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Studie - Energiebildung bei Schülern: Mehr als Wissenslücken

Was ist der Unterschied zwischen Joule und Watt? Und wo kommt eigentlich unser Erdöl her? Eine Forschungsgruppe hat deutsche Schüler zum Thema Energie befragt – und erhebliche Wissenslücken festgestellt

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Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Sie basteln Herbarien, drehen an Brennern und pauken die Fotosynthese. Deutsche Schüler sollen im Unterricht alles ausprobieren, um für die Naturwissenschaften fit gemacht zu werden. Aber sind sie das auch? Was wissen Jugendliche über das Thema Energie? Das wollte die RWE Stiftung herausfinden und beauftragte das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) mit einer Studie, die Cicero Online exklusiv vorliegt.

Das Ergebnis ist bedrückend: Junge Menschen wissen demnach nur wenig über Energie. Es gehe nicht nur um bloße Wissenslücken. Vielmehr lasse sich „ein generelles Defizit“ feststellen, schreiben die Autoren der Energiebildungsstudie. Die Konzepte der Energieerhaltung, -wandlung und -effizienz haben Jugendliche allenfalls bruchstückhaft verinnerlicht. Deutschland will weltweiter Vorreiter bei der Energiewende sein – und braucht dafür Nachwuchs. Doch wer die Schule nach der 10. Klasse verlässt, hat die wesentlichen Grundlagen der Energie nicht verstanden.

Hätten Sie's gewusst? Der Energietest für Schüler bei Cicero Online:

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Da werden Begriffe aus dem Computerspiel als gültige physikalische Größen akzeptiert. Viele Schüler sehen bei Tier, Mensch und Pflanzen etwa eine mysteriöse „Lebensenergie“ am Werk. Wissenschaftler hatten das Fantasiewort in einen Fragebogen eingebaut – und damit für Verwirrung gesorgt.

Der Fragebogen wurde 2.253 Schülern aus acht Bundesländern vorgelegt. Die Mehrheit ging in die 10. Klasse, einige Schüler besuchten aber auch die 9. und 11. Klasse. Die Jugendlichen hatten zur Beantwortung eine Schulstunde Zeit.

Die besten Ergebnisse haben die sächsischen Schüler vorgelegt, auf Platz zwei und drei folgen ihre Altersgenossen aus Bayern und Baden-Württemberg. Diese drei Länder gehörten auch schon 2006 beim PISA-Test in den Naturwissenschaften zum Spitzentrio.

In Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz ist die Energiebildung den Forschern zufolge nur durchschnittlich. Die Schlusslichter der acht beteiligten Länder bildeten Hessen und Nordrhein-Westfalen.

Die Studie bekräftigt auch in anderer Weise frühere PISA-Erkenntnisse. Deutsche Schüler können zwar auswendig gelernte Regelsätze wiedergeben, aber nur wenige können eigene Schlüsse daraus ziehen. So ist zwar vielen der Energieerhaltungssatz bekannt, wonach Energie nie verloren geht, sondern sich wandelt. Doch nur ein Drittel der Elftklässler löste eine entsprechende Anwendungsaufgabe korrekt.

Jugendliche haben auch Schwierigkeiten, energetische Größenordnungen im Alltag einzuschätzen. Auf die Frage, welches die ungefähre Leistung eines Wasserkochers sei, verschätzten sich die meisten um das Zehnfache. Sie tippten auf 100 Watt. Korrekt wären 1.000 Watt gewesen. Bei dieser Frage schnitten Elftklässler genauso schlecht ab wie Schüler der unteren Jahrgangsstufen.

Besonders schwierig wurde es, wenn nach interdisziplinären Zusammenhängen gefragt wurde. Der Studie zufolge sind chemische und biologische Aspekte der Energieumwandlung fast unbekannt. Viele Schüler glaubten demnach, ein Katalysator erzeuge zusätzliche Energie.

In den Fächern Wirtschaft, Geografie, Politik und Geschichte spielt das Thema Energie kaum eine Rolle. So wissen Jugendliche nicht, dass Heizkosten teurer als Stromkosten sind. Und auf die Frage, woher Deutschland sein Erdöl bezieht, tippten die meisten Schüler auf Saudi-Arabien. Richtig wäre Russland gewesen.

Der einzige Hoffnungsblick: Über das Energiesparen sind Jugendliche ausreichend informiert. Dieser Themenkomplex ist der einzige, der in allen Schultypen der acht getesteten Bundesländer ein fester Bestandteil des Lehrplans war.

Sonst sind die Bildungsvorgaben sehr heterogen: In den Bundesländern Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sehen die Kultusminister Energiebildung als Schwerpunkt, anderswo nicht. In Gymnasien wird das Thema für wichtiger erachtet als an Haupt-, Real- oder Regionalschulen. Nicht einmal im Fach Physik gibt es einheitliche Lehrpläne. So fokussieren die meisten Bundesländer nur auf Teilaspekte des Energiekonzepts – also auf Erhaltung, Entwertung, Transport oder Wandlung.

Die Studie geht auch auf Erfolgsfaktoren der besten Bundesländer ein. So zeigten sich sächsische Lehrer mit ihren Unterrichtsmitteln zufrieden. Anderswo klagen die Pädagogen, die von den IPN-Forschern gesondert befragt wurden, dass ihnen Materialien zum Lernen und Experimentieren fehlten. Zudem seien Schüler beim Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe nur unzureichend vorbereitet. Acht von zehn Lehrer würden weitergehende Energiebildungsprojekte unterstützen.

Die Pädagogen hätten „ein bemerkenswertes Gespür an den Tag gelegt“, lobte Studienleiter Manfred Euler, Direktor des IPN. Ihre Aussagen deckten sich weitgehend mit seinen Forschungsergebnissen. Deswegen richtete sich sein Appell auch eher an die Bundesländer. Sie sollten „ihre eigenen Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss ernst nehmen“, forderte er. Gefragt seien Aktivitäten, die neugierig machten und die Schüler erkennen ließen, „dass Energie mehr ist als das, was aus der Steckdose kommt“.

Update 28.05.: Hier geht es zu der Energiebildungsstudie.

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