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Der Koch ohne Herd
Als Kind aß er gläserweise Nutella, heute kommt nur noch vegane Rohkost auf den Tisch. Als Caterer, Kochkursleiter und Betreiber eines eigenen Dinner Clubs in Berlin will Boris Lauser beweisen, dass man auch ohne Backen, Braten oder Kochen Gourmetniveau erreichen kann.
Bis die Spaghetti al dente sind, kann es bei Boris Lauser schon mal mehrere Stunden dauern. Und dann sind sie auch noch kalt, wenn sie auf den Tisch kommen. Bei näherer Betrachtung sind es auch gar keine Nudeln, sondern dünne Zucchinistreifen, und die dazu gereichte Bolognese-Sauce enthält statt Fleisch ein Mandel-Nuss-„Hack“. Für die bis zu 16 Gäste, die Lauser regelmäßig beim Dinner Club in seiner Berliner Loftwohnung bewirtet, ist das aber keine Überraschung. Denn sie kommen, um sich für 45 Euro ein veganes Rohkost-Gourmet-Menü vom Gastgeber servieren zu lassen.
„Raw Food“ heißt der aktuelle Essenstrend neudeutsch, und Boris Lauser hat beschlossen, ihn nach Berlin zu bringen. Verwendet werden nur Obst, Gemüse, Nüsse, Sprossen und kaltgepresste Öle. „Nichts davon darf über 42 Grad Celsius erhitzt werden“, erklärt er. Das zerstöre die Enzyme in der Nahrung, die dem Körper bei der Verdauung helfen sollen. Die Zubereitungsarten sind dadurch zwangsläufig limitiert: Marinieren, Trocknen, Entsaften, Fermentieren und Mixen.
Während in Kalifornien und an der Ostküste der USA die Raw-Food-Restaurants derzeit wie junges Gemüse aus dem Boden sprießen, und Stars wie die Schauspieler Demi Moore und Woody Harrelson oder die Modedesignerin Donna Karan bekennende „Raw-Foodies“ sind, hat Lauser in Deutschland manchmal noch mit Vorurteilen zu kämpfen: „Hier verbinden viele Rohkost noch mit Salatdiät und Karottenknabbern.“ Er will beweisen, dass man trotz der selbst gewählten Einschränkungen auch mit nicht gekochten, gebratenen oder gebackenen Zutaten Gourmet-Niveau erreichen kann.
Der Zeitpunkt scheint gut gewählt: Die Bestsellerautoren Jonathan Safran Foer und Karen Duve erreichen derzeit mit ihren Plädoyers für vegetarisches, biologisch erzeugtes Essen fast sarrazineske Auflagen. Deutsche Sterneköche kreieren spezielle Gemüsemenüs, und eine Kette von Lebensmittelskandalen hat die Verbraucher alarmiert.
Lauser selbst ist schrittweise zum Rohkostler geworden. Der gebürtige Schwabe, der bei einer Größe von 1,72 Meter nur 53 Kilogramm wiegt, erzählt belustigt, dass er als Jugendlicher gläserweise Nutella gegessen hat und „ziemlich dick“ gewesen sei. Von einem Tag auf den anderen beschloss er als 16-Jähriger, sich ein Jahr lang zuckerfrei zu ernähren. „Danach habe ich nie mehr das Verlangen nach ganz süßen Sachen gehabt.“ Die Liebe zum Kochen hat der 35-Jährige dann nach seinem Wirtschaftsingenieur-Studium in Rom entdeckt, wo er für sieben Jahre als Programmierer bei der UN gearbeitet hat. „Schon dort habe ich immer mehr Obst und Gemüse gegessen“, sagt er. „Die Qualität der Grundprodukte war einfach toll.“
Während einer sechsmonatigen Reise durch Südostasien lernte der Yoga-Fan die Raw-Food-Philosophie kennen. „Endgültig Klick gemacht hat es dann aber auf einer Dienstreise in San Francisco.“ Im dortigen Café Gratitude aß er einen roh-veganen Käsekuchen. „Ich konnte kaum glauben, dass der nicht gebacken war.“ Das wollte er auch lernen. Er gab seinen Job bei der UN auf und ließ sich in Arizona zum Raw-Food-Koch ausbilden. Seit er wieder in Deutschland lebt, bietet er neben dem Dinner Club auch Seminare, Kochkurse und online eigene Rohkost-Kreationen an.
Zur Begrüßung im Dinner Club gibt es einen grünen Smoothie aus Gurke, Sellerie, Fenchel, Blutorange und fermentiertem Weizen. Es folgen eine cremige Topinambur-Suppe und „Rawvioli“ in einer Granatapfelrosmarinsauce, gefüllt mit Radicchio und einem aus Nüssen hergestellten Käse. Die Gäste sitzen auf ausrangierten Kinosesseln an einem Tisch mit Blick in die offene Küche. Erst jetzt fällt auf, dass irgendetwas fehlt, was sonst zu beinahe jeder Essenszubereitung gehört: der Geruch. Laut hingegen kann es schon werden, auch wenn kein Fett in der Pfanne brutzelt und die Dampfabzugshaube arbeitslos ist. Im Mixer bereitet Lauser die Paprikasauce zu, die beim Hauptgang zu den im brummenden Dehydrator trocknenden Pastinaken-Cashew-Nocken gereicht wird. „Gnocchi à la Mamma“ nennt er diese Kreation, aus Liebe zur ehemaligen Wahlheimat und um die Hemmschwelle der Raw-Food-Debütanten unter den Gästen zu senken. Ein unter Rohkost-Chefs äußerst beliebtes Vorgehen: In den einschlägigen Kochbüchern wimmelt es nur so von Begriffen wie „Fettuccine“, „Rawmesan“ oder „Eiscreme“.
Das Angenehme an Lauser ist, dass er, obwohl von der Raw-Food-Philosophie überzeugt, kein missionarischer Dogmatiker ist. „Wenn einige das nur als neuesten Lifestyle-Hype ausprobieren wollen, ist mir das auch recht“, gibt er sich betriebswirtschaftlich pragmatisch – und erntet dafür von den Fundamentalisten der Szene regelmäßig Kritik. Fragen über wissenschaftliche Studien, die belegen, dass eine vegane Ernährung zu Untergewicht und einem Mangel an dem für die Blutbildung wichtigen Vitamin B12 führen kann, weicht er aus: „Ich war seit fünf Jahren nicht mehr krank.“ Außerdem esse er auch hin und wieder Fleisch.
Unstrittig ist aber wohl, dass es für den deutschen Durchschnittsesser sehr gesund wäre, den Rohkostanteil seines Essens zu erhöhen. Mit seinen kulinarischen Kreationen will Lauser dazu einen Beitrag leisten, vielleicht sogar irgendwann mit einem eigenen Restaurant. Ob er sich in die Küche dann auch Herd und Ofen einbauen ließe? Lauser zögert kurz: „Doch, ich glaube schon.“ Aber das derzeitige Model diene doch nur als ein weiterer Abstellplatz? „Ja, aber ab und zu muss ich mir eine Nostalgiepasta kochen.“ Dann gibt es auch Par- statt Rawmesan.
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