Russische Nuklear-Raketen
Russische Nuklear-Raketen: Neues atomares Wettrüsten / picture alliance

US-Rückzug aus INF-Vertrag - Anbruch eines neuen nuklearen Zeitalters

Die USA unter Präsident Donald Trump drohen, sich aus dem INF-Vertrag zurückzuziehen. Die Folgen könnten vor allem für Europa dramatisch sein. Es könnte zum Brennpunkt eines nuklearen Rüstungswettlaufes werden

Porträt Carlo Masala

Autoreninfo

Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München und Gastgeber im sicherheitspolitischen Podcast Sicherheitshalber. Zuletzt erschien sein Buch
„Weltunordnung – Die globalen Krisen und das Versagen des Westens“ (C.H. Beck, München 2016). Masala ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Politik

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Seit Sonntag also ist es offiziell: Die USA drohen damit, sich aus dem Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF) zurückzuziehn. Der sogenannte INF-Vertrag, der im Dezember 1987 vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michael Gorbatschow unterzeichnet wurde, sah vor, alle landgestützten Nuklearraketen mit kürzerer (500-1000 Kilometer) und mittlerer Reichweite (1000-5500 Kilometer) sowie der dazugehörenden Abschussvorrichtungen zu zerstören. Dies ging umgangssprachlich auch als „doppelte Nulllösung“ in die Geschichtsbücher ein.

Überlegungen der USA sich zurückzuziehen, gab es schon unter der Obama-Regierung. Donald Trump sagt nun, er lasse Worten Taten folgen. Als Grund für diese Entscheidung wird der mögliche Vertragsbruch durch die Russische Föderation genannt. Diese, so argumentiert die Trump-Regierung (und so sagt es auch die Nato), verfüge neuerdings mit der SSC-8 über eine Mittelstreckenrakete inklusive Abschussvorrichtung – und habe somit den INF-Vertrag verletzt. Als zweiten Grund für den Vertragsaustritt geben die Vereinigten Staaten an, dass China nicht Mitunterzeichner des INF-Vertrags sei und deshalb im Westpazifik ungehindert landgestützte Nuklearraketen kürzerer und mittlerer Reichweite stationieren würde – was wiederum die amerikanische Sicherheit in dieser Region bedrohe.

Ein Ausstieg und eine Drohung

Trump wäre nicht Trump, wenn er den Ausstieg aus dem INF-Vertrag nicht auch mit einer weiteren Drohung verknüpft hätte. Der nämlich, dass die Vereinigten Staaten – sollten Russland und China mit den USA nicht einen neuen Vertrag aushandeln – auf die aus ihrer Sicht existierende Bedrohung mit Aufrüstung reagieren würden. Trump hat damit nicht mehr und nicht weniger angekündigt als ein neues atomares Wettrüsten.
 
Für Europa kann die Dramatik der amerikanischen Entscheidung kaum überschätzt werden. Denn sie zerstört einen weiteren Pfeiler, auf dem die europäische Sicherheit der vergangenen 30 Jahre beruhte: Das mögliche Ende des INF-Vertrags kommt hinzu zur Aussetzung des Vertrag über konventionelle Rüstungskontrolle in Europa (der alle Europäer in die komfortable Lage der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit versetzt hatte), sowie dem Fakt, dass die 1975 in der Charta von Helsinki bestätigte Unverletzlichkeit von Grenzen seit der russischen Annexion der Krim im Jahre 2014 Makulatur ist.

Damit könnte Europa künftig wieder zum Brennpunkt eines neuen nuklearen Rüstungswettlaufes werden. Und als sei das nicht schon genug, ist aus Washington zu hören, Trumps nationaler Sicherheitsberater John Bolton habe ausdrücklich betont, die US-Administration habe auch wenig Interesse an einer Erneuerung des 2021 auslaufenden New-START-Vertrag über Rüstungskontrolle bei strategischen Nuklearwaffen.

Europa vor Spaltung, Nato praktisch obsolet

Die INF-Entscheidung der Trump-Regierung ist nicht nur katastrophal für die Sicherheit und Stabilität Europas, sie birgt noch dazu die erneute Gefahr einer nachhaltigen Spaltung unseres Kontinents. Denn sollte Trump wie angekündigt zu einem Aufrüsten in Europa mit neuen Mittelstreckenraketen übergehen, werden sich die westeuropäischen Staaten einer solchen Politik kaum anschließen. Dies gilt allerdings nicht für einige osteuropäische Länder wie etwa Polen oder möglicherweise auch die baltischen Staaten, welche in ihrer Furcht vor einem neoimperialen Russland die Stationierung von Mittelstreckenraketen auf ihrem Territorium als eine Art Lebensversicherung vor zukünftiger russischer Aggression betrachten werden.
 
In einem solchen Szenario wäre die Nato endgültig obsolet, die Auswirkungen auf die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik katastrophal – und europäische Sicherheit teilbar.
 
Europa ist gegenwärtig außerstande zu reagieren. Es ist Objekt und nicht Subjekt dieser Entwicklung. Trotz gegenteiliger Bekundungen seitens des deutschen und französischen Außenministeriums wird Europa aller Wahrscheinlichkeit nach keinerlei Einfluss auf die Entscheidungsfindung im Weißen Haus haben. Es ist gewissermaßen nur der Zaungast beim Anbruch eines neuen nuklearen Zeitalters. Mit voller Kraft zurück in die Zukunft: schlechte Aussichten für Europa.

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Yvonne Walden | Mo., 22. Oktober 2018 - 17:54

Europa - und insbesondere Deutschland - darf nicht nur verbal reagieren, sondern muß mit Konsequenzen drohen. Etwa mit dem Rückzug deutscher Truppen aus der NATO (wo sie sowieso schon immer fehl am Platze waren). Außerdem sollte die Bundesregierung alles daransetzen, unsere EU-Partnerländer (darf man dies noch so schreiben?) mit ins Boot zu holen.
Wir sollten uns aus der Schuljungen-Rolle befreien und den USA klar aufzeigen, was wir wollen und was nicht. Sonst werden wir - wie eigentlich schon immer - von den USA überrollt.
Außerdem sollten wir unser Verhältnis zur Russischen Föderation - Putin hin oder her - klarstellen und verbessern. Die EU und Russland könnten gemeinsam stark sein - wenn die USA diesen Vergleich herausfordert, immer.

@Frau Walden: Wie soll das gehen? Das geht nicht mit einem Bündel an Nationalstaaten, sondern nur mit einem gemeinsamen großen Staat. Und den gibt es demokratisch in Europa noch viele Jahrzehnte nicht. Schuld daran ist m.E. zu einem großen Teil die Krimkrise, bei der von westlicher und russischer Seite über Jahre große Fehler gemacht wurden. Der Fehler auf der russischen Seite war die Verletzung der KSZE-Charta über die Unverletzlichkeit von Grenzen, auch wenn es im Prinzip nur die Rückabwicklung der Fehlentscheidung von Chruschtschow 1954 ist. Der Fehler auf der westlichen Seite war die Einmischung in die Ukraine, die bekanntermaßen von vielen Russen bewohnt wird. Und damit fing das Problem an, denn natürlich trauen die Polen und die Balten den Westeuropäern nicht über den Weg. Würde ich an deren Stelle auch nicht, denn welcher westeuropäische Soldat wird sein Leben im Baltikum riskieren? Vor allem, wenn zunehmend über Ausländer in westeuropäischen Armeen diskutiert wird.

Robert Müller | Mi., 24. Oktober 2018 - 08:48

Antwort auf von Wolfgang Selig

Das sehe ich nicht so. Die Krim war nicht das Problem, das hätte der Westen akzeptiert. Was nicht mehr ging war das Russland auch in den anderen Teilen der Ukraine eingriff und die Gefahr bestand, dass die halbe Ukraine an Russland fallen würde. Vorbild sind da die anderen osteuropäischen Staaten, wo überall russische Truppen stehen und wo man dann "unabhängige" Staaten schafft. Ist übrigens ganz alte russische Schule: Die DDR war auch so ein "unabhängiger" Staat, der bekanntlich nach dem Russland erklärte nicht militärisch eingreifen zu wollen, binnen ganz kurzer Zeit verschwand. Wenn man den Maßstab anlegt, wo viele Russen wohnen hat Putin das Sagen, dann ist sogar Berlin in Gefahr, weil dort auch viele Russen leben.

Frau Walden: Ich suche gerade gedanklich nach Situationen, in denen wir von den USA "überrollt" worden sind. Der Rückzug deutscher Truppen aus der NATO wird die anderen Natomitglieder in Furcht und Schrecken versetzen! Die Zurückhaltung bei den deutschen Natobeiträgen entspricht ja fast einem Truppenrückzug. Bei allem Respekt, aber ein Vergleich der deutschen militärischen Leistungsfähigkeit mit der der USA ist ein weiteres Mosaiksteinchen der augenblicklichen deutschen Hybris. Putin, der Autokrat, plötzlich als Verbündeter? Also bitte!

Konsequenzen müssten richtigerweise nun folgen. Und zwar rasch und wirkmächtig. Die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen beeindrucken jedoch weder in Washington, noch in Moskau und sind daher vollkommen ungeeignet in dieser Situation. Ich sehe nur eine einzige taktisch kluge Möglichkeit, um ein atomares Aufrüsten zu unterbinden und die USA wie Russland in ihren neuen atomaren Ambitionen einzubremsen. Ich rekurriere hierbei auf Christian Hacke, der mit seinem Top-Essay Ende Juli hier in der Leserschaft ja einen sehr schweren Stand hatte (https://www.cicero.de/aussenpolitik/donald-trump-deutschland-usa-atomma…).
Aus meiner Sicht müssten die Europäer nun rasch hergehen und den kollektiven Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag glaubhaft androhen und den Aufbau genuin europäischer Atomstreitkräfte ankündigen. So ein Paukenschlag würde nicht ungehört verklingen, weil er den NPT insgesamt in Frage stellt! Es scheitert jedoch an den (deutschen) Hasenfüßen.

Dieter Hegger | Mo., 22. Oktober 2018 - 18:03

Dieser erbärmliche Haufen ist doch nur noch Zuschauer in der Weltpolitik. Ohne die USA ein Papiertiger.

Juliana Keppelen | Di., 23. Oktober 2018 - 14:48

Antwort auf von Dieter Hegger

Hallo da ist ihnen aber was entgangen wir werden von der mächtigsten Frau der Welt regiert ohne Fehl und Tatel. (Ironie off)

Peter Ruppert | Mo., 22. Oktober 2018 - 18:11

Was haben wir für Politiker in Europa, die unfähig sind, ein starkes Europa zu bilden. Es gibt keine
gemeinsame Außenpolitik,von anderen Politikfeldern ganz zu schweigen. Die US Politik nach altem Muster,
Teile und Herrsche, trägt Früchte. Polen und die baltischen Staaten,sind schon sehr gute Freunde der USA. Europa wird wieder zum Spielball der Atommächte. Man bekommt langsam Angst und keiner ist da, der dem Wahnsinn ein Ende bereitet.

Dimitri Gales | Mo., 22. Oktober 2018 - 19:46

Antwort auf von Peter Ruppert

eine grosse Freihandelszone. Das zu Beginn der fünfziger Jahre gedachte "Vereinte Europa" ist nicht realisierbar und wurde im Verlauf der Jahrzehnte von der Wirtschaft und ihren Lobbys vereinnahmt.

Thorsten Rosché | Di., 23. Oktober 2018 - 08:52

Antwort auf von Peter Ruppert

Wie schon in der Schule, man sucht sich den stärksten in der Klasse zum Freund. Junkers ist es in diesem Fall nicht ;-))

Alexander Mazurek | Mo., 22. Oktober 2018 - 21:58

... sachlich. Präsident Eisenhower hat in seiner Abschiedsrede 1961 vor der Dominanz des militärisch-industriellen Komplexes über die Politik gewarnt, umsonst, der Oberste Gerichtshof der USA hat 2010 in der Sache Citizens United v. FEC die Käufligkeit der Politik als verfassungsgemäß bestätigt. Seither leben die Eliten der USA von endlosen Kriegen (everlasting wars) -immer woanders- und der Mittelstand von den Brosamen, die vom Tisch der Herren fallen. Säkulare Moderne, so ist sie halt. Zum Programm gehört die Vermeidung von Schäden zu Hause. Deshalb etabliert man, der Drang nach Osten des IV. neoliberalen LBGTQIAZDF...Reiches ist gar stärker als der des III. Reiches, viele Basen rund um die Beute. Wenn man dann loslegt, von diesen Basen aus, wird die taktische Antwort des Gegners auf die Basen zielen, al hamdu lillah! Die wahren Täter bleiben so verschont und können sich die nächste Beute suchen. Das islamische Kalifat und der "säkulare" Leviathan sind die aktuellen Totalitarismen.

Anja Böttcher | Di., 23. Oktober 2018 - 00:09

Die westeuropäischen Regierungen wären hier keineswegs so ohnmächtig, wie hier getan wird, wenn ihr an den Überleben der eigenen Bevölkerungen wirklich gelegen wäre. Mit dem Vertragsbruch der USA wäre die Nato-Mitgliedschaft sofort kündbar - und damit den USA die Nutzung aller westlichen Militärbasen und auch des Militärflughafen in Ramstein verwehrt. Haben sie zudem kein Überflugsrecht mit militärischem Equipment über Westeuropa will ich mal wissen, wie sie ein schlagkräftiges Bedrohungsszenarium in Polen und dem Baltikum aufbauen wollen. Diese Leute haben kein Recht uns dauerhaft alle in nukleare Geiselhaft zu zwingen. Und wenn eine deutsche Regierung das nicht transportiert, wird es noch gewaltige Erschütterung in unserem Parteiensystem geben. Es ist ein Wahnsinn - Regierungen haben das Leben ihrer Bevölkerung zu schützen! Dazu sind sie laut unserem Grundgesetz verpflichtet!

Heinrich Niklaus | Di., 23. Oktober 2018 - 10:42

Wenn die Nato sagt, Russland verfüge neuerdings mit der SSC-8 über eine Mittelstreckenrakete inklusive Abschussvorrichtung – und habe somit den INF-Vertrag verletzt, ist das nicht ganz zutreffend. Die SSC-( ist keine Mittelstreckenrakete, sondern ein Marschflugkörper.

Amerika( Tomahawk), Iran (Noor), Indien( Nirbhay) und nicht zuletzt China (DongHai 10) entwickeln/ besitzen Marschflugkörper, die atomar einsetzbar sind.

Moskau ist beunruhigt über die Entwicklung des US-Waffensystems Aegis Ashore mit dem MK 41 Vertical Launching System, das 2015 in Rumänien und 2018 in Polen auf dem Festland stationiert werden soll. Von diesen Anlagen könnten Tomahawk-Raketen gestartet werden. (Wiki)

Trump hat völlig Recht, wenn er einen neuen Vetrag erzwingt, der den neuen Entwicklungen Rechnung trägt.

Romuald Veselic | Di., 23. Oktober 2018 - 11:58

ohne einzigen Schuss. So ein wehrloses Land, wie Deutschland, gibt's nirgends in Europa. Dieses Land kann keine Aggression verhindern. Deutschlands Glück: Um uns herum sind Länder, die sich noch wehren wissen und ihre Grenzen verteidigen werden. Ohne Deutschland als Verbündeten.

Da haben sie bedauerlicherweise vollkommen Recht. Eine schlagkräftige Armee zur Abschreckung hat in Deutschland leider überhaupt keine Lobby. Stattdessen träumt man sich Luftschlösser zurecht und lässt im Fall der Fälle die anderen bluten. Ich hoffe jedoch, das diese Staaten und ihre Bevölkerung das nicht mitmachen, solang man in Deutschland nciht bereit ist sich selber zu engagieren.

Im übrigen - wie etablierte Politiker und Parteien zum Thema Grenzschutz stehen hat man in den letzten Jahren ja "bewundern" dürfen.

Aber sicher, kann man Deutschland ohne jegliche Gegenwehr und ohne Risiko besetzen. Es wird sich, unter den Grünen regiert, freiwillig unterwerfen und froh sein, als Satellit des Angreifers zu dienen.

Michael Sander | Mi., 24. Oktober 2018 - 08:46

Und wieder mal ein Artikel, der den USA fälschlich die Hauptverantwortung für einen neuen Rüstungswettlauf zuweist.
Tatsache ist jedoch, dass Russland mit der SSC-8 den Vertrag ganz offensichtlich bricht. Ausserdem besitzt jede Seite heute Trägersysteme für konventionelle Sprengköpfe, die jederzeit auch atomar bestückt werden können. Zudem ist mit China ein neuer Player auf die Bühne erschienen, der an diese alten bilateralen Vereinbarungen nicht im geringesten gebunden ist und dementsprechend munter aufrüstet. Was nutzt in dieser Situation also noch der INF Vertrag? Trump macht es genau richtig. Er weist auf dieses bestehendes Problem hin und fordert Neuverhandlungen unter Einbeziehung Chinas. Und natürlich macht er das nicht ohne die Drohung, anderenfalls entsprechend aufzurüsten. Sonst wären seine Forderungen ja wirkungslos.