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Für den Umgang mit dem Bösen in der Weltpolitik empfiehlt der Journalist Eric Frey eine Eindämmungsstrategie
Im öffentlichen Bewusstsein des Westens hat sich während der neunziger Jahre die Bürde zur Chance gewandelt, Vergangenheitspolitik nicht bloß als Voraussetzung, sondern als Geschäftsgrundlage und Mittel von Außen- und Sicherheitspolitik zu begreifen. Der Auseinandersetzung um die Geschichte des Nationalsozialismus dienten verschiedene politische Fragen als Koordinaten – die deutsche Einheit, die Ost-Erweiterung der EU, der Krieg im Kosovo und die europäische Integration. Innerhalb dieses Feldes wird nun weltweit operiert, mit höchst heterogenen Zielen aller Beteiligten. Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation und mit Beginn des zweiten Golfkrieges und den Bürgerkriegen im zerfallenden Jugoslawien bekamen die Probleme der Weltgemeinschaft neue Namen. «Schurkenstaat» und «Genozid» hielten Einzug in die Rhetorik internationaler Politik. Für beides bot sich das «Dritte Reich» als historische Analogie an. Aus ihr wurden und werden die Kriterien der politischen Bewertung gewonnen.
Diese Entwicklung bezeichnet Eric Frey in seinem gleichnamigen Buch als «Hitler-Syndrom». Dahinter steckt nach seiner Definition die Tendenz, in jedem außenpolitischen Gegner einen neuen Hitler zu sehen, der militärisch bekämpft werden müsse, weil er sonst noch stärker und gefährlicher wäre – auch wenn dieser mit dem historischen Diktator wenig gemein habe und in der fraglichen Situation Verhandlungen grundsätzlich möglich und sinnvoll wären. Statt die Natur der Bedrohung genau zu analysieren, verweise man auf die historischen Erfahrungen, die jeden anderen Weg diskreditierten. «Das Hitler-Syndrom führt Demokratien dadurch in vermeidbare Konfrontationen und verschärft Konflikte, die durch ein umsichtigeres Vorgehen beigelegt werden könnten.»
Multilateralismus statt NS-Geschichte
Doch wie sollte das aussehen? Frey plädiert für einen «energischen Multilateralismus». Denn dieser öffne den Blick für andere Perspektiven und eine tiefergehende Erforschung des Gegners. Er löse Politiker aus ihrer Fixierung auf die öffentliche Meinung im eigenen Land und den innenpolitischen Druck ebenso wie aus den Denkmustern der Geschichte, die aus dem Hitler-Syndrom hervorgegangen sind.
Als Forum für einen solchen Multilateralismus bietet sich in den Augen Freys vor allem die Nato an. Denn der Kosovokrieg, der wegen Russlands Widerstand ohne UNO-Mandat, aber mit dem Segen des nordatlantischen Bündnisses geführt wurde, bildet für den Journalisten von der Wiener Tageszeitung «Standard» noch Jahre später den vorbildlichen Akt einer internationalen Allianz gegen Menschenrechtsverletzungen und Aggression – auch wenn der Suche nach einer nachhaltigen Lösung bislang kein Erfolg beschieden war.
Dabei ist es gerade diese ernüchternde Bilanz, die das Konzept militärischer Intervention zunehmend infrage stellt. Denn von den weltweit 43 Friedensoperationen der Vereinten Nationen im vergangenen Vierteljahrhundert ist die Mehrzahl als gescheitert anzusehen. Auch die wichtigsten Einsätze der letzten Jahre lassen nicht auf einen nachhaltigen Erfolg hoffen: In Afghanistan führte der Einmarsch amerikanischer Soldaten und ihrer Verbündeten zwar zum Sturz des Taliban-Regimes, aber nun stocken der Wiederaufbau und die Absicherung des Landes.
In Afrika, dem Schauplatz eines Drittels aller bisherigen
Blauhelm-Einsätze, bleibt ebenfalls ein durchschlagender Erfolg
aus. In Ländern wie der Zentralafrikanischen Republik, dem Kongo
oder Somalia, wo sich die verfeindeten Parteien gar nicht oder nur
auf dem Papier einigen konnten, sind Friedensmissionen von Beginn
an zum Scheitern verurteilt. Denn selbst die beste Eingreiftruppe,
ob EU oder Nato, ist überfordert, wenn es am politischen Konzept
fehlt, das langfristig aus einem
«Failed State» wieder ein Mitglied der Staatenfamilie machen
könnte.
Trotz seines Plädoyers für einen «energischen Multilateralismus» gibt auch Frey zu bedenken, dass gemeinsam handeln noch nicht heißt, richtig zu handeln. So war in den ersten Jahren des Balkankrieges die Politik zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zwar abgestimmt, hat aber dennoch versagt. Daher empfiehlt Frey eine Strategie, die bereits George Kennan als Vordenker amerikanischer Außenpolitik vor sechzig Jahren formuliert hat: «Containment», die Eindämmung eines Aggressors, als Mittelweg zwischen Konfrontation und Appeasement.
Die Eindämmung ersetzt den Krieg
Frey dekliniert die Anwendungsfelder dieser «idealen Antwort»: Auch die USA wüssten, dass ein Angriff auf Iran oder Nordkorea in eine Katastrophe münden würde. Daher müssten die beiden Regimes auf ihrem Weg zur Atommacht gestoppt werden, ohne sie in ihrer Existenz zu bedrohen. Ebenso könne kein Krieg das Phänomen des Dschihad-Terrorismus aus der islamischen Welt vertreiben; und dennoch lasse sich die Terrorgefahr durch die Wahl der richtigen Mittel eindämmen. Sogar im Nahost-Konflikt biete Containment eine Antwort auf die Frage, wie man der Gefahr, die für den Friedensprozess von den palästinensischen Extremisten ausgehe, am ehesten begegnen könne: Hamas, Islamischer Dschihad und andere Terror-Organisationen ließen sich nicht mit Gewalt auslöschen, aber ihr Einfluss könne durch eine Politik, die auf die Psychologie der Palästinenser Rücksicht nehme, zurückgedrängt werden.
Wie all dies im Detail aussehen soll, führt Frey zwar nicht aus, doch kann er bei seinem Containment-Plädoyer auf die mahnenden Worte Anthony Zinnis verweisen. Im Mai 2004 hatte der amerikanische General und zeitweilige Nahost-Vermittler die Sicherheitspolitik der Regierung Bush einer vernichtenden Kritik unterzogen: «Der erste Fehler, der in die Geschichtsbücher eingehen wird, ist der Glaube, dass eine Containment-Politik nicht funktioniert. Sie hat sicherlich gegenüber der Sowjetunion funktioniert, gegenüber Nordkorea und anderen. Sie ist nicht angenehm durchzuführen, sie erfordert ständig Truppen, und es gibt Zeiten mit Gewalt. Aber Containment ist deutlich billiger als die Alternative, wie wir jetzt herausfinden.» Eine ökonomische Einsicht, in der vermutlich eher der Schlüssel zu einer zukünftigen Weltinnenpolitik liegt als in einem noch so energischen Multilateralismus.
Eric Frey
Das Hitler-Syndrom. Über den Umgang mit dem Bösen in der
Weltpolitik
Eichborn, Frankfurt a. M. 2005. 240 S., 19,90 €
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