Demonstranten in Moldawien
Russlandfreundliche Demonstranten in der moldawischen Hauptstadt Chisinau Mitte Februar / dpa

Brenzlige Lage in Moldawien - Wann eskaliert der nächste Konflikt?

Die Republik Moldau droht immer mehr in den Ukrainekrieg hineingezogen zu werden – zumal die Regierung in Chisinau inzwischen einen Nato-Beitritt anstrebt. Das Land ist wirtschaftlich schwach und politisch instabil. Noch dazu existiert mit Transnistrien ein von Russland unterstützter Separatistenstaat. Das Risiko einer Eskalation wächst von Tag zu Tag.

Autoreninfo

Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

So erreichen Sie Antonia Colibasanu:

Seit mehr als zwei Wochen wird die Republik Moldau von einem Krieg der Worte erschüttert. Er begann, als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 10. Februar vor einem russischen Putschversuch gegen Moldawien warnte. Zwei Tage später erklärte die moldauische Präsidentin Maia Sandu, die Ukraine habe ihrer Regierung Geheimdienstinformationen übermittelt, wonach die Russen einen Plan zur Destabilisierung des Landes hätten, indem sie Proteste organisierten und „gewaltsame Aktionen“ durchführen würden. Dies wäre die perfekte Tarnung für einen Staatsstreich in einem Land gewesen, das zu gewaltsamen, durch Proteste ausgelösten Regierungswechseln neigt.

Tatsächlich war die Republik Moldau schon vor Selenskyjs Warnungen in höchster Alarmbereitschaft. Anfang dieses Monats beschuldigte der russische Außenminister Sergej Lawrow – in einer nicht ganz unverhohlenen Drohung – den Westen, die Republik Moldau als ein Land im Visier zu haben, das „dem Weg der Ukraine folgen könnte“. Schon im Januar hatte Sandu den Kreml erzürnt, als sie andeutete, Moldawien könnte einen Nato-Beitritt in Erwägung ziehen. Zwei einflussreiche russische Abgeordnete reagierten daraufhin mit der Aussage, eine moldauische Mitgliedschaft im westlichen Verteidigungsbündnis würde zur Zerstörung des Landes führen. Nach dieser Drohung forderte Sandu das Parlament auf, einen Gesetzentwurf zu verabschieden, mit dem es der Staatsanwaltschaft und dem staatlichen Informationssystem ermöglicht werden soll, Risiken und Bedrohungen für die Sicherheit des Landes wirksamer zu bekämpfen.

Große Unruhe

Die Nachricht vom drohenden Putsch verstärkte die ohnehin schon große Unruhe in der Republik Moldau und löste einen Regierungswechsel aus. Premierministerin Natalia Gavrilita trat zurück und wurde durch Sandus Sicherheitsberater (und Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats) ersetzt – ein Signal, dass die Regierung bereit war, von einem Mandat zum Schutz Moldaus vor russischen Bedrohungen auszugehen. Das ist keine Kleinigkeit für ein Land, das sich normalerweise einer Politik der Neutralität verpflichtet fühlt. Sandu und der neue Premierminister gaben umgehend Erklärungen zu den Unzulänglichkeiten der Neutralität und einer möglichen Verfassungsänderung im Hinblick auf den Beitritt zu einem „größeren Bündnis“ (das heißt zur Nato) ab.

Derartige Erklärungen haben inzwischen die innerparteilichen Aktivitäten angeheizt. Es wird erwartet, dass prorussische Fraktionen Einspruch erheben werden, während nationalistische Fraktionen versuchen, ihre eigene Agenda durchzusetzen, zu der auch Petitionen an die EU gehören, wonach moldauische Oligarchen und andere sympathisierende Politiker auf die Sanktionslisten gesetzt werden sollen.

Moskau hat der Republik Moldau in gleicher Weise geantwortet. Am 21. Februar hob Präsident Wladimir Putin einen außenpolitischen Erlass aus dem Jahr 2012 auf, in dem sich Moskau zu einer friedlichen Lösung des Grenzkonflikts in Transnistrien verpflichtet hatte. Die Region ist ein schmaler Landstreifen im Osten der Republik Moldau, der seit einem Krieg zwischen transnistrischen Separatisten und der Republik Moldau im Jahr 1992 von einer von Russland unterstützten Regierung kontrolliert wird. Und seit 30 Jahren sind dort rund 2000 russische Soldaten stationiert. (In der Separatistenregion soll sich das größte Waffendepot Europas befinden – rund 20.000 Tonnen Munition und militärische Ausrüstung, die allerdings noch aus der Sowjetzeit stammen dürften.) Im Jahr 2012 erklärte sich Moskau bereit, bei der Suche nach einer friedlichen Lösung des Konflikts zu helfen, aber das war zu einer Zeit, als Russland engere Beziehungen zur EU und zu den USA anstrebte. Mit anderen Worten: Transnistrien ist eine europäische Region, in der Russland seine Bürger zu schützen hat und bereits über militärische Mittel verfügt, um dies auch zu tun.

Nur psychologische Kriegsführung?

Deshalb ist die Befürchtung begründet, dass Russlands Eskalation in der Ukraine die Republik Moldau mit hineinziehen könnte. Dies erklärt auch die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Russland, der Ukraine und Moldawien. Am 23. Februar behauptete das russische Verteidigungsministerium, die Ukraine plane eine Operation zur Invasion Transnistriens. Moldauische Medien berichteten, dass es sich bei dieser Behauptung lediglich um psychologische Kriegsführung des Kreml handelte. Dennoch ließ Kiew verlauten, dass es der Republik Moldau im Falle eines russischen Angriffs zu Hilfe kommen würde.

Diese Erklärungen zeichnen ein Bild der Eskalation, von dem Russland profitieren würde. Moskaus Frontalangriffe in der Ukraine waren nicht besonders erfolgreich, sodass die Logik die Durchführung eines Flankenmanövers gebietet. Weißrussland – mit einer strikt russlandfreundlichen Regierung – und Moldawien sind die einzigen Orte, an denen Russland ein solches Manöver starten könnte. Die Aufhebung des Moldau-Dekrets soll Moldawien also dazu zwingen, die russische Dominanz und den russischen Einfluss zu akzeptieren. Sie weist nicht auf einen Angriff hin, aber sie macht deutlich, dass ein solcher sehr wohl möglich ist.

 

Mehr zum Thema:

 

Man stelle sich ein Szenario vor, in dem die Republik Moldau militärisch in den Ukrainekrieg verwickelt wird und eine zweite Front eröffnet. Wenn man bedenkt, wie schnell Kiew auf eine mögliche russische Bedrohung in Moldawien reagiert hat, könnte die Ukraine einige Soldaten sowie Waffen, die sie vom Westen erhalten hat, für den Kampf in der Ukraine entbehren. Dies würde es Kiew ermöglichen, noch mehr westliche Hilfe zu erbitten. Die USA und ihre Verbündeten wollen zwar nicht, dass der Konflikt weiter eskaliert; die Nato hat die Ukraine bereits aufgefordert, ihr Waffenarsenal für defensive und nicht für offensive Operationen einzusetzen. Aber wenn Moldawien angegriffen und die Ukraine zu Hilfe eilen würde, hätten die westlichen Verbündeten kaum eine andere Wahl, als ihre Unterstützung fortzusetzen.

Bloß keine zwei Offensiven gleichzeitig

Für Russland wäre es ein logistischer Albtraum, eine Offensive sowohl in der Ostukraine als auch in der Südukraine durchzuhalten, wo das Land an Transnistrien grenzt. Die Eröffnung einer neuen Front könnte die Mühe allenfalls wert sein, solange Moskau sich nicht zu sehr verzettelt, keine Gebiete verliert, die es gewonnen hat, und die USA nicht zu einem direkten Eingriff verleitet. Die Tatsache, dass US-Präsident Joe Biden die Republik Moldau kürzlich bei einer Rede in Warschau erwähnte, zeigt, dass eine neue Front das Letzte ist, was Washington will. Vor diesem Hintergrund könnte Russland zu dem Schluss kommen, dass es besser ist, eine neue Front in Weißrussland als in Moldawien zu eröffnen. Wenn Russland die Republik Moldau dominiert, würde es nämlich die südliche Reichweite der Nato gefährden und damit die Vereinigten Staaten auf den Plan rufen. Weißrussland wäre leichter zu ignorieren.

In der Zwischenzeit haben die Spannungen in Moldawien der pro-europäischen Regierungspartei des Landes genutzt. Die Putschgerüchte haben Präsidentin Sandu und ihrer Partei geholfen, ihre Position zu festigen. Hätte die Ukraine Moldawien nicht gewarnt, wäre Sandus Regierung wahrscheinlich Ende des Monats durch Proteste gestürzt worden, die durch die allgemeine Unzufriedenheit mit der schlechten Wirtschaftsleistung des Landes ausgelöst wurden. Durch die Einsetzung einer neuen Regierung in einer scheinbaren Sicherheitskrise konnte Sandu eine weitere politische Instabilität jedoch vermeiden.

Die bloße Aussicht auf eine russische Bedrohung der Republik Moldau ermöglichte es der Regierung, bessere Beziehungen zum Westen aufzubauen, was Sandu direkten Zugang zu westlichen Politikern wie Biden verschaffte, mit dem sie während seiner jüngsten Besuche in München und Warschau zusammentraf. Durch den direkten Kontakt mit den Führern der Vereinigten Staaten und der EU ist es für Moldawien wahrscheinlicher, Sicherheitsgarantien und Finanzmittel zur Verbesserung seiner Wirtschaft zu erhalten.

Demnächst Polen und Rumänien?

Darüber hinaus hat die Aufhebung des Dekrets von 2012 durch Russland die Republik Moldau aus dem Verhandlungsprozess befreit, in den der Kreml das Land gezwungen hatte. De facto war das durch das Dekret festgelegte Verhandlungsformat bereits dem Untergang geweiht; Russlands Einmarsch in der Ukraine beendete im Wesentlichen das „5+2“-Format, in dem Moskau und Kiew sowie die Organisation für Sicherheit und wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa als „Vermittler“ und „Garanten“ gegenüber Chisinau und Tiraspol nebeneinander saßen, während die Vereinigten Staaten und die Europäische Union auf den Status als „Beobachter“ reduziert wurden. Das Ganze konnte nicht mehr funktionieren, und die Absage Moskaus hat dies nur bestätigt. Wenn überhaupt, dann hat Russland durch diese Absage seine geschwächte Position anerkannt.

Für die Ukraine verschafft die Situation in Moldawien dringend benötigte Zeit. Sie könnte Kiew dabei helfen, mehr Hilfe aus dem Westen auszuhandeln, und sie könnte eine weitere russische Offensive abwenden. Es ist möglich, dass nichts von alledem eintritt, aber die Möglichkeit kann nicht ausgeschlossen werden. Für Russland wäre die Eröffnung einer neuen Front, entweder in Weißrussland oder in Moldawien, grundsätzlich ein strategischer Vorteil. Wenn die derzeitigen Ängste zu einer Destabilisierung eines der beiden Länder führen, könnten Polen oder Rumänien die nächsten sein.

In Kooperation mit

GPF

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Romuald Veselic | Di., 28. Februar 2023 - 15:51

a will den sowjetischen Kolonialismus aus dem Grab holen. Seine Absicht ist zu provozieren, dass jemand Moldawien beisteht, damit der Krieg weiter eskaliert.

Der Zombie im Kreml will unlösbare Tatsachen schaffen, um seine mörderische Aggression in die Welt hinauszutragen. Hier ist zu rechnen, dass Moldawien den Westen um direkte Hilfe bitten wird.

Dann kann der 3WK beginnen.

Albert Schultheis | Di., 28. Februar 2023 - 17:55

In Moldawien bahnt sich das gleiche Desaster an, wie seit 2014 in der Ukraine: die Gemengelage ist beinahe identisch! Wenn dem Westen nach dem furchtbaren Desaster in der Ukraine an Frieden gelegen wäre, würde er den Status der Neutralität Moldawiens bekräftigen und alles wäre gut! Dass der Hetzer Selenskyj daran interessiert ist, den Kriegsschauplatz auszuweiten, dürfte klar sein. Aber ich fürchte, auch dem Westen, uns!, ist eher daran gelegen, Russland in weitere Konflikte hineinzuziehen. Es geht schließlich um Demokratie und Freiheit! ... und die einzigartige Gelegenheit, die Russen in immer noch weitere blutige Konflikte hineinzuziehen und damit zu verschließen und sturmreif zu bekommen. Alle Kriege seit '45 haben die USA verloren, aber einen Schritt der Vernunft zurück, um Blutvergießen zu vermeiden (so wie damals Chruschtschow), haben sie nie getan. Es wäre jetzt an Deutschland und der EU, den neuen Brandherd zu löschen! Nur leider fehlen dazu Wille und Vernunft.

ja, so ist es wohl.
Transnistrien ist eine Region im Osten Moldaus, die sich von der Republik losgesagt und Russland angeschlossen hat.
Moldau gilt als zwischen prorussischen sowie proeuropäischen Kräften gespalten, de facto politisch höchst instabil.
Die EU gaukelt Moldawien den Beitritt vor.

Die Situation der schon bitter- armen Bevölkerung von Moldawien wird durch die Lieferung von teurem Gas und teurer Strom aus den EU-Ländern verschärft.
Vordem wurde Moldawien mit preisgünstigen Gas aus Russland versorgt.

Dazu gießt Selensky Öl ins Feuer und empfahl Transnistrien zu deokkupieren

Eine umsichtige europäische Politik hätte, nach dem Zerfall des Ost-Blocks, der Situation Rechnung tragen müssen, daß auch Russen, die dort seit Jahrzehnten leben, eine erträgliche Zukunft in ihrer neuen Nationallage möglich ist.
Ansonsten entwickeln sich immer wieder Brandnester.
Den Baltenstaaten ist es glaube ich recht gut gelungen, obwohl sie direkt an Russland grenzen.