogie ersonnen, die die Narrative stützt: "strategische Blindheit!" Denn auf die Idee, dass deutsche Politiker im SchwarzRotGrünGelben Korridor 2014 womöglich völlig blind, zT gleichgültig, opportunistisch, aber wie gelähmt waren, angesichts der Machenschaften der USA und der Nato in Kiew, die mit dem schockierenden Statement "Fuck the EU!" begannen und zum Putsch in Kiew führten - auf diese Idee kommt ein frommer deutscher Sicherheitsforscher besser nicht. Denn es würde ihm wohl bitter aufstoßen! Nein der Krieg begann exakt am 22. Februar 2022 und nicht vorher. Basta. Dass die Nordstream Pipeline und die Annäherung Schröder-Putin eine einzigartige Win-Win-Beziehung zwischen. Deutschland/EU und Russland schafften - Bad luck! Das musste die USA zerstören!

"Nein der Krieg begann exakt am 22. Februar 2022 und nicht vorher. Basta."

Falsch! Dieser begann, auch wenn Sie es wahrhaben wollen 2014 mit der widerrechtlichen Besetzung der Krim!

"Dass die Nordstream Pipeline und die Annäherung Schröder-Putin eine einzigartige Win-Win-Beziehung zwischen. Deutschland/EU und Russland schafften - Bad luck!"

Wieder falsch! Diese Abhängigkeit, war eine der dümmsten Ideen, die deutsche Außenpolitik je hatte und sicherlich keine "Win-Win-Situation", wie Sie das hier den Leuten weiß machen wollen.
Gut, das hier durch die Sprengungen Fakten geschaffen wurden. Egal, wer das nun zu verantworten hat.

"angesichts der Machenschaften der USA und der Nato in Kiew, die mit dem schockierenden Statement "Fuck the EU!" begannen und zum Putsch in Kiew führten".

Immer wieder die gleichen dümmlichen Kreml-Narrative, die Sie hier verbreiten wollen. Es gab 2014 keinen Putsch! Das wissen Sie auch! Also bitte nicht immer wieder die gleichen Putin'schen Lügengeschichten.

Gerhard Fiedler | So., 12. November 2023 - 20:29

„Es würde nicht schaden, wenn die Bundesregierung sich dazu durchringen würde, den Blick zu weiten und auch begrenzte Eskalationsmöglichkeiten im Krieg einzukalkulieren.“ Sind Sie wahnsinnig, Herr Krause? Geben Sie Ihre Kriegstreiberratschläge anderen, nicht unserem Bundeskanzler! Seine gegen Russland verhängten Sanktionen haben Deutschland schon genug geschadet. Es geht damit seiner Pleite entgegen. Ihre Schlussfolgerung „Friedensforschung lieferte den Überbau für eine illusionäre Russlandpolitik“ ist falsch. Illusionär war sie nicht. Unter Brandt/Bahr brachte sie uns die Wiedervereinigung. Unser Verhältnis zu Russland hätte gut bleiben können gem. der Rede Putins im Bundestag. Allein den USA gefällt das nicht. Sie wollen Russland klein halten, aber auch Deutschland. Der Terroranschlag der USA auf Deutschlands Energieversorgung belegt es. Und so rücken sie unter Missbrauch der Nato weiter Russland auf den Pelz. Dass dieses sich zum Krieg genötigt sieht, ist daher kein Wunder.

Schockierend, was da sich-selbst-aufblasende schnöselige "Friedens und Sicherheits-Experten" für eine unverantwortliche Scharfmacherei und Hetze absondern! Hatten die alten "Doyens" des Kalten Krieges 1.0 noch einen indiskutablen Respekt vor der nuklearen Abschreckung, so sind ihre in der digitalen Welt verblödeten Enkel des Kalten Krieges 2.0 vollends im verantwortungslosen mentalen Nirvana gelandet. Sie können sich "analoges", anfassbares Siechtum und Verelendung einfach nicht mehr vorstellen!
Dass sich die feuchten Träume eines Obama oder Biden über den Zugriff auf die Ressourcen der Ukraine, evtl sogar Russlands, gerade in einer beschämenden Niederlage für den Westen und Deutschland auflösen - geschenkt! Wir haben's nicht anders verdient. Aber, dass die Bindung der Ordnungsmächte USA und Russland durch diesen vollidiotischen Krieg, viele kleine Folgekriege, Putsche und Konflikte in Armenien, Zentralafrika, im Gaza und anderswo hervorruft, war absehbar, aber wohl einkalkuliert!

die Gewissheit, für Ihr Statement "Terroranschlag der USA auf Deutschlands Energieversorgung belegt es."?
Es gibt diesbezüglich keinerlei Beweise! Das sind reine Vermutungen Ihrerseits, aber Sie tun so, als ob das bereits zu 100% belegt wäre.
Mir persönlich ist es schnurzpiepe, wer diese sinnlose Pipeline in Luft gejagt hat. Die Hauptsache, es hat jemand gemacht!

"Und so rücken sie unter Missbrauch der Nato weiter Russland auf den Pelz. Dass dieses sich zum Krieg genötigt sieht, ist daher kein Wunder."

Das ist doch vollkommener Blödsinn! Klingt wie: "ihr Rock war zu kurz und ich habe mich provoziert gefühlt".

Es gibt keine Rechtfertigung für diesen Krieg! Das sind die typischen Strohmannargumente, der Putin-Anhänger. Und falls Sie es noch nicht gewusst haben (was ich stark vermute), Ihr "Russland auf den Pelz rücken" geschah übrigens mit deren Einverständnis im Rahmen der Nato-Russland-Grundakte.

Dirk Weller | So., 12. November 2023 - 21:18

Denn es wäre interessant zu erfahren, wie der „Sicherheitsforscher“ Joachim Krause die Aussagen der äusserst renommierten US-Politiker Robert McNamara und George Kennan einordnet, die bereits Mitte der 90iger Jahre vor einer Nato-Osterweiterung warnten, mit dem Hinweis, dass dies von Russland als Aggression aufgefasst würde und zu einem großen Krieg mit Russland führen könnte.
Dieselbe Warnung verkündete auch der heutige CIA-Chef William Burns 2008, als er noch US-Botschafter in Moskau war.
Und wie steht der „Sicherheitsforscher“ Joachim Krause zu den Aussagen vom US-Geostrategen Paul Wolfowitz (siehe „Wolfowitz Doktrin – 1992“), der 1992 ungeniert von Russland und China forderten, die USA als Führungsmacht anzuerkennen ?

Die Ausführungen klingen daher lediglich wie die einseitigen Aussagen eines radikalen Transatlantikers.

Das Deutschland seine Verteidigungsfähigkeit in den letzten Jahrzehnten so drastisch reduziert hat, halte ich allerdings auch für falsch.

Inana | Mo., 13. November 2023 - 04:08

In Wirklichkeit wurde die NATO-Osterweiterung gerade nicht von naiven Friedensforschern kritisiert, sondern von den militäraffinen „Realisten“, von Kennan zu Kissinger. Denn die warnten früh, dass R die de facto Einkreisung militärisch aufsprengen könnte und dann schwer zu stoppen wäre, weil Atomwaffen.
Und Realisten argumentieren bis heute ähnlich. Russland wird möglicherweise sehr weit gehen, weil eben fundamentale Interessen berührt sind und so ein Krieg ist mit einer begrenzten Eskalation nicht zu gewinnen. Krause räumt diese Argumente übrigens auch nicht aus, sondern wiederholt eher ein Narrativ. D müsste nur moderat eskalieren, dann wäre der Sieg nah.
Das ist aber unterkomplex.

Marianne Bernstein | Mo., 13. November 2023 - 09:54

Man kann von Rußland halten, was man will. Aber "begrenzte Eskalationen" ufern schnell aus, da es ei komplizierte Verflechtungen und Beistandspakte gibt. Wer Wind sät kann so ganz schnell Sturm ernten.
Wir wissen nicht einmal so richtig, was in unserem Land abgeht und glauben die Welt kontrollieren zu können?
Frieden ist wichtiger alles andere, hat aber heute leider keine Priorität. Von welchen Schlafwandlern werden wir eigentlich regiert?