Vor dem Beginn des traditionellen Dreikönigstreffens in Stuttgart bleibt die FDP weiter im Umfragetief. Guido Westerwelle hält eine mit Spannung erwartete Rede, die richtungsweisend für die Partei und seine eigene Person sein könnte. Cicero Online sprach mit dem Politikwissenschaftler Gero Neugebauer über mögliche Auswirkungen der Rede, die Zukunft der Liberalen und ihres Vorsitzenden.
Die FDP steckt im Umfragetief. Teile der Partei sind in Aufruhr. Nun steht das traditionelle Dreikönigstreffen kurz bevor. Alles schaut auf Parteichef Guido Westerwelle und erwartet von ihm einen rhetorischen Befreiungsschlag. Nur, was kann eine solche Rede überhaupt bewirken?
In diesem Fall wird man wohl erwarten, dass ein Ruck durch die Partei geht. Nur, ein Ruck kann durch Entzücken aber auch durch Erschrecken hervorgerufen werden. Und ich bin mir nicht sicher, ob Herr Westerwelle eigentlich versteht, dass die FDP vor allem Strukturprobleme hat, für die er auch persönlich verantwortlich ist. Insbesondere die thematische Verengung auf ein einziges Thema - Steuersenkung - hat er zu verantworten. Er hat die Partei zudem personell zu sehr auf sich zugeschnitten. Spätestens seit Westerwelle 2006 den Vorsitz der Bundestagsfraktion übernommen hat, sind die Partei und er in der öffentlichen Wahrnehmung identisch. Insofern muss er sich als ein Teil des Problems betrachten.
Zu den schärfsten Kritikern Westerwelles zählte auch der „Schaumburger Kreis“, ein marktliberal ausgerichteter innerparteilicher Zirkel. Erst wurde dort über dessen Sturz spekuliert, doch jüngst haben dieselben Leute das Ende der Debatte um den Parteivorsitzenden ausgerufen. Das klingt eher nach einem Burgfrieden bis zum Parteitag im Mai.
In der Tat. Die Bewährung für Westerwelle ist nicht das Dreikönigstreffen, sondern es sind die Folgen der Rede, auf die es ankommt. Zunächst wird es darum gehen, wie die Rede in der Partei aufgenommen wird und gleichzeitig darum, wie sein Auftritt in den Medien kommuniziert wird. Erst in den Tagen nach dem Dreikönigstreffen wird sich also zeigen, ob es tatsächlich den erwünschten Ruck in der Partei gibt oder ob die Wirkung der Rede schnell verpufft.
Wenn sich sogar vermeintliche Freunde wie der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer vor Westerwelle stellen oder wenn Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Rede schon vorformuliert, dann schwächen sie den FDP Vorsitzenden doch nur zusätzlich.
Ob Seehofer, Merkel, Homburger oder Leutheusser-Schnarrenberger. Alle sagen ihm ja eigentlich, was sie von ihm erwarten, ohne dass sie eigentlich wissen, dass sie das auch erwarten können. Viele der Parteifreunde, die ihm nun gute Ratschläge geben, hat Westerwelle ja selbst erschaffen. Es macht den Eindruck, als habe er vor allem Claqueure um sich geschart, die ihm erzählen, wie er bestmöglich Ruhe erzeugt. Nur tatsächlich weiß keiner von ihnen, was Westerwelle am Donnerstag tatsächlich machen wird.
Kann Westerwelle angesichts solcher Freunde seinen Kopf überhaupt noch retten?
Wir wissen, dass Westerwelle ein guter Redner ist. Hat er einen guten Moment, kann er Leute packen. Er ist aber zugleich durch seine Eitelkeit gefährdet. Möglicherweise verliert er die Contenance und greift seine Kritiker scharf an und erreicht dann genau das Gegenteil von dem, was von ihm erwartet wird.
Was wird von ihm denn erwartet?
Er muss Ruhe herstellen, das Harmoniebedürfnis seiner Anhänger bedienen. Er muss Orientierung bieten und sich gleichzeitig auch persönlich hinterfragen.
Machen es sich die Kritiker aber nicht zu einfach, in dem sie Westerwelle als alleinigen Sündenbock hinstellen?
Westerwelle ist aber nicht ganz unschuldig an der jetzigen Situation. Aber es stimmt auch, dass viele FDP-Politiker hinter Westerwelle nicht in der Lage sind zu sagen, was eigentlich danach passiert. Sie sind nicht in der Lage perspektivisch zu denken und ihre Partei unabhängig von der eigenen Person aufzustellen. Aber ein Führungswechsel bedeutet nicht notwendigerweise, dass damit auch die strukturellen Probleme der FDP gelöst sind. Ein möglicher Nachfolger müsste vor allem erklären, wie sich die Liberalen inhaltlich aufzustellen haben.
Was ist bei der FDP programmatisch schief gelaufen?
Die Steuersenkungsdiskussion beispielsweise bringt der FDP keine Punkte mehr ein. Es bringt auch nichts, nun hilflos mit Begriffen wie Graswurzelliberalismus oder Bürgernähe zu operieren. Da muss ein potentieller Nachfolger schon konkret werden und zum Beispiel die Frage beantworten, was hat die FDP zu bieten in der Bildungspolitik oder in sozialpolitischen Fragen. Es gibt einige gesellschaftliche Probleme, auf die könnte die FDP von einem Grundverständnis eines politischen Liberalismus aus Antworten formulieren. Das gilt auch für marktliberale Positionen. Auch hier sollte die FDP bestimmte Positionen pointierter darstellen, als es beispielsweise in der Union geschieht. Der Koalitionspartner muss schließlich immer darum bemüht sein, soziale und wirtschaftspolitische Aspekte in Einklang zu bringen.
Die Frage ist doch, was hat die FDP eigentlich in den letzten 10-15 Jahren getan? Sie hat ein Programm aus dem letzten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts. Das ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß und hält den gegenwärtigen Erfordernissen nicht stand.
Die Stimmen, die eine inhaltliche Neuausrichtung fordern, gibt es ja auch innerhalb der FDP. Wie kann die Partei der programmatischen Verengung entgegenwirken, wo können da die Schwerpunkte liegen?
Die FDP muss sich vor allem fragen: Was kann ich heute anbieten, was nicht auch andere anbieten. Was bedeutet eigentlich Freiheit in einer Gesellschaft, in der für viele überhaupt die materiellen Voraussetzungen fehlen, Freiheit genießen zu können. Hat die FDP überhaupt begriffen, dass die nationale Politik sehr stark von Rahmenbedingungen beeinflusst wird, auf die sie überhaupt keinen Einfluss nehmen kann? Und haben Sie in diesem Zusammenhang eine Stellungnahme von europäischen Liberalen oder der FDP-Europaabgeordneten Koch-Mehrin gegen die Einschränkung der Pressefreiheit in Ungarn gehört? Das ist ein Bereich, den die FDP eigentlich sofort besetzen müsste.
Darüber hinaus sollte die FDP die Frage von individuellen Freiheiten, und Rechtspolitik wieder mehr in den Fokus rücken. Es muss eine liberale Handschrift erkennbar werden. Was wollen die Liberalen beispielsweise in der Integrationspolitik?
Was passiert eigentlich auf der internationalen Ebene? Die Liberalen müssen wirtschaftspolitisch über nationale Grenzen hinaus denken. Auch marktliberale Positionen gehören zum liberalen Profil, aber ohne dogmatische Verengung.
Die FDP sollte sich wieder darum bemühen, spezifische Interessen in der Gesellschaft zu organisieren. Zurzeit weiß die FDP doch gar nicht welche Interessen sie repräsentiert
Das klingt alles nach klassischen liberalen Positionen. Neuausrichtung heißt also, Altes wiederbeleben? Wer könnte diese Neuausrichtung personell verkörpern?
Man könnte polemisch werden und sagen: Westerwelle könnte sie verkörpern. Er hat nichts anderes gelernt. Er war kein Unternehmer, kein Quereinsteiger in die Politik. Er ist ein gelernter Politruk, ein Politoffizier, der in der Partei aufgestiegen ist, die Erfahrung von wirtschaftlicher Konkurrenz nie gemacht hat. Für ihn bestand die Parole „Leistung muss sich lohnen“ immer nur aus Belohnungen in Form von Übernahme bestimmter Ämtern sowie der daraus abgeleiteten Reputation. Aber er hat es nicht geschafft, ein intellektuelles Leitbild zu sein, das mehr in sich vereint als politischen Aktivismus.
Aber sieht man sich in der FDP um, fällt es einem in der Tat schwer, einen Nachfolger ausfindig zu machen. Zurzeit gibt es wohl wirklich niemanden, der den Herausforderungen gewachsen wäre.
Das Interview führte Timo Stein
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