Ab in den Bunker!
Bunker sind Relikte des Krieges. Orte, an denen im Ernstfall die Freiheit des Individuums im Regelwerk staatlichen Katastrophen-Managements aufgeht. Eine Reise durch europäische Bunker – 60 Jahre nach Kriegsende.
Im Zweiten Weltkrieg handelte es sich bei den Bunkeranlagen oft um Orte des zivilen Lebens, die als Zufluchtsort eine völlig neue Bedeutung erlangten. So wurden beispielsweise die jahrtausendealten Chislehurst Caves südlich von London während des Zweiten Weltkriegs umfunktioniert. Auch andere Orte des zivilen Lebens wie etwa die Moskauer Metro galten bis zum Ende des Kalten Krieges als sicherer Rückzug. Sogar im indischen Neu-Delhi wurde die neue U-Bahn gleich auch als atomkriegsgerechter Luftschutzbunker konzipiert. Derart berechnend arbeitete selbst das kriegseifrige nationalsozialistische Regime vor siebzig Jahren nicht. Das ab 1940 aufgelegte Bunkerbauprogramm entwickelte sich angesichts der Luftangriffe auf deutsche Städte dann rasch zu einem gigantischen städtebaulichen Projekt. Allein in Berlin entstand ein dichtes Netz aus über tausend Bunkern. Allesamt Orte der allgegenwärtigen Verfügungsgewalt eines Staates, der hier die Zivilbevölkerung gleichsam befristet in Schutzhaft nahm.
Britische Bunker-Romantik
Völlig unvorbereitet traf der Luftkrieg die britischen Städte. Als deutsche Bomber 1940 erstmals London heimsuchten, wurde ein uraltes Minenlabyrinth in den Kalkfelsen südlich von London zum rettenden Zufluchtsort. Die Chislehurst Caves waren schnell von der Stadt aus erreichbar. Im Laufe der Luftschlacht um England wurde dieses knapp 36 Kilometer lange Höhlensystem mit Gaststätten, Kinos, Theater, Tanzsaal, Turnräumen, Kirche und einem Krankenhaus samt Operationssaal ausgestattet und mit 15000 Zufluchtsuchenden zum größten Luftschutzbunker Großbritanniens. Es gab eine Hausordnung, die straff das Leben in dieser Höhlenstadt regelte und Bunkerpersonal, das auch über die Einhaltung wachte. Denn für Ausgebombte wurden die Chislehurst Caves sogar zum Erstwohnsitz. Jede Übernachtung wurde symbolisch mit einem Penny berechnet. Nach dem Ende des Krieges wurde die Geschichte dieser Höhlenstadt neben den Ärchäologieepochen der Sachsen, Kelten und Römer lukrativ als touristische Attraktion vermarktet. Mit Wachsfiguren wurde das Kriegskapitel als museales Bunker-Diorama dokumentiert. Der Eintritt in das Höhlensystem kostet heute pro Person immerhin knapp zehn Euro.
Russische Bunker-Pracht
Als die deutsche Wehrmacht Ende 1941 vor der Haustür der sowjetischen Hauptstadt stand, zogen Regierung und Generalstab einfach achtzig Meter unter der Erde in die U-Bahnstationen Majakovskaja und Kirovskaja um. Dafür war das prunkvolle Tunnelsystem unter Moskaus Straßen bestens geeignet. Denn schon in der Konstruktion war die vom Planungskollektiv Metrostroj entworfene Moskauer Metro der Stalinzeit in erster Linie nicht „ein normales Transportmittel, sondern der Entwurf einer wahren Stadt der kommunistischen Zukunft“, wie der Kulturwissenschaftler Boris Groys einmal schrieb. „Mehr noch als alle Theater und Paläste wird die Metro unseren Geist anregen und erhellen“, wusste Stalins Transportminister Lasar Kaganowitsch. Ein Satz, der sich beispielsweise mit einem Blick in die zu Ehren des Dichters Vladimir V. Majakovskij benannte Metrostation Majakovskaja bestätigt. In 35 Illustrationen verewigte Aleksandr V. Deineka dort die Errungenschaften der sowjetischen Luftfahrt. Ausstaffiert mit Marmor, Gold, Mosaiken, Stuck, Kuppeln und Kronleuchtern war damals eine unterirdische Palaststadt entstanden, die ihresgleichen bis heute sucht. Es war ein geradezu elysisch anmutender Ort, an dem auch eine halbe Million der damals fast vier Millionen Moskowiter Schutz vor den deutschen Luftangriffen fanden. Die U-Bahn wurde zum größten Luftschutzbunker Russlands. Das nach dem Krieg auf 280 Kilometer erweiterte U-Bahnnetz gehört heute nicht nur zu den weltweit größten öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern diente bis zum Ende des Kalten Krieges auch als Atombunker.
Deutsche Bunker-burgen
Erst im Herbst 1940 wurde auf Befehl Adolf Hitlers ein staatliches Bunkerbauprogramm aufgelegt, für das in Berlin die Maßstäbe gesetzt wurden. Begonnen wurde mit dem Bau von Flugabwehrbunkern (Flak-Bunker), von denen drei in Berlin in den Parkanlagen Friedrichshain, Humboldthain und Tiergarten als Vorbild für Wien und Hamburg errichtet wurden. Als Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt achtete Albert Speer von Anfang an darauf, dass die oberirdischen Bunkerbauten sich allesamt in das Arrangement der projektierten Welthauptstadt Germania einfügten. Die Wehrbunker waren nach dem propagierten „Endsieg“ als Kriegsehrenmale vorgesehen. Die armierten Bunker, von denen heute nur noch der im Humboldthain als Ruine erhalten ist, waren mit Außenmaßen von rund 70 mal 70 Metern und einer Höhe von 42 Metern entsprechend riesige Gebilde und zusammen mit den radarbestückten Befehlsbunkern eine Fortifikation von beträchlichem Ausmaß. Mit diesen Flaktürmen, die aus seriellen Fertigstahlbetonteilen montiert wurden, hatte Speers Studienfreund Friedrich Tamm eine völlig neue Bautechnik für Großprojekte eingeführt. Äußerlich waren die Flaktürme ein Verschnitt aus den damals für deutsche Kriegsschiffe typischen Gefechtstürmen und der Festungsarchitektur des 16. und 17. Jahrhunderts. Als quasi moderne Zitadellen handelte es sich um vollautomatisch arbeitende Kriegsmaschinen. Jedes dieser Ungetüme machte den Menschen auch in seinem fünfstöckigen Innern zur Ameise; klein und nichtig, zum Teil einer Volksgemeinschaft in einer perfekt funktionierenden Maschine, die nach draußen aus ihren Rohren Stahl spie und im Innern über ein riesiges Wendeltreppenhaus und Fahrstühle 30000 Menschen wie Produktionsteile auf einem Fließband in Behälter, in ihre Schutzräume verteilte. Ursula von Kardorff notierte in ihr Tagebuch am 25. Januar 1944 über die Atmosphäre im Zoo-Bunker während eines Bombenangriffs: „Während die Flak schon zu schießen beginnt, schiebt und stößt und drängt das Volk hinein. Ein erleuchteter Lift fährt lautlos auf und ab.“ Das Ganze könnte einer Szene aus Fritz Langs Monumentalfilmklassiker „Metropolis“ entstammen, der in den zwanziger Jahren in die Kinos kam.
Bunker-renaissance
Bereits nach Kriegsende gab es ambitionierte Ideen, die Bunker zivil zu nutzen und zu erhalten. 1946 hatte beispielsweise ein ehemaliger Chefkellner des Bahngastronomen Mitropa den Lankwitzer Hochbunker in ein Hotel umfunktioniert. Dieser Bunker gehörte zu einem Typenbauprogramm von Zivilschutzbunkern, die in Berlin stadtbildprägend wurden. Markantes Relikt dieses mehrstöckigen Bunkertyps – einer nach der Anzahl der Betten M 500, M 1200 benannten, ursprünglich als reine Schlafbunker konzipierten Baureihe – ist in der Innenstadt der doppelachsige Reichsbahnhochbunker an der Kreuzung Albrecht-/Reinhardtstraße vom Bautyp M 1200. Den Entwurf für diese ebenfalls aus seriell hergestellten Fertigbetonteilen gebauten Bunker lieferte Karl Bonatz, der sich erst dadurch als Architekt einen Namen machte. 1946 hatte Bonatz, der moderat die traditionelle Stadtfigur mit den Ansprüchen moderner Mobilität zu verbinden suchte, dann als Nachfolger von Hans Scharoun im Amt des Baustadtrats die stadtplanerische Grundlage für eine autogerechte Stadt geschaffen. Diese diente der Westberliner Baupolitik fortan als Vorlage für die folgenschweren Eingriffe in die südliche Friedrichstadt. Diesem indirekten Fingerabdruck im Berliner Stadtbild ging der direkte voraus. Während Tamm für die Konstruktion von Wehrburgen im städtischen Grüngürtel zuständig war, hatte Bonatz die Aufgabe, das steinerne Berlin mit Vorboten künftiger Welthauptstadtästhetik zu durchsetzen, die sich in minimalistischem Renaissance-stil florentinischer Prägung in ihre Umgebung fügten und dergestalt zugleich ihre Funktion als zivile Massenbunker kaschierten. Im Innern waren diese Bunker wie jener in der Reinhardtstraße mit moderner Belüftungstechnik und Aufzug ausgestattet. Ein Orientierungssystem mit leuchtenden Piktogrammen wies den Unterschlupf Suchenden den Weg zu den 160 Räumen. Für die Zeit nach dem Krieg sollten diese Typenbunker zivil genutzt werden. Freistehend und auf allen vier Seiten mit einem von Streifenquadern verzierten Rundportikus, ist das 1942 fertig gestellte vierstöckige Gebäude in der Reinhardtstraße als optisches Pendant zum straßenbildprägenden Neorenaissancebau in niederländischer Manier entstanden, der seit 1999 als „Reinhardtstraßen-Höfe“ unter anderem die Parteizentrale der FDP beherbergt. In einer Gegend, in der sich zwischen Deutschem Theater und Bahnhof Friedrichstraße unweit des alten und neuen Machtzentrums im Spreebogen nach 1990 Rechtsanwälte, Medienbüros, feine Geschäfte und Restaurants angesiedelt haben, taugt der trutzige Würfel als ausgefallene Adresse. In den Neunzigern war der Bunker daher quasi über Nacht zu einer so genannten In-Location der internationalen Techno-Szene avanciert. Nun hat der Wuppertaler Kunstmäzen Christian Boros das Haus in seinem architektonischen Wesen entdeckt und gekauft. Nach einem Entwurf des für seine pfiffigen Konzepte bekannten Berliner Trios realarchitektur, wird der Bunker zu einem Privatpalais für die Kunst umgebaut. Gekrönt von einem Penthouse soll er dieses Jahr fertig werden.
Philipp Meuser ist Architekt und Journalist. Für Cicero betreut er die Kolumne Machträume
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