Der Präsident trinkt deutsch
Deutsche Bundespräsidenten boten ihren Staatsgästen bisher internationale Kulinarik. Vorbei. Horst Köhler hat eine gastrosophische Kulturrevolution auf Schloss Bellevue vollzogen. Cicero durfte einen Blick in den prominentesten Weinkeller der Republik werfen Der Präsident trinkt deutsch
Noch vor wenigen Jahren wurde der damalige Kanzler Gerhard Schröder vom Parlamentarischen Weinforum im Reichstag – so etwas gibt es tatsächlich! – öffentlich gerügt, weil er im Kanzleramt nur Wein aus der Toskana und dem Piemont auftischte. Und wurde bei der Gelegenheit auch gleich enerviert gefragt, warum er mit Staatsgast Bill Clinton in einem französischen Lokal Elsässer Wein trinke.
Mit solch unpatriotischen Lustbarkeiten ist es nun vorbei. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Kanzleramt längst für heimische Gewächse gesorgt, auch wenn sie wie ihr Vorgänger keinen deutschen Rotwein mag, wie sie einmal Friede Springer in einer schwachen Minute anvertraute.
Konsequenter noch setzt der Bundespräsident auf deutsche Gaumenfreuden und auf die patriotisch korrekte Provenienz der Getränke. Selbst bei glamourösen Staatsempfängen gibt es keinen Champagner mehr, sondern Sekt aus deutschen Landen. Eine Pioniertat. Denn das Bekenntnis eines Spitzenpolitikers zu Produkten von deutscher Scholle setzt einen neuen Trend. Der Grund für solch symbolpolitische Kulinarik ist schnell ausgemacht: Im Zeitalter der Globalisierung betont man im Schloss Bellevue selbstbewusst die Strahlkraft der Region. Und so hat Bundespräsident Horst Köhler Küche und Keller gleichsam demonstrativ mit Produkten einheimischer Marken bestücken lassen.
Im Keller von Schloss Bellevue lagern nur noch Weine aus Rheinhessen (Kühling-Gillot, Battenfeld-Spanier) und dem Rheingau (Kesseler, Wegeler), aus Baden (Heger, Huber) und Sekt von der Mosel (St. Laurentius). Der exzellente Portwein kommt vom Weingut Markus Schneider aus der Pfalz, selbst der Whisky ist ein echt einheimischer, ein „Bavarian Single Malt“ namens Slyrs.
Der Grappa ist eigentlich Tresterbrand vom Weingut Pawis (Saale-Unstrut), der Calvados ist die Apfelhefe vom Apfelwalzer. Als eine der wenigen Ausnahmen fällt Campari aus dem Rahmen, hierfür scheint es in Deutschland noch keine hochklassige Alternative zu geben.
Dafür wird Aceto balsamico als Schwarzessig aus Pflaumen und Zwiebeln vom Kloster Rühn in Mecklenburg-Vorpommern geliefert. Von dort stammt auch das Rapsöl, der Senf kommt aus Düsseldorf und nicht aus Dijon, das Salz heißt Luisenthaler Tiefensalz statt Fleur du Sel und stammt aus Niedersachsens Salinen.
Ein bisschen zu deutsch, das Ganze? Überhaupt nicht, findet Bellevue-Küchenchef Jan-Göran Barth. Man müsse Zeichen setzen. Für ihn sieht so die moderne deutsche Küche aus, er ist stolz auf die ausgezeichneten Produkte, die inzwischen aus Deutschland kommen – und stolz darauf, dass sein Dienstherr sie konsequent internationalen Gästen präsentiert. In diesem Sinne bewege Horst Köhler mehr als alle Gourmet-Fachzeitschriften und Restaurantführer zusammen.
So viel Konsequenz beeindruckt. Der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano war im vergangenen Sommer so begeistert von einem Cabernet aus Rheinhessen – der Wein aus dem Sonnenjahrgang 2003 hatte gute 14,5 Prozent –, dass das Weingut Fleischer jetzt sogar nach Italien liefert. Auch Horst Köhler bevorzugt Rotwein. Um die 4000 Flaschen Rote und Weiße lagern insgesamt in den schlichten, mit Sandkalksteinen ausgekleideten Kellern des Bundespräsidenten; nicht viel, wenn man die vielen Empfänge und Feste des Staatsoberhaupts rechnet.
Das Wasser zum Wein stammt aus Fachingen und vom DDR-Klassiker Margon. Gemüse und Fleisch wird von Bauern und Jägern aus der Region geliefert. Fasane aus Würzburger Freiflug-Volièren statt französischer Qualitäten, Harzer Rotvieh statt Wagyu-Rind. Die Kräuter wachsen in den „Essbaren Landschaften“ hinter der Ostseeküste oder bei Carlo Polland in der Uckermark.
Auch auf die Qualität der Zutaten wird größter Wert gelegt, es sind überwiegend Bio-Produkte. Das Brot wird selbst gebacken. Horst Köhler soll sich schließlich gesund ernähren, zumindest, wenn er offiziell in seinem Dienstsitz speist. Wer die Rezepte nachkochen möchte, findet sie im neuen Kalender „Zu Gast im Schloss Bellevue“ (Tre Torri). Tabu auf den Buffets im Bellevue sind nur Innereien, Muscheln und Gänsestopfleber. Die Stopfleber ist auch hierzulande in Staatskreisen nicht mehr politisch korrekt. Ohne protokollarischen Zwang darf sich der Bundespräsident aber schon einmal über gebratene Blutwurst von der Berliner Blutwurstmanufaktur freuen.
Der handgerüttelte Sekt, den der Bundespräsident servieren lässt, stammt von Klaus Herres, einem der führenden Hersteller von der Mosel, dessen Produkte keinen Vergleich mit französischen Pendants scheuen müssen. Wer je ein Glas seines St.Laurentius verkostet hat, bemerkt sofort den Zauber, der von ihm ausgeht. Herrliche Linden- und Akazienblüten, Rosen und Pfirsichduft, am Gaumen Kraft und Größe eines guten Champagners. Der spanische König Juan Carlos soll bei seinem jüngsten Berlin-Besuch begeistert gewesen sein.
Niko Rechenberg ist Weinkritiker und verkostet vor allem für den renommierten Gault Millau. Er ist Jurymitglied der „Berliner Meisterköche“
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