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Krim-Krise - Putin handelt, die EU schaut zu

Putins Plan scheint aufzugehen. Er schürt Konflikte in Pufferstaaten wie der Ukraine und Georgien, um EU- oder Nato-Beitritte zu verhindern und Gebiete wie die Krim zu annektieren. Derweil sind den Europäern die Hände gebunden

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Russland bedient sich. „Mehr Europa wagen“ im buchstäblichen Sinn ist Putins Plan, und der scheint aufzugehen. Die Duma bereitet derzeit vor, dass der Anschluss der Krim in wenigen Tagen zügig über die Bühne gehen wird. Weder in Moskau noch in Berlin und nicht einmal in Kiew bestehen ernsthafte Zweifel daran, dass die Bevölkerung der Krim am Sonntag mit großer Mehrheit für die Abspaltung von der Ukraine stimmen wird.

Da sagt es sich leicht: Der Westen darf das nicht einfach geschehen lassen. Er muss doch was tun! Nur: was? Bisher hatte Putin als schlimmste Maßnahme zu fürchten, von Merkel und Obama angerufen zu werden. Er kann auch über die Beschlüsse der EU lachen, ein holpriger Kompromiss, der sich Stufenplan nennt. Stufe 1: Aussetzen der Visa-Verhandlungen; Stufe 2: Einfrieren russischer Konten in der EU; Stufe 3: Sanktionen.

Das sind drei flache Stufen, vor allem sind sie so tief, dass es ewig dauern kann, bis Stufe 3 erreicht wird. Sie zeigen die Spaltung der EU in zwei Lager. Für Stufe 1, und damit ganz vorn, stehen die dialogbereiten Staatslenker, die immer und immer wieder auf Gespräche mit Russland setzen. Sie wollen erst einmal sachte anfangen mit dem Druck und haben deshalb nur den lächerlich harmlosen Stopp der Visaverhandlungen als Protestmaßnahme zugelassen. Für Stufe 3, und somit ganz hinten in der EU-Strategie, stehen die Putin-Hasser. Es sind die Länder, die schlicht Angst davor haben, dass der Kreml-Herrscher soeben beginnen könnte, sich seine eigene kleine Sowjetunion zu bauen.

Deutschland steht an der Spitze der Dialog-Bereiten
 

Deutschland führt das erste Lager an, es steht an der Spitze der Dialog-Bereiten und gibt derzeit die ganze Richtung der EU vor. Die entspricht der Haltung des deutschen Außenministers Steinmeier, der schon seit Jahren verlangt, niemals den Draht nach Moskau zu kappen. Kanzlerin Merkel unterstützt seinen Kurs diesmal, obwohl sie eigentlich herzlich wenig von Putin hält und in der Vergangenheit durchaus zu Streit bereit war. Doch diesmal geht es um das Wohl der deutschen Wirtschaft.

Merkel weiß, dass es ewig dauern kann, bis Sanktionen zum Sieg führen. Gerade autokratische Regime, wozu sie Putins zählt, sind hart im Nehmen. Dann wird es eben ein paar Jahre lang in sibirischen Wohnzimmern noch ein paar Grad kälter sein. Russland hält das aus. Aber wie lange würden die Deutschen es gutheißen, auf satte Gewinne durch ihre Russlandexporte zu verzichten?

Daher haben diejenigen in der EU das Nachsehen, die statt des gemächlichen Stufenplans lieber gleich die höchste Schwelle der Sanktionen genommen hätten. Es sind die baltischen Länder und fast alle weiteren einstigen Ostblockstaaten, die heute zur EU gehören. Sie fürchten um ihre eigene Sicherheit, sollte Putin Lust auf mehr bekommen.

Für sie ist es auch ein schwaches Argument, das hierzulande Putin-Versteher gern bringen: Russland wolle eben nicht, dass die Nato ihm auf die Pelle rücke. Schließlich sei das bereits Kohls Versprechen an Gorbatschow gewesen, um die deutsche Einheit zu bekommen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und des ganzen Ostblocks machte Kohls Zusage obsolet.

Aber Putin scheint Pufferstaaten wie die Ukraine, Georgien, Moldawien oder Aserbaidschan an der Westgrenze seines Reiches auf jeden Fall erhalten zu wollen. Sein Trick ist es, diese Staaten in Grenzkonflikte zu ziehen, sie zumindest nicht ausheilen zu lassen. Das garantiert ihm den Erhalt der Pufferzone. Denn die Nato nimmt keine Länder auf, die Probleme an ihren geografischen Rändern haben. „Kontrollierte Destabilisierung“ nennen Osteuropaforscher diese Praxis Putins.

Wunden in der Ukraine aufreißen
 

Bei der Ukraine ist es besonders leicht, alte Wunden aufzureißen. Denn ihre tausend Jahre zurückreichende Geschichte war die meiste Zeit Bestandteil fremder Staaten. Erst im dritten Anlauf – nach 1654 und 1918 – wurde sie 1991 unabhängig. Polen, Ungarn, Österreich und Russland hatten wiederholt Teile der Ukraine unter ihre Herrschaft gebracht und betrachteten sie als Grenzland, als „Ukraina“ ihres eigenen Staates.

Das aus heutiger Sicht Kuriose der ukrainischen Nationalgeschichte ist: Erst die Sowjetunion gab der Ukraine 1924 ihre jetzigen Grenzen, damals allerdings noch ohne die Krim. Lenin erlaubte ukrainische Sprache und Kultur, um den Kommunismus rascher „einzuwurzeln“. Er brachte den nunmehr gut 50 Millionen Ukrainern, was ihnen unter dem Zarenjoch stets verwehrt wurde: Nationalbewusstsein.

Spätestens 1929 jedoch wirkte das Gift des Kommunismus. Stalin trieb sämtliche Bauern in Kolchosen und damit sechs Millionen Ukrainer in den Hungertod. 1941 besetzte Deutschland das Land, sieben Millionen Ukrainer starben im Zweiten Weltkrieg. Weil Stalins Nachfolger Chruschtschow, der selbst Ukrainer war, die Ukraine als Juniorpartner für das „Unternehmen Sowjetunion“ ansah, schenkte er ihr kurzerhand die überwiegend von Russen bewohnte Halbinsel Krim. 1992, ein halbes Jahr nach der Unabhängigkeit der Ukraine, hat die Krim ihre bis heute geltende weitgehende Autonomie erhalten.

Sollte die Krim nun ganz an Russland fallen, wird die EU gewiss protestieren und mit ihrem Stufenplan wedeln. Was aber kann sie mehr tun? Die Europäer werden dann wohl erkennen müssen, dass die in der Welt ohnehin als politisch schwach geltende EU selbst auf ihrem eigenen Kontinent keine Ordnungsmacht ist.

 

 

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