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Nahost - Der Siedlungsbau schadet Israel

Die Siedlungen außerhalb des Kernlands haben Israel nur geschadet. Sie sind nicht nur unnütz und teuer, sondern ein beträchtliches Hindernis für den Frieden

Autoreninfo

Judith Hart ist Ressortleiterin Weltbühne bei Cicero

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Dieser Artikel erschien zuerst in der Oktober-Ausgabe des Cicero. Das Magazin für politische Kultur erhalten Sie am Kiosk oder direkt hier im Online-Shop.

Elon Moreh liegt auf einem Hügel im nördlichen Teil der Westbank. Die Straßen sind gepflegt, die Vorgärten grün, die Dächer mit roten Ziegeln gedeckt. Elon Moreh sieht aus wie alle anderen jüdischen Siedlungen: auf Höhen gebaut, Präsenz ausstrahlend, sofort unterscheidbar von den palästinensischen Dörfern. Genau so haben es sich die Gründer der Siedlung, eine Gruppe messianischer Aktivisten, Mitte der siebziger Jahre auch vorgestellt. Mit Bedacht wählten sie sich als Bauplatz die Gegend nahe der palästinensischen Stadt Nablus, dem biblischen Schechem. Sie wollten zeigen, dass hier Geschichte reklamiert wird, um eine neue Zukunft zu bauen, die das palästinensische Leben verändert. Kein arabischer Staat soll mehr Platz zwischen Jordan und Mittelmeer haben.

Genau deshalb wollte der damalige Premier Jitzchak Rabin verhindern, dass die Siedlung hier entsteht. Mehrfach besetzte die Siedlergruppe ein Stück Land; mehrfach wurde sie von der israelischen Armee vertrieben. Da die „Erstbesetzung“ auf privatem Land stattfand, verbot auch das israelische Oberste Gericht den Bau einer Ortschaft.

Erst vertrieben, dann beschütz

1980 jedoch, unter der Regierung des Likud-Politikers Menachem Begin, wurde das Plazet zum Bau der Siedlung Elon Moreh etwas nordöstlich der ursprünglich auserkorenen Stelle gegeben. Die Armee vertrieb keine Siedler mehr, sie schützte sie nun. Für die rechtlichen Fragen fand sich eine Antwort. Wie schon die jordanische Regierung, die die Westbank zwischen 1948 und 1967 besetzt hatte, berief sich auch Israel auf osmanisches Recht. Land, zu dem keine Titel vorlagen und das als „ungenutzt“ galt – ein dehnbarer Begriff, wenn man bedenkt, dass manche Felder oft aus landwirtschaftlichen oder ökonomischen Gründen brachliegen –, galt als „Sultansland“ oder, in der israelischen Interpretation, als „Staatsland“, nun unter Verwaltung Israels.

Das Muster der Gründung von Elon Moreh wiederholte sich seither viele Male: Eine Gruppe wild Entschlossener besetzt ein Stück Land, wird von der Armee vertrieben, kommt immer wieder zurück. In Jerusalem beginnt eine inzwischen hervorragend organisierte Lobbyarbeit bei der Regierung. Irgendwann ist es geschafft: Die Wohnwagen werden abtransportiert, Häuser gebaut, „Sultansland“ und – wie eine Studie der israelischen Friedensbewegung ­„Peace Now“ zeigt – durchaus auch Privatland werden konfisziert. Auf Elon Moreh folgte Itamar südlich von Nablus, folgte schließlich Beit El nahe Ramallah in direkter Nähe zu den palästinensischen Ballungszentren.

Was sich in Elon Moreh zeigt, erwies sich als das politisch dümmste, finanziell kostspieligste und nutzloseste Unterfangen, das sich Israel in den über sechs Jahrzehnten seiner Existenz geleistet hat. Der Siedlungsbau ist nicht das einzige Hindernis für den Frieden – aber es trägt doch erheblich dazu bei, dass die Gewalt kein Ende findet.

Nicht die Siedlungen, sondern die Siedler behindern den Frieden

Charakteristisch für die Debatte über die Siedlungen ist, dass sie sich fast ausschließlich an der Frage ihrer Völkerrechtswidrigkeit festmacht. Beginnen wir also hier. Grundlage ist ein durch die Vierte Genfer Konvention verbotener gewaltsamer Transfer eigener Bevölkerung in besetztes Land. Israel hingegen erachtet das Land in der Tat nicht als besetzt, sondern als „umstritten“, da es vor 1967 keine anerkannte souveräne Herrschaft in diesen Gebieten gegeben habe.

Wichtiger aber als die Genfer Konvention oder gar die vom Völkerbund in San Remo 1920 festgelegte Entscheidung, dass Juden in allen Gebieten Palästinas siedeln dürften, ist der Uno-Teilungsplan von 1947. Schließlich legt dieser fest, dass im ehemaligen Mandatsgebiet Palästina ein jüdischer und ein arabischer Staat entstehen sollten. Den jüdischen Staat haben die Vereinten Nationen ausdrücklich als solchen anerkannt. Er besitzt, anders als viele andere nach 1945 neu gegründete Staaten, ein völkerrechtlich einwandfreies Gütesiegel.

Die Gründung eines arabischen, also palästinensischen Staates, ist die Auflage des Teilungsplans, die noch nicht erfüllt worden ist. Auch, weil die arabische Seite eine Teilung Palästinas bis 1988 ablehnte.

Nicht weniger entscheidend als die völkerrechtlichen Fragen ist: Nicht die Siedlungen, sondern die ideologischen Siedler sind ein wesentliches Hindernis für den Frieden – und damit auch eine Gefahr für den jüdischen Staat.

Bereitschaft zum Rückzug

Weit über 500 000 Israelis leben außerhalb der Grenze von 1967 – etwa 200 000 in den von Israel einseitig erweiterten Stadtgrenzen von Jerusalem, über 300 000 in 102 „autorisierten“ Siedlungen und etwa 100 sogar von der israelischen Regierung als illegal bezeichneten „Außenposten“. Der Großteil der Siedler konzentriert sich auf einige wenige, inzwischen zu Kleinstädten herangewachsenen Ortschaften wie Ariel nordöstlich von Tel Aviv oder Siedlungsblöcke wie den sogenannten Gusch-Etzion-Block südlich von Jerusalem. Sowohl Ariel als auch der Gusch-Etzion-Block sollen laut der Genfer Initiative, einem Grundsatzpapier, auf das sich palästinensische und israelische Politiker 2003 einigten, Israel überlassen werden. Die Palästinenser würden dafür mit einem fairen Landaustausch entschädigt. Ein Großteil der Siedler befände sich dadurch nicht mehr auf dem Boden eines künftigen Staates Palästina. Ein weiterer, nicht geringer, Teil der Siedler ist nicht aus ideologischen Gründen in die Westbank gezogen, sondern wegen der billigen, weil vom israelischen Staat direkt und indirekt subventionierten Immobilienpreise. Sobald sie Ersatz bekämen, wären sie bereit, in das Kernland Israel zurückzuziehen.

Wenigstens 5 Prozent der Siedler jedoch, so schätzen israelische Sicherheitsdienste, sind zum harten ideologischen Kern zu zählen. Sie waren in der Lage, einen gehörigen Aufruhr gegen das Osloer Abkommen von 1992/93 zu entfachen. Dass die Hamas ebenfalls den Friedensprozess unterminierte und zahlreiche Israelis nach Abschluss der Abkommen durch Terrorattentate tötete, erhöhte das Vertrauen der Israelis in den Friedensprozess auch nicht gerade. Aus den Reihen der ideologischen Unterstützer der radikalen Siedler stammte der Mörder des israelischen Regierungschefs Jitzchak Rabin.

Israel alimentiert Fanatiker

Dem Rückzug aus dem Gazastreifen 2005 und der Räumung der dortigen Siedlungen mögen sich die Siedler gebeugt haben. Aber Gaza hat – im Gegensatz zu „Judäa und Samaria“ – auch keine historische oder heilsgeschichtliche Bedeutung für sie. Sie sind der Überzeugung, in einem höheren geschichtlichen Auftrag zu handeln, und sie werden mit allen Mitteln versuchen zu verhindern, dass Land aufgegeben wird, das sie als „Wiege des Judentums“ betrachten. Sie lassen keinen Zweifel daran, dass sie eine Entscheidung der israelischen Regierung für einen umfassenden und abschließenden Friedensvertrag und damit die Räumung von Siedlungen wie Elon Moreh oder Kiryat Arba bekämpfen würden.

Israel hat über Jahrzehnte eine Gruppe von Fanatikern alimentiert, die enormes Unheil anrichten kann. Mehrere israelische Menschenrechts- und Friedensorganisationen versuchen seit Jahren, eine Bilanz der Kosten für den Bau, die Bereitstellung von Infrastruktur, den militärischen Schutz und nicht zuletzt für die subventionierten Immobilien zu berechnen. Vergeblich. Festzustellen ist nur: Milliarden wurden ausgegeben für Siedlungen, von denen inzwischen klar ist: Die meisten wird Israel räumen müssen, der neue Wohnraum für die Bewohner wird Geld kosten.

Siedlungsbau als Fehlinvestition

Die Siedlungsprojekte sind aber nicht nur eine gigantische Immobilien-Fehlinvestition. Sie haben großen politischen Schaden verursacht. Der fortgesetzte Bau von Siedlungen – selbst, wenn er „nur“ in den Gebieten stattfände, die eh ausgetauscht werden – wird mittlerweile international als sichtbares Zeichen für illegale Landnahme gedeutet und hat erheblich zu Israels Isolation beigetragen.

Dabei hat sich die militärstrategische Lage für Israel nicht einmal verbessert. Der Schutz gerade der verstreut oder nahe an palästinensischen Städten liegenden Siedlungen bindet Kräfte – nicht zuletzt, weil in diesen Gegenden mehr Palästinenser als Israelis leben.
Dabei ruhte der Zionismus immer auf der Annahme, dass Israel ein Staatsgebiet mit einer jüdischen Mehrheit umfassen müsste. In der Westbank leben 1,9 Millionen Palästinenser, ihr Bevölkerungswachstum ist größer als das Israels. In Elon Moreh, dessen Gründer einst angetreten sind, den Palästinensern eine jüdische Präsenz vor die Nase zu setzen, leben etwa 1200 Menschen. Allein in Nablus und Umgebung leben circa 305 000 Palästinenser. Anders als die jüdische Bevölkerung Palästinas vor der Staatsgründung haben die Siedler nie eine nennenswerte funktionierende Wirtschaft in den Gebieten etablieren können. Die meisten Siedlungen sind Schlafstädte, deren Bewohner in den Großstädten des israelischen Kernlands arbeiten.

Werden die Siedlungen nicht geräumt, sondern ausgebaut, wird das Projekt eines palästinensischen Staates hinfällig. Dann wird Israel eine hässliche Besatzung aufrechterhalten müssen – mit allen politischen, moralischen, finanziellen und militärischen Kosten.

Lesen Sie hier das Pro zum Siedlungsbau

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