- Die gerupfte Glucke
Der CDU-Bundesparteitag will die Flüchtlingszahlen „spürbar verringern“. Was einige als Merkels Erfolg interpretieren, weil sie eine Obergrenze verhindern konnte, ist tatsächlich eine Niederlage
Zwei Worte stehen steht jetzt gegen drei. Zwei Verben gegen einen kurzen Hauptsatz. Die Kritiker von Angela Merkels haben ihr ins Parteistammbuch geschrieben, dass man den Flüchtlingsstrom „spürbar verringern“ muss, weil das sonst Staat und Gesellschaft „überfordert“. Diese beiden Verben sind das konditionierte Gegenteil von Merkels Satz: „Wir schaffen das.“
Die allgemeine Sichtweise ist nun: Nichts als Schminke, weiße Salbe. Merkel hat ihre Gegner mit ein paar kümmerlichen Einschränkungen ruhiggestellt. Man kann das aber mit Fug und Recht anders sehen: Die Glucke der Nation, die Glucke der Partei hat in ihrem eigenen Nest Federn lassen müssen. Nur weil der Kampfbegriff „Obergrenze“ nicht auftaucht im verabschiedeten Leitantrag, heißt das nicht, dass sich Merkel durchgesetzt hat. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sie den Satz in ihrer Rede in Karlsruhe wiederholt hat. Die Parallele zu Helmut Kohls „blühenden Landschaften“ war kühn bis verwegen.
Flüchtlingspolitik ist eine Frage der Ehre
Nein, den Beifall, den sie zu Beginn des Parteitags sichtlich genossen hat wie ein warmes Schaumbad, dieser Beifall war erkauft. Es war einerseits ein Beifall der Loyalität, denn die CDU streitet nicht gern, sondern schlägt lieber die Hacken zusammen. Und es war ein Beifall der Erleichterung. Wir haben sie doch ein Stück weit bewegt, unsere zuletzt etwas halsstarrige Vorsitzende.
Die Auseinandersetzung um Merkels Flüchtlingspolitik war längst zu einer Frage der Ehre geworden. Nach all den Attacken vor allem des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer konnte Merkel gar nicht sagen: „Schtümmt. Ich hab mich getäuscht. Ich hab den Mund etwas voll genommen.“ Sie tut sich generell viel schwerer als ihr Vorgänger mit dem Eingeständnis von Irrtümern oder Fehlern. „Wir haben verstanden“, hat Gerhard Schröder immer gesagt, wenn sich erwies, dass seine Politik an der Wirklichkeit scheitert.
Die Wirklichkeit wird auch die CDU und ihre Kanzlerin nach diesem Parteitag in Karlsruhe ereilen. So eine Messehalle ist immer ein herrlich hermetischer Raum, in dem man schön unter sich ist und eine Messe der Harmonie feiert.
Europa zeigt Merkel noch die kalte Schulter
Aber der Strom der Flüchtlinge wird nicht abreißen, nur weil der Leitantrag der CDU das gerne so hätte. Sie kommen weiter und sie werden weiter kommen. Nach wie vor vor allem nach Deutschland, zumal Schweden, das andere große Aufnahmeland, seine Grenzen dicht gemacht hat.
Deshalb ist es zwar schön für die Kanzlerin, dass sie ihre Partei kalmiert hat, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Aber ihre Kolleginnen und Kollegen in Europa sind nicht wie Klatschvieh auf einem Parteitag. Die Staats-und Regierungschef der Europäischen Union, beileibe nicht nur der Rechtsnationalist Viktor Orbán, zeigen der deutschen Kanzlerin die kalte Schulter, was die Verteilung der Flüchtlinge anlangt. Ein österreichischer Bundeskanzler als Verbündeter hilft Merkel da nicht viel weiter.
Wenn es Angela Merkel nicht gelingt, einerseits den Strom nach Deutschland etwas zum Abklingen zu bringen, und wenn sie es nicht zugleich schafft, die europäischen Partner auf Kontingente zu verpflichten, dann bringt ihr das warme Schaumbad von Karlsruhe gar nichts außer ein kurzes Wohlgefühl.
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