- Politische Ikone vs. gute Argumente
Erste Dellen, so sagten die Meinungsforscher, seien erkennbar. Trotzdem: die heftigsten Vorwürfe schienen an Karl-Theodor zu Guttenberg abzuprallen. Wie machte er das bloß? Warum konnte er selbst den Rücktritt noch wie von einem anderen Stern inszenieren?
In die Ratlosigkeit der Intellektuellen in Deutschland tropften allmählich einige Begriffe, aus denen ganz unerwartete Erkenntnisse hergeleitet werden können: „Charisma“, „Strahlemann“, “Ikone“, „Heiligenschein“, „Droge“. Dies waren tatsächlich die Navigationsinstrumente, mit denen das Rätsel wenigstens nachträglich zu lösen sein sollte.
Gemeinsamer Nenner solcher noch stochernder Annäherungen war die Nähe zum Unbewußten und Transzendenten. In solchen Worten kam die Verzweiflung denkender Bürger über die Kräfte des Irrationalen in der Gesellschaft zum Ausdruck. Der Verstand schien von Emotionen besiegt zu sein. Woody Allen hatte seine Wahlkampferfahrungen auf den Punkt gebracht, als er die Wirkungslosigkeit seiner Argumente gegen George W. Bush feststellen mußte. „You are absolutely right“, war ihm entgegen gehalten worden, „but we just like this guy“.
Auch diese Erklärung griff noch zu kurz. Es war letztlich wieder nur ein rationales Argument.
Der Sprachtherapeut in „The King’s Speech“ wußte instinktiv, wie er die zungenlähmende Angst des künftigen Monarchen überspielen konnte. Nicht mit den Argumenten der Tiefenpsychologie, sondern mit Gefühlen, die noch stärker wirken konnten als die erschreckende Erwartung weiterer Blamagen. Mit dem Wohlfühlfaktor schöner Musik bei gleichzeitiger Unterbrechung der Rückkoppelung eigener Sprache in das eigene Gehirn. Mit dem von höfischen Fesseln befreienden Einsprengseln von Flüchen, Fäkalsprache und four letter words. Mit dem unwiderstehlichsten Angebot an einen Einsamen: Freundschaft.
Wie hätte eine vergleichbare Strategie gegen die „Ich mag ihn aber“ Festung gefunden werden können? Man mußte weiter fragen: Warum liebten sie ihn? Warum lieben sie ihn trotz allem immer noch?
Die Antwort führt in noch tiefere Schichten des Unbewußten. Die Erscheinung des Adligen war nicht von einem Heiligenschein gekrönt, sondern von gegeltem Haar. Wie bei Kai Diekmann (!), Michael Friedmann und wie bei vielen pubertierenden Jungen. Die innere Empfindung, daß ein wachsender, älter werdender Körper auch ein anderes Bewußtsein verlangt, mischt sich mit der Angst, sich in diesen Veränderungen nicht mehr selbst immer neu und angemessen identifizieren zu können. Der Unsichere klammert sich an ein unveränderliches Erscheinungsbild, in der Furcht, geistig nicht Schritt halten zu können.
Das Problem manifestiert sich sonst in der Angst des Diplomaten beim Friseur. Sich in einer noch nicht wirklich beherrschten Fremdsprache die Haare schneiden zu lassen, verlangt innere Souveränität. Das Erscheinungsbild könnte sich ja ändern. Diese Furcht steht paradigmatisch für die bange Frage, wie das Eintauchen in eine fremde Kultur das eigene Weltbild ins Wanken bringen könnte. Können wir aber das Haar gegen jeden Windstoß fixieren, dann kehrt auch Ruhe ein in den Gefühlshaushalt. Deshalb wurde der Minister geliebt, denn er versicherte uns, es bleibt alles wie es war.
Das Erscheinungsbild heißt so, weil es in der Bildzeitung erscheint. Es liegt also nahe, diese die Republik bewegende Streitfrage als Erscheinungsform eines säkularisierten Bilderstreits zu analysieren. Nicht zufällig hat die FAZ am Sonntag ihre Breitseite gegen den Minister zugleich vehement gegen die Bildzeitung gezielt. Und zwar ganz unfazmäßig verziert mit vielen bunten Comicbildern, die den Angeklagten und seine ebenso schillernde Ehefrau als die ebenfalls längst als Ikonen erkannten Puppen Barbie und Ken portraitierten.
Ein Bilderstreit, in dem die führende deutsche Tageszeitung dem führenden deutschen Tabloid zum Duell mit gleichen Waffen entgegentreten wollte. Jedenfalls sollten die Emotionen auch mit Bildern mobilisiert werden.
Die kulturgeschichtlichen, religionsgeschichtlichen, rechtsgeschichtlichen Dimensionen des Bilderstreits in den monotheistischen Buchreligionen werden im deutschen Bildungskanon nicht gelehrt. Günter Lüling, ein querdenkender Alttestamentler, hat aus diesem Zusammenhang ein argumentatives Gerüst geliefert, mit dem auch die heutige Kunst und die gegenwärtige Medienlandschaften in der westlichen Welt als quasi-religiöse Heilsbringer verstanden werden können. (Vgl. den provozierenden Aufsatz mit dem faszinierenden Titel „Das Passahlamm und die Altarabische ‚Mutter der Blutrache', die Hyäne. Das Passahopfer als Initiationsritus zu Blutrache und heiligem Krieg“.)
Es geht um Fragen, die die Menschen seit mehr als 3000 Jahren umtreiben. Das Verhältnis zwischen Körper und Geist, zwischen Gefühl und Verstand. Ein unfaßbarer Gott gegen das Idol, abstrakte Normen gegen Opfer und Blut, Argumente gegen Bilder, FAZ gegen BILD.
Zwischen diese beiden (unvereinbaren, aber in der Religionsgeschichte oft nebeneinander tradierten) Narrative ist der adlige Minister geraten. Auf dem Boulevard flanierte der Charismatiker mit dem Heiligenschein der ewigen Jugend. Die angeblich klügeren Köpfe zeigten entrüstet mit dem Finger und mit den in der Tasche geballten Fäusten auf den Sünder am geschriebenen Wort. Am Anfang war das Wort – oder war es doch das Bild?
Es ist kaum überraschend, daß sich solche anthropologischen Grundmuster auch in scheinbar säkularen Ersatzreligionen spiegeln, wenn eine Boulevardzeitung an die Stelle der 10 Gebote getreten ist. Die Fälle sind nicht zu zählen, in denen demokratische Politiker Entscheidungen weniger für ihre Wähler, sondern zur Besänftigung „der Presse“ getroffen haben. Sie beten in den Kathedralen der Mediengesellschaft.
Solange aber der Glaube an das unveränderliche Bild einer politischen Ikone nicht erschüttert wurde, konnte kein noch so gutes Argument greifen, kein juristisches, keines aus der weiten Welt der Forschung, kein wertkonservatives.
Hat der Bildersturm jetzt gesiegt? Die von Kapitän Haddok beschimpften Ikonoklasten hießen Lammert und Vogel, Biedenkopf und Schavan. Erst die in tiefen emotionalen Schichten verankerte Rolle als Verräter (wenn sogar die von der Fahne gehen!) erlaubte es, die Verwechslung des Haargels mit einer Krone zu demaskieren.
Von einem Erdbeben, das die aus Meinungsumfragen, Populismus und entgleister journalistischer Berufsethik errichtete Kathedrale zum Einsturz hätte bringen können, kann hingegen bisher nicht berichtet werden.
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