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Femen France

Tunesien - Femen-Aktivistin zündelt wieder

Kaum aus dem Gefängnis entlassen, meldet sich die tunesische Femen-Aktivistin Amina Sboui zurück. Auf einem Foto posiert sie halbnackt - und mit einem Molotow-Cocktail

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Katharina Pfannkuch studierte Islamwissenschaft und Arabistik in Kiel, Leipzig, Dubai und Tunis. Sie veröffentlichte zwei Bücher über das islamische Finanzwesen und arbeitet seit 2012 als freie Journalistin. Neben Cicero Online schreibt sie u.a. auch für Die Welt, Deutsche Welle und Zeit Online.

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Über das Netzwerk Facebook hat sich die tunesische Femen-Aktivistin Amina Sboui in der Nacht auf Donnerstag nach wochenlanger Zurückhaltung wieder an die Öffentlichkeit gewandt. Erst vor zwei Wochen war Sboui, die sich unter anderem wegen des Vorwurfs des „Angriffs auf die guten Sitten“ verantworten muss, vorläufig aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Nun veröffentlichte die 19-Jährige erneut ein Foto, das sie mit nacktem Oberkörper zeigt. In schwarzer Farbe prangt der Satz „Wir brauchen eure Demokratie nicht“ auf ihrer Haut, sie hält einen brennenden Molotow-Cocktail in der Hand, mit dem sie sich soeben eine Zigarette angezündet hat.

Im März sorgte Amina Sboui, die sich auch Amina Tyler nennt, zum ersten Mal für Aufsehen, als sie sich als erste Tunesierin der ukrainischen Gruppierung Femen anschloss und barbusig für die Rechte und Freiheiten von Frauen eintrat. Mit ihren Oben-Ohne-Fotos, auf denen sie ihre Botschaften wie „F**ck your morals“ auf dem nackten Oberkörper geschrieben verkündete, entfachte Sboui im muslimisch geprägten Tunesien einen Skandal. Sboui wurde regelrecht gejagt und tauchte schließlich unter, Gerüchte von einer Zwangseinweisung in die Psychiatrie gingen durch die Medien. Der salafistische Prediger Adel Almi rief zur Steinigung der 19-Jährigen auf, die Fanseite des tunesischen Femen-Ablegers wurde von Islamisten gehackt.

Auch über die Grenzen des kleinen Mittelmeerlandes hinaus sorgte der Fall für Aufmerksamkeit: In Berlin, Paris und anderen europäischen Städten demonstrierten Femen-Aktivistinnen Solidarität mit ihrer tunesischen Mitstreiterin. Als Sboui im Mai am Rande einer Versammlung von muslimischen Extremisten in Kairouan den Schriftzug „Femen“ auf eine Mauer nahe einem Friedhof schrieb, wurde sie schließlich festgenommen. Seitdem muss sie sich wegen „Entweihung einer Grabstätte“ und  Angriff auf die guten Sitten“ verantworten, ihr Prozess soll im Oktober fortgesetzt werden.

Keine dreißig Minuten nach der Veröffentlichung des aktuellen Protest-Fotos der barbusigen, mittlerweile rothaarigen Sboui waren bereits hunderte Kommentare auf ihrer Facebook-Seite zu lesen. Neben einigen Solidaritätsbekundungen hinterließen die Kommentatoren vor allem wüste Beschimpfungen. Weniger als eine Stunde lang war das Foto öffentlich zugänglich, bis Sboui es selbst zunächst sperrte und anschließend löschte – ob aus freien Stücken oder aufgrund von Drohungen, bleibt unklar.

Amina Sboui selbst ist nicht erreichbar. Die Diskussion über den erneuten Protest der 19-Jährigen geht dennoch weiter: Auf der Seite der französischen Femen-Gruppe und in den tunesischen Medien kommentieren und kritisieren die Tunesier unermüdlich die wiederholte Provokation, mit der Sboui an die Öffentlichkeit tritt.

Ihre vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft Anfang August sorgte bei Frauenrechtlerinnen für Erleichterung. Doch inmitten der Regierungskrise, in der sich Tunesien seit dem Mord an dem Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi am 25. Juli befindet, stößt die Entscheidung auch auf Skepsis: Regimegegner deuten die Freilassung von Sboui als Kalkül der in die Kritik geratenen Regierung Tunesiens: „Die Islamisten warten nur darauf, dass Amina bei der Protesten auftaucht und für einen Skandal sorgt“, glaubt Lotfi Saibi, ehemaliges Mitglied der säkularen Partei Al-Joumhouri. Der 52-Jährige ist täglich bei den Protesten gegen die amtierende Übergangsregierung Tunesiens dabei.

Saibi bangt um die Glaubwürdigkeit der Regierungsgegner vor allem bei konservativen Tunesiern: „Die sogenannten Laizisten werden sowieso schon von Teilen der Bevölkerung skeptisch beäugt. Gerade ältere Menschen auf dem Land könnten sich durch Aminas Erscheinen bei den Protesten in ihren Vorbehalten gegen unsere Bewegung bestätigt fühlen – und genau das ist es, was die Ennahda-Partei will“. Mit seinem Wunsch, dass die Femen-Aktivistin sich von den aktuellen Protesten fernhält, ist Saibi nicht allein: Auch Mitglieder der Oppositionspartei Nidaa Tounes riefen die junge Frau auf, nicht bei den Kundgebungen in Tunis zu erscheinen.

Das tat Amina Sboui auch weitgehend, nur kurz ließ sie sich in der vergangenen Woche bei einer Kundgebung blicken, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Interviews lehnte sie ab. Nun meldet sie sich als barbusige Kämpferin für Frauenrechte und Meinungsfreiheit zurück. Laut der französischen Femen-Gruppe will Sboui mit ihrem erneuten Protest zu einer „wahren Revolution“ aufrufen. Im Internet hagelt es derweil Kritik, vor allem Frauen kritisieren den barbusigen Protest von Sboui besonders scharf: „Alle Frauen haben Brüste, aber nicht alle haben ein Gehirn“, schreibt etwa eine Tunesierin.

Die Regierungsgegner stellt Amina Sboui mit ihrer Form des Protestes vor eine Herausforderung. Denn die säkularen Kräfte im Land haben sich der freien Meinungsäußerung und der Toleranz verschrieben, die Einschränkung der Meinungsfreiheit werfen sie ihren politischen Gegnern, den Islamisten, vor. Der Protest von Amina Sboui geht jedoch auch vielen säkularen Kräften im Land zu weit. Lotfi Saibi beteuert: „Ich habe nichts gegen diese Frau, natürlich kann und soll sie ihre Meinung frei äußern. Aber der Zeitpunkt ist nicht günstig“. Derzeit befindet sich Außenminister Guido Westerwelle zu Gesprächen mit der Regierung und der Opposition in Tunesien. Westerwelle mahnte die politischen Führer Tunesiens am Mittwoch an, „Brücken zu bauen“. Der Fall von Amina Sboui zeigt erneut, wie tief die Gräben sind, über die diese Brücken in Tunesien führen müssen.

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